Bauwelt

Klimakapseln

Schutz­hüllen-Retrospektive in Hamburg

Text: Holl, Christian, Stuttgart

Klimakapseln

Schutz­hüllen-Retrospektive in Hamburg

Text: Holl, Christian, Stuttgart

Künstliche Klimahüllen, mobile Behausungen, Stadtentwürfe, Installationen und filmisch dokumentierte Performances – das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt utopische Entwürfe, Projekte und Zukunftsszenarien aus den letzten fünfzig Jahren, in denen Architekten, Designer und Künstler sich mit den (drohenden) Folgen von Umweltverschmutzung und Klimakatastrophe auseinandergesetzt haben. Schon von außen unübersehbar: „Oase Nr. 7“ von Haus-Rucker-Co aus dem Jahr 1972, ein kugelförmi­ges, transparentes Pneu, das eine Hängematte unter armseligen Palmen birgt. Mit seinem im Museum als Notausgang gekennzeichneten Zugang ironisiert es die Hoffnung auf eine Flucht vor der Normalität: Der Rückzug in die Blase führt wieder nur in den städtischen Alltag hinaus.
Ein Zelt für Obdachlose (Michael Rakowitz, 1998), das die Marginalisierten an Abluftschächte anschließen können, um ihre Behausungen „parasitär“ zu heizen, steht im Kontrast zum Entwurf für schwimmende Städte für Klimaflüchtlinge (Vincent Callebaut, 2008), die eher an Ferienparadiese für Superreiche denken lassen. Und hoffte Richard Buckminster Fuller 1960 noch, im überkuppelten Man­hattan einen Garten Eden für eine ganze Stadt zu schaffen, symbolisiert Werner Sobeks Haus R129 (Planung seit 2001) nur noch die Individualfassung dieses Paradiestraums.
So manche positivistische Position wird durch eine kritische gebrochen. Dies hat Kurator Friedrich von Borries präzise inszeniert – wie das Gezeigte letztlich einzuordnen ist, muss der Besucher allerdings selbst entscheiden. Es ist ja zu begrüßen, dass Fragen gestellt werden, statt Antworten zu geben. Trotzdem schöpft die Schau das Potenzial der Exponate nicht aus. Die Klimakapseln des Alltags – Erlebnisparadiese, Einkaufszentren – bleiben unerwähnt. Jedes Auto ist inzwischen eine Klimakapsel. Allein damit hätte sich zeigen lassen, wie sehr jeder von uns in dieser schizophrenen Szenerie, die sich hier auftut, mitspielt: Klimakapseln versprechen nicht nur Hilfe – sie sind selbst Teil des Problems, Teil jenes Denkens und Handels, das erst schafft, wovor die Kapsel zu schützen verspricht.
Profunder setzt sich das Begleitbuch mit dieser Komplexität auseinander. Ein auf sich selbst verweisendes Glossar hilft, die Ausstellung abwechslungsreich Revue passieren zu lassen. Dazu hat von Borries Texte aus Literatur und Wissenschaft zu einer Art Typologie der Protagonisten in Klimawandelzeiten collagiert: der Widerstandskämpfer, der Flüchtling, der Sonnenlenker, der Wettermacher, der Kapitän. Und der Architekt. Ob Kapselstädte gerecht sind oder ungerecht, gut oder schlecht, diese Frage habe sich der Architekt nie gestellt, heißt es da. Die Ausstellung beantwortet sie auch nicht. Stattdessen fragt sie den Besucher angesichts der schönen neuen Kapselwelt: „Wollen wir in Zukunft so leben?“ Die entscheidende Frage aber wird nicht gestellt: Wie werden wir angesichts der Fähigkeit des Menschen, mit der Herausforderung der Klimakatastrophe umzugehen, überhaupt überleben können?
Fakten
Architekten von Borries, Friedrich, Berlin
aus Bauwelt 24.2010
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

10.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.