Bauwelt

„Unsere Stadt soll nicht vergammeln!“

Sind alternde Einfamilienhaus-Siedlungen ein Problem? „Aber ja“, hört man überall, „aber nicht in meiner Stadt!“ Cuxhaven ist da um einiges weiter. Die Stadt ist 2007 als Erste das Problem offensiv angegangen. Wir sprachen mit dem Initiator Ulrich Lasius über ein mutiges Projekt – und eine unerwartete neue Nachfrage

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

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    Ulrich Lasisus | Jg. 1959, studierte Raumplanung an der Universität Oldenburg. Nach zehn Jahren als Projektleiter im Bremer Stadtplanungsbüro Plan Werk Stadt arbeitet er seit 1999 für die Stadt Cuxhaven, derzeit in der Abteilung Bauleitplanung und Stadtentwicklung. 2007 initiierte er das viel beachtete Projekt „Die Wohnlotsen“

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    Ulrich Lasisus | Jg. 1959, studierte Raumplanung an der Universität Oldenburg. Nach zehn Jahren als Projektleiter im Bremer Stadtplanungsbüro Plan Werk Stadt arbeitet er seit 1999 für die Stadt Cuxhaven, derzeit in der Abteilung Bauleitplanung und Stadtentwicklung. 2007 initiierte er das viel beachtete Projekt „Die Wohnlotsen“

„Unsere Stadt soll nicht vergammeln!“

Sind alternde Einfamilienhaus-Siedlungen ein Problem? „Aber ja“, hört man überall, „aber nicht in meiner Stadt!“ Cuxhaven ist da um einiges weiter. Die Stadt ist 2007 als Erste das Problem offensiv angegangen. Wir sprachen mit dem Initiator Ulrich Lasius über ein mutiges Projekt – und eine unerwartete neue Nachfrage

