Bauwelt

Axel Sowa, Susanne Schindler und Candide

Debüt Nr. 02

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Schindler, Susanne, Rotterdam; Sowa, Axel, Aachen

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Axel Sowa, Susanne Schindler und Candide

Debüt Nr. 02

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Schindler, Susanne, Rotterdam; Sowa, Axel, Aachen

Der Anspruch: das vielfältige Wissen der Architektur zu erschließen, aufzubereiten und darzulegen. Eine Skype-Konferenz mit den Herausgebern über die Zeitschrift als Lerngemeinschaft.
Das Ergebnis meines Selbstversuchs mit der ersten Ausgabe von Candide: zwei von insgesamt fünf Beiträgen sofort gelesen (mit Gewinn), zwei weitere begonnen und fest vorgenommen, die Lektüre später fortzusetzen (und es auch getan), einen Beitrag nicht verstanden (auch nicht beim zweiten Lesen); über ein Abonnement ernsthaft nachgedacht. 
Die Bezeichnung „Journal for Architectural Knowledge“ ist kaum elegant ins Deutsche zu übersetzen. Die fünf Rubriken heißen Essay, Analyse, Projekt, Begegnung und Fiktion; allesamt Begriffe, die dehnbar genug sind, um alles Mögliche aufzunehmen, ohne beliebig zu werden. Zum Beispiel: die Ausdeutung des Inhaltsverzeichnisses von Vitruvs „Zehn Büchern über Architektur“; ein Gespräch über die schwierig zu fassenden Welten parametrischen Entwerfens; eine Analyse über die Darstellung von Stadträumen in deutschsprachigen Kinderfibeln; Reflexionen über den angemessenen entwerferischen Umgang mit dem Humboldt-Forum; Betrachtungen über ein dänischen Wohnhaus als Speicher der Familiengeschichte.
 Besonders hervorzuheben ist die Gestaltung von Candide durch die Grafikerin Katja Gretzinger: zurückhaltend, aber nicht unsinnlich. Man nimmt das Ding einfach gerne in die Hand. Das Programm des vorgeschalteten Candide-Symposiums, das im November an der RWTH Aachen stattfand, war mir auf den ersten Blick begriffsüberfrachtet vorgekommen. Die 20 dort gehaltenen lectures, die die Organisatoren (und Herausgeber) aus 111 Einreichungen destilliert hatten, bilden den Grundstock für die nächsten Ausgaben. „Architectural Knowledge“ gerät hier offensichtlich in gute Hände.


Können Sie uns kurz erklären, warum eine wissenschaftliche Zeitschrift so heißen muss wie der Romanheld von Voltaire?
Axel Sowa | Uns gefiel es gut, dass man im Namen einer Person schreibt, auch wenn es eine fiktive ist. Die Figur Candide hat immer nur Schläge eingesteckt und dadurch gelernt. Weil unser Projekt auch ein bisschen verwegen ist und wir vermuten, dass nicht alles glatt gehen wird, haben wir uns ein beinahe abschreckendes Vorbild gesucht: ein anti-heroisches Modell.
 
Sie schreiben im Vorwort, es gäbe eine Nachfrage nach einem Magazin wie Candide. Wie haben Sie die ermittelt?
Susanne Schindler | Architekten, die an Hochschulen lehren, stehen – vor allem im angelsächsischen Raum – unter einem enormen Druck, Jahr für Jahr zu belegen, was sie geleistet haben: An wieviel Konferenzen haben sie teilgenommen? Was haben sie veröffentlicht? Eine Publikation in einem Peer-Reviewed-Journal – wo die Inhalte von Fachkollegen begutachtet werden – zählt dabei mehr als eine Veröffentlichung etwa in der Bauwelt oder in L’Architecture d’Aujourd’hui. Bei der Tagung, die wir im November zur Lancierung von Candide in Aachen veranstaltet haben, wurde deutlich, dass diese Art zu arbeiten an Hochschulen in England, USA und Skandinavien etabliert ist, im Gegensatz zum deutschsprachi­gen Raum. Da sehen wir die Marktlücke.
 
Wie haben sich diese wissenschaftlichen Standards auf Candide ausgewirkt?
AS | Uns war bei der Konzeption der Zeitschrift wichtig, der Eigenart von Architektur Rechnung zu tragen. Das ist eine besondere Wissenskultur, von der man nicht sicher ist, ob sie eher mit der Kunst zu tun hat, mit den Ingenieurs- oder mit den Humanwissenschaften oder letztendlich nur mit Berufspraxis. Darüber streiten sich die Geister. Für uns ist attraktiv, dass sich Schreibende und Lesende im Sinne einer Lerngemeinschaft an dieser Zeitschrift beteiligen.
SS | Durch die Zweisprachigkeit können wir die Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum exportieren und das, was in der Welt passiert, importieren. Dass Candide nicht rein englischsprachig ist, liegt daran, dass wir die deutsche Sprachkultur fördern wollen.
 
