Bauwelt

Neuanfang für Campamento Mesana

Mehrere informelle Siedlungen von Valparaíso wurden bei einem Großbrand zerstört. Beim Wiederaufbau hat sich auch eine von den Bewohnern ins Leben gerufene Gruppe sehr engagiert

Text: Dransfeld, Agnes, Copiapó (Chile)

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    Die Holzhäuser von Mesana liegen auf einem schmalen Hügelkamm über steilen Abhängen
    Foto: Andreas Rost

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    Aus Holzplatten und Paletten entstanden einfachste Behausungen und Abgrenzungen

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    Das Wasser wird in Reservoirs gesammelt. Stromanschlüsse sind rar. Dass sich die Gemeinschaft selbst organisiert, ist wichtig.
    Foto: Andreas Rost

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    Das Wasser wird in Reservoirs gesammelt. Stromanschlüsse sind rar. Dass sich die Gemeinschaft selbst organisiert, ist wichtig.

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Neuanfang für Campamento Mesana

Mehrere informelle Siedlungen von Valparaíso wurden bei einem Großbrand zerstört. Beim Wiederaufbau hat sich auch eine von den Bewohnern ins Leben gerufene Gruppe sehr engagiert

Text: Dransfeld, Agnes, Copiapó (Chile)

Chile gilt in Südamerika im Bezug auf seine wirtschaftliche Entwicklung und die Armutsbekämpfung als Modelland. In den vergangenen zwanzig Jahren konnte die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben von knapp dreizehn auf drei Prozent der Bevölkerung reduziert werden. Dank seines beeindruckenden Wirtschaftswachstums wird das Land in den kommenden Jahren vom Schwellenland zur Industrienation aufsteigen.
Gleichzeitig ist Chile jedoch das OECD-Land mit der größten Einkommens- und Chancenungleichheit. Dies zeigt sich besonders bei den informellen Siedlungen. Die dort lebenden Familien haben als Gruppe ein Grundstück besetzt und darauf Hütten gebaut, weil ihr Einkommen nicht ausreicht, um Miete zu zahlen. Insgesamt gibt es in Chile 680 solche Campamento genannte Siedlungen, die meisten befinden sich in großen Städten. Dort leben die Menschen in einer Realität, von der viele Europäer glauben, sie gehöre in Chile längst der Vergangenheit an. Die Neo-Liberale Wirtschaftsstruktur des Landes bietet für diese Randgruppe kaum Chancen, um auf den Zug der Entwicklung aufzuspringen, und das Sozialsystem ist zu schwach und unflexibel, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Chile entwickelt sich also nicht ganzheitlich. Seit der Jahrtausendwende ist das Bruttoinlandsprodukt um etwa 250 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist aber auch die Zahl der informellen Siedlungen insgesamt gewachsen. Wer sich noch an das Erdbeben vom Februar 2010 erinnern kann wird vielleicht vermuten, dass diese Entwicklung mit den Zerstörungen des Bebens, es hatte eine Stärke von 8,8 auf der Richterskala, zusammenhängt. Dem ist leider nicht so. Schon seit dem Jahr 2005 wächst die Zahl derer, die sich in den Campamentos ein Zuhause suchen müssen, stetig.
Ständige Unsicherheit
Nicht alle Menschen, die in den Campamentos wohnen, gehören zu den drei Prozent der Chilenen, die in extremer Armut leben. Jedoch sind die Campamentos die sichtbarste Form und der deutlichste Ausdruck der Armut. Sie geben Zeugnis vom Versuch der Menschen, sich fast ohne Mittel und Unterstützung ein Dach über dem Kopf und eine schützende Nachbarschaft zu schaffen.
