Bauwelt

Von der Serie zur Losgröße eins

„Wendepunkte im Bauen“-Ausstellung in München

Text: Paul, Jochen, München

Von der Serie zur Losgröße eins

„Wendepunkte im Bauen“-Ausstellung in München

Text: Paul, Jochen, München

„Wendepunkt im Bauen“ nannte Konrad Wachsmann sein 1959 erschienenes Manifest für eine konsequente Industrialisierung des Bauens. Welche Wirkung der Theorieklassi­ker hatte und wie die Zukunft des seriellen Bauens aussehen könnte, untersucht im Abstand von einem halben Jahrhundert die gleichnahmige Ausstellung im Architekturmuseum der Techni­schen Universität.
„Wendepunkt im Bauen“ nannte Konrad Wachsmann sein 1959 erschienenes Manifest für eine konsequente Industrialisierung des Bauens. Ausgehend von einer ausführlichen Dokumentation des Crystal Palace, den Joseph Paxton 1851 für die Londoner Weltausstellung errichtet hatte, entwickelte Wachsmann die Forderung, den herkömmlichen Baubetrieb nach dem Vorbild der Automobilindustrie durch Vorfertigung der Bauteile in der Fabrik und Montage auf der Baustelle zu ersetzen. Welche Wirkung der Theorieklassi­ker hatte und wie die Zukunft des seriellen Bauens aussehen könnte, untersucht im Abstand von einem halben Jahrhundert die in Kooperation mit den Lehrstühlen für Tragwerksplanung und Architekturinforma­tik der TU München erarbeitete Ausstellung „Wende­punkte im Bauen“ im Architekturmuseum der Techni­schen Universität.
Auch wenn die Arbeiten des 1901 in Frankfurt/Oder geborenen Architekten nach seiner Emigration in die USA 1941 weitestgehend Papier blieben, hat „Wendepunkt im Bauen“ wie kaum eine andere Publi­kation die Nachkriegs-Architekten beeinflusst. (Allenfalls Robert Venturis „Complexity and Contradiction in Architecture“ von 1966 und Aldo Rossis im selben Jahr erschienene „L’Architettura della Città“ waren von ähnlicher Bedeutung.) Die Wirkung von Wachsmanns Schrift war nicht zuletzt deshalb so enorm, weil er nach dem Scheitern seines ab 1941 mit Walter Gropius entwickelten „Packaged House“-Fertighaussystems – die dafür gegründete General Panel Corporation meldete 1952 nach maximal 200 verkauf­ten Exemplaren Konkurs an – und der Arbeiten an einem modularen System zum Bau von Flugzeughangars für die US Air Force (1944/45) vor allem als Leh­rer wirkte, unter anderem am Chicago Institute of Design, an der University of Illinois, der HfG Ulm, der Salzburger Sommerakademie und der University of Southern California.

Die digitale Revolution: Lösung für die Grundprobleme des seriellen Bauens

Im ersten Teil der Ausstellung reihen sich die Meilen­steine des seriellen Bauens in Form von Modellen, Filmen und Animationen wie auf einem Fließband um Konrad Wachsmanns Flugzeughangar: so erfolgrei­che wie die „Balloon Frame“-Bauweise (George W. Snow, 1832), der Münchner Glaspalast (August von Voith, 1853/54), die Zollbauweise (Friedrich Zollinger, ab 1904) und das MERO-System (Max Menge-ring­hau­sen, 1937); frühe Pionierleistungen wie der Tetrahedral-Tower (Alexander Graham Bell, 1907) und die doppelt gekrümmte Gitterschale (Wladimir Grigorjewitsch Schuchow, 1897/98); Ikonen wie Jean Prouvés „Maison Tropicale“ (1949–51), Richard Buckminster Fullers „Dymaxion-House“ (1929) und „Geodesic Dome“ (1952/53) und Renzo Pianos IBM-Pavillon (1982–84); unrealisiert gebliebene wie Helmut C. Schulitz’ Bausystem „T.E.S.T.“ (1976–78) sowie grandios gescheiterte wie die nach zwölf Jahren bereits wieder abgetragene „Metastadt“ Wulfen (Richard J. Dietrich, Fertigstellung 1974/75). Die Plattenbauweise ist mit Halle-Neustadt (Richard Paulick, 1964–1968) und der in „Schwerer Vorfabrikation“ errichteten Siedlung Zürich-Triemli (vonBallmoos Krucker Architekten, 2009–2011) gleich doppelt vertreten.
Der zweite Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der „digitalen Revolution“ und ihren Folgen: Erst dank computergesteuerter Entwurfs- und Fertigungsmethoden war es möglich, die beiden Grundprobleme des seriellen Bauens – Großserie und Monotonie – zu lösen und individuell gestaltete Formen maschinell zu vertretbaren Kosten herzustellen. Die Kehrseite der mit dem „offenen System“ und der „Losgröße eins“ gewonnenen Freiheit besteht allerdings in dem Hang zur formalen Beliebigkeit: Von den gezeigten Beispielen lässt Museumsdirektor Winfried Nerdinger wohl nur Norman Fosters digital generierte Netzschale des British Museum (1998–2000) als uneingeschränkt positiv durchgehen.

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