Bauwelt

studioinges und die experimenta in Heilbronn


Debüt Nr. 01


Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Kleilein, Doris, Berlin


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Versuchsanordnung für ein Science Center: ein junges Architekturbüro, ein ehrgeiziger Bauherr, achtzehn Monate Bauzeit. Ein Gespräch mit den Architekten über Plakativität am Bau und die Funktion der Kiwi.
Um 2005 entstand in Heilbronn die Idee, in dem leer stehenden Speichergebäude der ehemaligen Ölmühle Hagenbucher ein Science Center einzurichten. Kurz zuvor hatten Francesca Saetti, Stefan Schwirtz und Thomas Bochmann in Berlin-Prenzlauer Berg studioinges gegründet. Der Name des Büros ist eine Abwandlung von „Inges Emmaladen“, wie das angemietete Ladenlokal früher hieß. Man kann in der Namensgebung durchaus eine Haltung sehen: Das Überkommene, das Vergangene darf in den neuen Formen und Funktionen sichtbar bleiben. Auch im Umgang der Architekten mit dem ehemaligen Saatgutspeicher in Heilbronn wird der Respekt vor der Geschichte deutlich: Nicht das architektonische Spektakel, sondern die Würde des Altbaus von 1937 stand im Vordergrund. Mit dieser Zurückhaltung gewann studioinges den Wettbewerb (Heft 17.2007), nun wurde das erste große Realisierungsprojekt des Büros eröffnet: die „experimenta“. Der Ergänzungsbau hat die Materialität des Bestands übernommen und damit die solide Wirkung des Ensembles ohne anbiedernde Maßnahmen verstärkt. Sämtliche Aufregung ist ins Innere verlegt worden, wo Kinder und Jugendliche durch professionelles Edutainment an naturwissenschaftliche und technische Phänomene herangeführt werden. Pro Jahr werden 100.000 Besucher erwartet. Die Baukosten von knapp 16 Millionen Euro teilte sich die Stadt Heilbronn mit dem Land Baden-Württemberg und privaten Sponsoren, neben Energieversorgern in erster Linie die gemeinnützige Dieter-Schwarz-Stiftung, die ihre Bildungsprojekte aus Ausschüttungen der Unternehmen Lidl und Kaufland finanziert und die laufenden Betriebskosten der experimenta trägt.

Ihre Pressemitteilung zur Eröffnung der experimenta war so umfassend und professionell, dass wir den Eindruck hatten: Da müssen wir gar nicht mehr hinfahren.

Stefan Schwirtz | Das ist aber schlecht!
 
Wie kam sie zustande?

Thomas Bochmann | Wir müssen mit unserem ersten Werk akquirieren. Uns war klar: Wenn das Gebäude fertig ist, muss die Pressearbeit beginnen. Man darf da auch nicht sparen, etwa bei der Wahl des Fotografen. Es ist aber eine Arbeit, die man gerne macht: sein Gebäude zu dokumentieren. Vor allem das erste  wichtige Gebäude.
 
Wo haben Sie das gelernt?

TB | Im Büro Léon Wohlhage Wernik, das wir alle drei durchlaufen haben, gehörte zum Entwerfen auch die Pressemappe, also Layouten, Zusammenfassungen schreiben usw. Wir haben das irgendwann verinnerlicht.
Francesca Saetti | Außerdem ist es ja auch ein Ausdruck der Freude über die eigene Arbeit.
 
Diese Pressemappe ähnelte im Sprachduktus eher einer Architekturbesprechung.

TB | Uns war es wichtig zu zeigen, wie vielschichtig das Projekt ist. Wenn ich mir Pressemappen anderer Büros oder Erläuterungsberichte in Zeitschriften ansehe, sind die inhaltlich oft flach, beschränkt auf Materialien, Funktion, Kosten. Warum soll man die Gedanken, die man beim Entwerfen und beim Planungsprozess hatte, nicht aufschreiben? Es hat auch etwas Befreiendes. Vielleicht macht man das aber nur beim ersten Mal.
 
Was ist an dem Projekt vielschichtig?

SS | Als wir den Altbau zum ersten Mal sahen, dachten wir an alles, nur nicht an ein Science Center. Viele andere Wettbewerbsteilnehmer haben wilde Sachen damit gemacht. Wir wollten, dass das Gebäude seine ruhige Kubatur behält, und haben das Spektakuläre nach innen verlegt. Durch den leichten Versatz zwischen Neubau und Altbau wird ein bisschen davon angedeutet. Diese Ansicht war für uns wichtig, weil sie ins Auge springt.
FS | Unser Bild beim Entwerfen war das einer aufgeschnittenen Frucht mit rauerSchale. Das ist während des Wettbewerbs entstanden, und wir haben das als plakative Darstellung unserer Idee auf den Plänen verwendet. Das kam ganz gut an.
 