Das Leben in einem Campamento ist geprägt von der ständigen Unsicherheit, ob die Familien bleiben können, wo sie sich einrichten, oder ob sie irgendwann von dem besetzten Grund vertrieben werden. Der Alltag wird begleitet vom muffigen Geruch nach abgestandenem Grauwasser, das häufig einfach auf den Zugangsweg abgeleitet wird. Dazu mischt sich der Gestank der Latrinen. Strom und fließend Trinkwasser sind keine Selbstverständlichkeit. Wenn es einen provisorischen Anschluss vom Betreiber gibt, funktioniert der nicht zuverlässig, häufig muss improvisiert werden. Stromanschlüsse werden oft unter lebensgefährlichen Bedingungen illegal gelegt. In den meisten Campamentos gibt es gar keinen Trinkwasseranschluss, und so müssen sich die Familien damit zufrieden geben, dass ein bis zweimal pro Woche ein Tanklaster von der Gemeinde kommt, um ihre Wasserfässer aufzufüllen. Die Kinder in den Campamentos wissen nicht, was eine warme Dusche ist.
Der chilenische Staat sieht sich nur bedingt in der Verantwortung für die Lebensumstände dieser Familien. In einer informellen Siedlung zu leben, wird als freie Entscheidung angesehen, auch wenn klar ist, dass den meisten Familien keine andere Wahl bleibt. Aus Sicht der Politiker sind die Campamentos ein unschönes Provisorium auf dem Weg zu einem besseren Leben. Dass viele Menschen seit zwanzig oder mehr Jahren im Campamento leben und Generationen dort aufgewachsen sind, wird meist ignoriert. Vereinzelte Stadtplanungsinitiativen, die Campamentos mit einbeziehen wollten, scheiterten bisher an der Frage, wie eine staatliche Einrichtung sich planerisch auf illegal besetztes Land begeben kann. Darüber hinaus wird befürchtet, dass immer mehr Menschen es vorziehen werden, ein Grundstück zu besetzen, statt Miete oder Raten an eine Bank zu zahlen, wenn der Staat diese Siedlungen offiziell anerkennt und ihre Entwicklung sogar planerisch unterstützt.
April 2014
Erst der Großbrand in der Stadt Valparaíso im April letzten Jahres hat eine landesweite Diskussion ausgelöst, inwieweit Gemeinden und Landesbehörden eine Verantwortung dafür tragen, wie die Menschen im Campamento leben und welchen Risiken sie ausgesetzt sind. Der vier Tage andauernde Stadtbrand zerstörte knapp 3000 Häuser und Wohnungen, sechzehn Menschen starben, mehr als 500 wurden verletzt. Besonders schwer betroffen waren acht Campamentos, weil das Feuer dort aufgrund der prekären Bausubstanz und der informellen Bauweise schneller übergreifen konnte als anderswo. Außerdem fanden Feuerwehr- und Rettungskräfte nur schwer Zugang über die steilen Wege, die oft kaum mehr als Trampelpfade sind. Nach dem Brand wurden vom Wohnbauministerium Studien in Auftrag gegeben, um die Lage der vom Feuer betroffenen, teilweise stark zerstörten Campamentos zu untersuchen. Diese technisch-sozialen Machbarkeitsstudien sollen Klarheit
darüber liefern, ob es möglich ist, die betroffenen Wohngebiete in die städtische Infrastruktur einzugliedern oder ob die Familien umgesiedelt werden müssen.
Diese Studien werden von den Bewohnern der Campamentos positiv aufgenommen. Trotzdem müssten viele weitere folgen, denn in der gesamten Region von Valparaíso gibt es landesweit die meisten solcher Siedlungen. Rund 10.000 Familien leben dort in 174 Campamentos, hauptsächlich in den Städten Valparaíso und Viña del Mar. Hier gibt es eine historische Verbindung zwischen den Campamentos und dem Wachstum der Stadt. Die geografische Lage der beiden Städte, auf vielen vom Meer aufsteigenden Hügeln, führte dazu, dass zunächst geplant auf den flachen Gebieten und auf breiten Hügelkämmen gebaut wurde. So blieb auf den ins Landesinnere ansteigenden, immer schmaler werdenden Hügelkämmen und den Schluchten dazwischen Platz für informelle Ansiedlungen. Nach und nach wurden viele dieser Siedlungen in die Stadt integriert und bekamen Wasser-, Abwasser- und Stromanschluss. Die heute noch existierenden Campamentos befinden sich in den ungünstigsten Lagen, von denen viele im städtischen Bebauungsplan als Gefahrenzonen für Erdrutsche markiert sind. Die Bewohner leben in der Hoffnung, dass die Stadt ihre Siedlung irgendwann erschließen wird.
