Bauwelt

Keine Kreuzfahrt

Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Keine Kreuzfahrt

Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Keine Stadtautobahnen, keine Vorstadtsiedlungen, keine Gewerbeparks, keine Investorenarchitektur, kein Starbucks, kein H&M. Warum nur war früher fast alles besser in unseren Städten? War es gar nicht?
933 hatten Architekten Ähnliches erfolgreich versucht: Bei einer Mittelmeer-Kreuzfahrt diskutierten und propagierten sie die „funktionelle Stadt“ und nannten ihr Programm später Charta von Athen. Die Folgen waren und sind bis heute – was die europäische Stadt betrifft – verheerend. Diese rückgängig zu machen oder zumindest zu stoppen, trafen sich nach 77 Jahren nun wieder Architekten, diesmal in Düsseldorf zu einer zweitägigen „Konferenz zur Schön­heit und Lebensfähigkeit der Stadt“. Geladen hatte das Deutsche Institut für Stadtbaukunst, das von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne geleitet wird und an der TU Dortmund angesiedelt ist. Zur Verstärkung nahmen Vertreter verwandter Fachdisziplinen sowie der Politik und Verwaltung, des Kulturlebens und der Medien teil. In zehn Blöcken mit je zwei Kurzreferaten und anschließenden Diskussionen unter drei bis vier Fachleuten ging es um nicht weniger als die Zukunft der Stadt bzw. darum, wie sich die eher der Tradition verpflichteten Protagonisten der Stadtbaukunst die Zukunft der Stadt vorstellen. Es gilt, „Defizite aufzuarbeiten und eine Planungs- und Baukultur zu befördern, die zukünftig die Erhaltung, Verbesserung und Errichtung von städtischen Quartieren mit einer hohen Gestalt- und Lebensqualität ermöglicht.“
Beschwörung der eigenen Ohnmacht
Der architektonische Verfall vor allem der Innenstädte, der Verlust ihres überkommenen Stadtbildes durch Abwanderung des Handels in maßstabslose Zentren auf der grünen Wiese, durch gefallsüchtige, auf ihre Nachbarschaft keine Rücksicht übende „Event“-Architekturen, durch öde Fußgängerzonen auf der einen und Verkehrsschneisen auf der anderen Seite: Es gab viel zu klagen und wenig Positives zu entdecken. „Alle Architekten sind heute unfähig, eine urbane Stadt zu bauen“ (Rob Krier, sich selbst ausnehmend). Und wenn die Schuldigen nicht die eigenen Kollegen waren, fand man sie unter den Fachingenieuren und ihrem Rivalitätsgerangel, bei den nach kurzfristigen Erfolgen schielenden Kommunalpolitikern oder gar bei den Städtern selbst, die Qualität nicht erkennen oder an ihr, weil sie kostet, nicht interessiert sind („Wir müssen mehr Geld fürs Bauen ausgeben“, so Hans Kollhoff).
Bei aller Beschwörung der eigenen Ohnmacht – voran die anwesenden Planungsamtsleiter und Bürgermeister – gab es aber auch positive Einwürfe.Engelbert Lüdke Daldrup: „Das Baurecht ist da, es muss nur angewandt werden.“ Auch wenn das der Berliner Jurist Bernhard Schneider einschränkte: „Unser Baurecht ist doch genauso unaufgeräumt wie unsere Städte.“ Dennoch, der Leiter des Freiburger Stadtplanungsamts Wulf Daseking konnte von Erfolgen berichten: Er folgt der Devise, auf negative Entwicklungen, etwa auf Abwanderung von Handel und Gewerbe ins Umland, nicht mit Nein-Sagen zu reagieren, sondern mit Angeboten. Oder Dieter Bartetzko: „Betreuen statt Eingreifen.“
„Wir packen ganz Tübingen ein.“
Als einen Totengräber des urbanen Wohnens im
Ensemble machte man die abschreibungsorientierte Immobilienwirtschaft aus. Folglich forderte Hans Stimmann „einen radikalen Bruch mit der gängigen Praxis. Es geht immer noch um die Bodenfrage.“ Sein Gegenbeispiel: die parzellierte und privatisierte Townhouse-Bebauung am Werderschen Markt in Berlin. Bei so viel Sympathie für die vormoderne Stadt und ihre vermeintlichen Bau- und Lebensrezepte –„aus Geschichte lernen“ (Vittorio Magnago Lampu­gnani) –, war es ausgerechnet der Historiker Jan Piper, der davor warnte, die Vergangenheit zu idealisieren, und sein Kollege Werner Oechslin, der daran erinnerte, dass Geschichte heißt anzuerkennen, dass sich alles ständig ändert.
Noch einmal mächtig zur Sache ging es beim Programmpunkt „Nachhaltigkeit statt schnell verpacken“, als sich der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer als „Dämmstoff-Wahnsinniger“ outete: „Wir packen ganz Tübingen ein; mein Problem ist nur, dass das zu langsam geht.“ Damit rief er Hans Kollhoff in den Ring, der schon länger einen Feldzug gegen den „Nachhaltigkeitswahn“ im Allgemeinen und die 15cm-Styroporplatten im Besonderen führt.
Er weiß die Denkmalschützer hinter sich, für die Klima- und Denkmalschutz dasselbe Ziel verfolgen. Oder den Architekten Theo Brenner, dem die Dichte der Stadtstruktur die wirksamste Ökologie ist: „Ich fordere das Verbot von freistehenden Häusern.“
Nach gut 32 Stunden Debatte reichte die Kraft dann nicht mehr, eine Charta von Düsseldorf bzw. ein Sofortprogramm zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt zu verabschieden. Detailprobleme bei der Ausformulierung lassen sich in einer 70 Individuen zählenden Runde – oder was davon noch anwesend war – nicht mal eben so lösen. Was bei einer Kreuzfahrt im Mittelmeer gelingt, gelingt nicht auch in den Düsseldorfer Rheinterrassen, „10 Grundsätze zur Stadtbaukunst heute“ sollen nachgereicht werden.

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