Inwieweit?

FS | Es wurde gleich als „das Gebäude mit der Kiwi“ identifiziert. Als wir das erste Gespräch mit dem Bauherrn hatten, stand da auch eine Schale mit geschnit­tenen Kiwis. Eine schöne Geste.
 
Das Bild durfte also nicht zu komplex sein?

TB | Jurymitglieder haben uns im Nachhinein bestätigt, dass die Nicht-Architek­ten unser Konzept durch diese Darstellung besser verstanden haben. Die halbe Jury besteht schließlich aus Architektur-Laien.
 
Wie ließ sich diese Plakativität im Bau umsetzen?
TB | Die Marketingabteilung der experimenta hat die grüne Farbe des „Fruchtfleischs“ aufgenommen. Anfangs war sie noch skeptisch, weil bei den Naturwissenschaften eher Blau als Leitfarbe gilt. Aber mit dem Grün gibt es ein Alleinstellungsmerkmal, und heute ist das Marketing der experimenta ganz auf dasGrün ausgerichtet.

Wie hat sich das Marketing auf die Gestaltung ausgewirkt?

TB | Nachdem wir den Wettbewerb gewonnen hatten, ist der Name experimenta aufgekommen. Der Betreiber wollte den Namen an das Gebäude bringen. So et­-was ist immer heikel. Da haben wir die Flucht nach vorne angetreten und vorgeschlagen, den Schriftzug an die grüne „Schnittfläche“ zu bringen. Diese Wand strahlt in die Stadt hinein, und es bot sich an, da etwas Besonderes zu machen, das mit der Architektur verschmilzt und dem Haus eine Art Label gibt.
 
Wie materialisiert sich das?

SS | Diese grüne Schnittfassade musste etwas Artifizielles, etwas Glattes sein, als Kontrast zu den rustikalen Klinkern. Am Ende sind es Aluminiumplatten geworden, die wir in Grüntönen belegt haben, eigentlich eine abstrakte Verpixelung des Kiwi-Fruchtfleischs. Grünes Licht auf die grüne Fläche zu strahlen hat die Wirkung noch mal intensiviert.
TB | Auf der Altbauseite sind einzelne Klinker gegen farbige LED-Strahler ausgetauscht worden. Im Grunde kann man den Schriftzug auch verschwinden lassen. Es ist ein reflektierender Schriftzug, der von zwei Punkten aus angestrahlt wird wie ein Verkehrsschild. Wenn man sich im Schwenkbereich des Strahlers befin-det, leuchten sie auf. Wenn das nur grün beleuchtet wird, sieht man die Schrift im Grunde nicht.
 
Inwieweit können Sie sich mit dem Innenleben der experimenta identifizieren?

TB | Das Konzept Science Center ist eine Gratwanderung zwischen Pädagogik und Unterhaltung. Es hat aber seine Berechtigung, gerade für Heilbronn, wo es mehr auf Schulklassen abzielt und nicht so sehr auf Ausflügler.
SS | Es war der Wunsch des Hauptsponsors, nicht nur eine Ausstellung, sondern auch wissenschaftliche Labore einzurichten, deren Betrieb recht kostenintensiv ist. Wir haben die Räume dafür hergerichtet, uns aber im Detail nicht mit den Exponaten beschäftigt.
 
Mal angenommen, in der experimenta soll den jungen Besuchern Architektur vermittelt werden: Wie könnte das aussehen?

SS | Man müsste es den Kindern so vermitteln, dass sie nicht gleich den Wunsch haben, Architekt zu werden.
FS | Ich hoffe, dass wir mit unserem Gebäude das Bewusstsein für Architektur schärfen – beiläufig sozusagen. Wie wirken Farben in einem Gebäude, wie erschließt es sich, was kann man aus einem Altbau machen?
TB | Wie ein Doppelkupplungsgetriebe funktioniert, kann man leichter vermitteln als Architektur. Architektur kann vieles sein, kann so oder so funktionieren. Ich weiß gar nicht, ob ich das jemandem vermitteln möchte. Architektur ist doch eher ein Prozess, der sich nicht mal eben in einer Stunde erklären lässt.



Fakten
Architekten studioinges, Berlin
aus Bauwelt 10.2010
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