Ein Gegenmodell zur Fachzeitschrift?
AS | An der Universität gibt es ein besonderes Verhältnis zur Architektur. Die Berechtigung der Architektur an einer Uni vertreten zu sein, hat mit der Weitergabe von Wissen zu tun. Das war ein zentrales Motiv für die Zeitschriftengründung. Nicht so sehr um den Bizeps der Auflagenstärke zu zeigen, sondern um zusammen mit anderen schlauer zu werden. Es ist keine Einbahnstraße, wo die Information ausschließlich vom Sender zum Empfänger fließt, sondern eher der Versuch, durch gegenseitiges Überprüfen weiterzukommen. Bei Fachzeitschriften entscheidet eine Redaktion darüber, was rein kommt.
 
Sie verlagern diese Entscheidung auf externe Gutachter. Wie geht das?
SS | Autoren können unveröffentlichte Texte einsenden und wir als Herausgeber entscheiden, ob diese grundsätzlich für Candide interessant sind. Wenn ja, dann suchen wir uns Experten, die sich auf dem jeweiligen Feld auskennen, und bitten sie, ein kurzes Gutachten zu schreiben. Diese Kommentare senden wir anonymisiert an die Autoren zurück, und selbst wenn ihre Texte für eine Veröffentlichung
in Candide nicht in Frage kommen sollten, entstehen auf diese Weise Lernprozesse – bei den Autoren und bei uns.
 
Außerdem haben Sie einen Beirat. Wie setzt er sich zusammen?
AS | Er bildet die fachinterne Komplexität ab: Leute mit sozialwissenschaftlichem Ansatz, praktizierende Architekten, Historiker. Wir haben nicht nach großen Namen auswählt, es geht uns nicht um die Werbeträchtigkeit, sondern um die Öffnung des Wissensfeldes Architektur hin zu Nachbardisziplinen, ohne das Spezifische der architektonischen Wissenskultur zu verlieren. Das soll sich auch in der Heftstruktur widerspiegeln: Jede Ausgabe gliedert sich in fünf Rubriken.
 
Mit den zwei Ausgaben schaffen Sie im Jahr gerade mal zehn Beiträge. Wird es
da nicht irgendwann zu eng?
SS | Je selektiver wir sein können, desto besser. Wenn sich Autoren drängeln, um in Candide veröffentlicht zu werden, haben wir erreicht, was wir wollten. Müssten wir Autoren beauftragen, deren Arbeit wir schätzen, hätte sich das Peer-Review-Verfahren erübrigt.
AS | Vielleicht kann man das über den Umfang der Beiträge erklären. Die haben eine Länge von 30.000 bis 50.000 Zeichen und das ist – zudem noch zweisprachig – ein ziemlich heftiges Maß. In der Aujourd’hui war bei 12.000 Zeichen Schluss. Bei uns haben die Autoren die Möglichkeit, ihre Gedanken in einem anderen Umfang zu entwickeln. Deswegen ist Candide eher zwischen einer Zeitschrift und einem Taschenbuch angesiedelt.
 
Bei so vielen qualifizierten Mitwirkenden stellt sich die Frage nach der Finan-
zierung des Projekts.
SS | Wissenschaftliche Zeitschriften werden meist zu sehr hohen Preisen verkauft, was die Budgets der Universitätsbibliotheken belastet. Gemeinsam mit dem transcript Verlag haben wir uns auf einen annehmbaren Preis von 17 Euro geeinigt, der, wie wir hoffen, eine weite Verbreitung ermöglicht. Die RWTH Aachen und unsere Architekurfakultät sind bereit, unser Projekt in der Startphase zu unterstützen.
AS | Etablierte Zeitschriften finanzieren sich durchaus über das Abo oder den Verkauf von Einzelheften. Candide hat einen hybriden Charakter, denn nach einer Sperrfrist von sechs Monaten werden alle Beiträge im Sinne eines Open-Access-Jounals gratis online verfügbar sein. Das deutet wieder darauf hin, dass es nicht um Gewinnabsichten geht, sondern um ein Wissensprojekt.
 
Soll die recht aufwendige Herstellung beibehalten werden?
AS | Erstmal schon. Die Grafikerin Katja Gretzinger ist nicht nur für das Layout, sondern auch für die Haptik der Zeitschrift verantwortlich. Wir fanden ihren Vorschlag gut, dass die Rubriken jeweils in eigene Heftdeckel eingeschlossen sind. Man begreift, dass es inhaltliche Sprünge gibt, und dass das Ganze als ein heterogenes Ding am Ende zusammengenäht wird.
 
Ist Candide die neue Arch+?
SS | Die Arch+ hat einen Größenanspruch, wir stechen durch unsere Exklusivität hervor.
AS | Die Arch+ hat Themenhefte und eine Redaktion, die seit über vierzig Jahren mehr oder weniger von zwei Protagonisten kontrolliert wird. Allein diese Kons-tellation, aber auch die ständige Verjüngung bei Arch+ ist sicher etwas Besonderes. Unser Projekt fängt anders an und wird auch anders altern.
 
Fakten
Architekten Susanne Schindler, Axel Sowa
aus Bauwelt 14.2010
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