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

Herr Lasius, Cuxhaven gilt seit Jahren als das Beispiel für den demographischen Wandel und dessen Auswirkung auf Einfamilienhaus-Siedlungen. Warum?
Wir sind eine seit über vier Dekaden schleichend schrumpfende Stadt mit derzeit rund 48.000 Einwohnern – und ca. 11.000 Einfamilienhäusern. Sie nehmen 54 Prozent unseres Siedlungsgebietes ein. 2007 hatten wir die Vermutung, dass es hier einen Überhang gebe. Eigentlich hatten wir uns zu der Zeit damit befasst, die besten Flächen für neue Einfamilienhausgebiete zu finden. Aber immer wenn wir an den Stadtrand fuhren, um uns ein potenzielles Neubaugebiet anzuschauen, kamen wir durch die alten Einfamilienhausgebiete. Da war nicht zu übersehen, dass diese Häuser gerade vermehrt auf den Markt schlugen, und das nicht sehr erfolgreich. Ein Makler sagte uns damals, wo ein Schild „Zu verkaufen“ steht, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Das brachte uns zum Nachdenken. Wir arbeiteten an Neubaugebieten, aber eigentlich hatte die Stadt ein ganz anderes Problem: Was passiert denn mit dem ganzen Bestand, der energetisch aus heutiger Sicht vom Mond kommt?
Sie haben also ein Problem erkannt, vor dem andere Städte noch die Augen verschließen. Wie haben Sie darauf reagiert?
Wir wollten das Problem handfest anpacken: aufspüren, was ist da eigentlich los, dann Image-arbeit für den Bestand machen und verschiedene Akteure einbinden. Durch die Teilnahme am Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) konnten wir das angehen und zunächst einmal eine kleinräumliche Prognose erstellen lassen, um das Thema zu versachlichen.
Was zeigte der sachliche Blick?
Die Simulation hat für 90 Prozent unserer Einfamilienhäuser die Anzahl der Haushalte mit dem Alter der Bewohner, der wahrscheinlichen Bevölkerungsentwicklung, den Wohnpräferenzen usw. verschnitten. Es kam heraus, dass wir bis 2030 für jedes vierte Einfamilienhaus keine Dauerbewohner mehr haben werden, und zwar nicht in einzelnen Gebieten, wie wir vermutet hatten, sondern flächendeckend.
Wie geht man mit solch einer harten Prognose um?
Auf der einen Seite war das hilfreich, um mit der Politik sachlich über ihre Neubauflächenerwartungen diskutieren zu können. Ein Prophet im eigenen Land hat es mit vermeintlich schrecklichen Zahlen immer schwer. Bis 2004 haben wir jährlich für durchschnittlich 100 neue Einfamilienhäuser Flächen planreif gemacht – obwohl wir damals schon Gebiete hatten, die über 30 Jahre brauchten, um vollzulaufen! Nachdem der geringere Bedarf amtlich war, haben wir 2008 für die Zukunft einen Korridor von 50 gesteckt. Das genügt völlig, um die Menschen abzuholen, die auf keinen Fall in einen Altbau wollen.
Und auf der anderen Seite – was passiert mit den Bestandsgebieten?
Hier war unsere Idee, wir bauen einen „Wohnlotsen“ auf: eine Person, die sich kümmert, die makelt, Imagearbeit macht und nach außen geht und alle möglichen Interessenten in diese Gebiete leitet. Ein Hansdampf in allen Gassen, der das alles hinkriegt. Das war so eine abstrakte Vorstellung: Wir brauchen jemanden, der sich um das Problem kümmert. Mit dem Konzept sind wir in das ExWoSt-Projekt gestartet.
Wie hat sich das Konzept in der Praxis bewährt?
Das war ein Luftschloss. Den einen Wohnlotsen gab es dann nicht, weil der sich nicht finanzieren ließ. Es stellte sich heraus, dass unsere Stadt zu klein dafür ist.
Und dann?
Wir haben eine Veranstaltung zum Thema gemacht, die zur Öffentlichkeitsarbeit des ExWoSt-Projekts dazugehörte. Da hat sich ein harter Kern verschiedener Akteure zusammengefunden, die sich um den Altbau scharen: Architekten, Makler, Banken, die Handwerkerschaft, ein Energieversorger. Gemeinsam bilden sie jetzt „die Wohnlotsen“. Wir von der Stadt dürfen nur ideell mitarbeiten, da man sich hier auf privaten Geschäftsfeldern tummelt, was die Kommune nicht darf. Aber das war auch der Ansatz: Wir helfen den Akteuren auf die Sprünge, aber dann müssen sie selber laufen.
Wie funktionieren die Wohnlotsen?
Im Grunde ist es ein Kreis privater Akteure, die ehrenamtlich für kommunale Ziele eintreten, weil sie für sich auch einen Nutzen darin sehen – sonst bleibt ja keiner bei der Stange. Über allem steht der Wunsch: Unsere Stadt soll nicht vergammeln! Seit 2010 ist das als Projektgemeinschaft „Wohnlotsen“ organisiert, mit einem Vorstand, einer Geschäftsordnung und so was wie einer „Berufsethik“: Wenn jemand sich meldet und einen Rat sucht, den man selbst nicht geben kann, dann vermittelt man den an einen „Wohnlotsenbruder“. Es soll keiner ausgebremst werden, der darüber nachdenkt, in unsere Stadt zu ziehen.