Jetzt, nach dem Brand, hört man neue Stimmen. Das Feuer hat die Bewohner der Campamentos wachgerüttelt und ihnen die Gefahr vor Augen geführt, in der sie seit vielen Jahren leben. Sie fordern nun die Einhaltung der Menschenrechte, speziell des im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgehaltenen Rechts auf eine angemessene Unterbringung. Darauf antworten Behörden und Politiker mit dem Hinweis auf das chilenische Sozialwohnungsbauprogramm, dem Fondo Solidario de Elección de Vivienda. Tatsächlich ist dieses sehr ausgefeilte Programm in Chile die einzige relevante soziale Förderung von staatlicher Seite. Mit etwa 340 Euro Eigenanteil bekommen die bedürftigsten Familien ein eigenes Haus im Wert von circa 20.000 Euro. Zuvor durchlaufen die Antragsteller einen langen Prozess der Prüfung und Projektentwicklung, an dessen Ende sie dann Eigentümer eines bescheidenen, kleinen Hauses oder einer Wohnung sind. Es können jedoch nicht alle Menschen, die in den Campamentos leben, einen solchen Sozialwohnungsantrag stellen, da es zahlreiche Beschränkungen gibt.
TECHO
Im Campamento Mesana in Valparaíso könnten beispielsweise nur etwas mehr als die Hälfte der 130 Familien das Sozialwohnungsbauprogramm in Anspruch nehmen. Nachdem dort 16 Häuser dem Brand zum Opfer gefallen sind, wollen die Bewohner jedoch eine sichere Wohnlösung für alle Familien. Ihnen soll nicht dasselbe Schicksal widerfahren, wie den Menschen im benachbarten Campamento El Vergel, das komplett abgebrannt ist. 94 Familien haben hier ihr Zuhause verloren. Die Bewohner von Mesana hoffen darauf, dass sie auch nach Abschluss der Machbarkeitsstudie bleiben können. Sie haben an der Stelle der zertörten Hütten neue gebaut, unterstützt von vielen freiwilligen Helfern.
Nach dem Großbrand erfuhr das Campamento viel Solidarität von außerhalb. Es gab Sachspenden und Unterstützung beim Wiederaufbau, eine Architekten- und Künstlergruppe legte einen kleinen Platz im Campamento an. Heute ist der Strom der Solidarität wieder versiegt und die Familien in Mesana leben weiter wie zuvor. Solidarisch teilen sie, was sie haben. Diejenigen, die über einen Stromanschluss verfügen, lassen die Nachbarn illegal etwas abzweigen und teilen sich die Rechnung. Auch wenn das bedeutet, dass für alle der Anschluss unsicherer wird. Monatlich treffen sich die Familien in Versammlungen, in denen sie wichtige Themen des Zusammenlebens besprechen und Pläne für die Zukunft schmieden. Unterstützt werden sie dabei von jungen Helfern der NGO TECHO. Freiwillig tätige Studenten dieser Organisation helfen, Kontakte zu Behörden herzustellen, Schreiben zu verfassen oder Themen im Internet zu recherchieren, was viele der Bewohner nicht können, weil ihnen das Wissen oder die Infrastruktur dafür fehlen.
Die Gemeinschaft ist demokratisch organisiert, sie hat als Sprecher drei Vertreterinnen gewählt. Wie in den meisten Campamentos wird auch diese Gemeinschaft von Frauen geleitet. Im vergangenen Winter hat sie gemeinsam mit einer Gruppe von Studenten der NGO TECHO einen Gehweg aus Beton verlegt. Auch wenn dieses Projekt sehr einfach erscheinen mag, für die Bewohner bedeutet es eine entscheidende Verbesserung. Sie müssen nun nicht mehr die Schlammpiste hinunterschlittern, sondern kommen trockenen Fußes und sicher in die Stadt. Neben der Aufwertung ihrer Siedlung versuchen die Bewohner, mit solchen Aktionen ein Zeichen zu setzen. Sie wollen zeigen, dass sie sich nicht damit zufrieden geben, im Dreck zu leben, wie viele Chilenen glauben, sondern bereit sind, für ein besseres und sicheres Umfeld zu arbeiten.

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