Spüren Sie in der Stadt konkrete Auswirkungen dieses Beratungsangebots?
Das ist schwer zu messen. Aber in den letzten fünf Jahren sind die Preise für Einfamilienhäuser um 10 Prozent gestiegen, und es werden auch mehr Häuser verkauft – das ist bei einer stark schrumpfenden Bevölkerung schon ein Erfolg. Wir haben berechnet, dass man ca. 50 Verkäufe mehr pro Jahr generieren müsste, damit man die Einfamilienhausgebiete dauerhaft bewohnt bekommt.
Ein ambitioniertes Ziel. Wie ist die Lage heute in den Einfamilienhausgebieten von Cuxhaven?
Die aktuellen Verkaufszahlen haben uns überrascht: seit dem letztem Jahr hat sich das ganz erstaunlich entwickelt. Wir hatten immer um die 200 Verkäufe von Einfamilienhäusern im Jahr – 2013 waren es plötzlich um die 300! Man könnte jetzt also sagen, die Wohnlotsen haben super gearbeitet, und wir haben eine tolle Imagearbeit für den Bestand gemacht. Es kommt aber nicht nur daher.
Woher kommt der neue Boom?
Ich denke, dass wir es hier nicht nur mit Dauerbewohnern zu tun haben – die die Wohnlotsen ja gewinnen wollen. Es sind möglicherweise auch Leute dabei, die sich jetzt so eine Hütte für billiges Geld kaufen und ab und an im Urlaub hierher kommen. Oder die Häuser werden als Ferienwohnungen vermietet. Gegenwärtig kommt da auch nicht weniger Rendite raus als bei der Bank.
Freuen Sie sich über die neuen Teilzeitbewohner, oder ist das ein Problem für diese Gebiete?
Rein juristisch gesehen ist das ein Problem: Hier bekommen ganze Gebiete einen neuen Charakter, obwohl nach Planrecht zum Teil keine einzige Ferienwohnung zulässig wäre. Darum kümmern wir uns gerade. Aber viele Cuxhavener leben davon oder verdienen ein Zubrot damit, und das finde ich auch nicht schlimm. Wir können es uns möglicherweise nicht erlauben zu sagen, wir wollen nur Dauerbewohner. Die kriegen wir einfach nicht. Schade wäre es natürlich, wenn die guten Lagen für temporäre Nutzungen weggingen. Und manche befürchten auch, dass Quartiere überfremden. Hier müssen wir über Steuerungsmöglichkeiten, Ziele und den politischen Gestaltungswillen diskutieren. Aber wenn man es positiv werten will, ist es eigentlich viel besser für die Stadtentwicklung, wenn das Vermögen in Immobilien investiert wird anstatt in abstrakte Finanzpapiere. Und ein guter Nebeneffekt ist, dass die Leute, die bisher ihr Haus für ihre Altersvorsorge entweder gar nicht verkauft bekommen haben oder keinen adäquaten Preis erzielen konnten, nun eine Chance haben.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Einfamilienhausgebiete?
Auch wenn die Verkaufszahlen gerade hochgehen: die unattraktivsten Bestände werden irgendwann überbleiben. Entweder gibt es dann Sanierungsgebiete – was ich nicht glaube, denn man erreicht zu wenig Leute damit –, oder es werden irgendwann Teile abgeräumt, wenn Gefahr im Verzug ist. Aber darauf weist bei uns im Stadtgebiet im Moment nichts hin.
Inwieweit kann sich die Stadt langfristig in diesen Gebieten engagieren?
Erst mal beobachten wir und sind froh, dass es gerade mal in die andere Richtung geht. Wir sind als Stadt in so vielen Bereichen am Limit, wir können uns nicht auf Dauer in diesen bürgerlichen Milieus tummeln. Wir müssen unsere Mittel im zentralen Bereich der Stadt bündeln. Dort planen wir gerade einen Wettbewerb für ein überschaubares Wohnquartier für „Mehrgenerationenwohnen“ – das zielt unter anderem natürlich auf Bewohner, die in ihrem Einfamilienhaus nicht mehr zurechtkommen und gerne am Ort bleiben wollen. Die Förderbedingungen für Wohnungen für Menschen ab 60, Wohngruppen mit Pflege und Ähnliches sind gerade wirklich gut. Wir versuchen als Kommune, hier qualitativ voranzugehen – denn auch die Geschossbauten in unserer Stadt können einen Qualitätswettbewerb gut vertragen.
Also wird es so schnell keine „Wohnlotsen 2.0“ geben?
Ein zweiter Schritt, den ich im Kopf habe, wäre ein Projektentwickler im Bestand. In Nordrhein-Westfalen gibt es so was, wo es richtig eng ist mit Wohnraum. Da kaufen Investoren ein Grundstück nach dem anderen und möbeln die Gebäude ein paar Geschosse höher wieder auf. Aber wir haben ja nicht das Problem, dass die Leute keine Wohnung finden. Wir versuchen, das Niveau zu halten beziehungsweise die Qualitätsschraube vorsichtig etwas höher zu drehen – und dafür sind die Aussichten zum Glück ein bisschen besser geworden.
Fakten
Architekten Lasius, Ulrich, Cuxhaven
aus Bauwelt 48.2014
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