Bauwelt

Karol Schayer

Auf den Spuren

Text: Arbid, George, Beirut/Libanon

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Foto (Ausschnitt): Manoug

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Karol Schayer

Auf den Spuren

Text: Arbid, George, Beirut/Libanon

In Bauwelt 27.14 stellt Ulrich Brinkmann das Schlesische Museum Kattowitz am neuen Standort von Riegler Riewe vor. Der Architekt des ersten Museumsbaues von 1939, Karol Schayer, war Thema in Bauwelt 16.09.
Der kulturelle Aufbruch in Katowice wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren von Karol Schayer (1900–1971) architektonisch inszeniert. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht geflüchtet, konnte er nach 1946 im Libanon seine Karriere fortsetzen. Unlängst wurde dort sein Nachlass aufgefunden.

Karol Schayer wurde am 25. November 1900 in Lemberg geboren, Hauptstadt der Provinz Galizien, die mit ihrer damals überwiegend polnischen Bevölkerung unter der Österreich-Ungarischen Monarchie von weitgehender Autonomie profitierte. Seine Eltern waren Aniela und Julian Schayer, ein gut situierter Kaufmann, der sich in seiner freien Zeit als Maler versuchte. 1926 machte Schayer am Lemberger Polytechnikum sein Diplom als Ingenieur und Architekt. In jenen Jahren führten seine Lehrer den Konstruktivismus der Moderne in die Architektur ein; so setzte sich etwa der bekannte Architekt und Lehrmeister Witold Minkiewicz (1895–1961) intensiv mit der Moderne auseinander, ganz im Gegensatz zu den konservativeren Beaux-Arts-Kollegen an der Kunsthochschule Krakau. Vom vehementen Einfluss des avantgardistischen russischen Konstruktivismus in Polen zeugen etwa die Veröffentlichungen des Warschauer Intellektuellenzirkels Praesens. Im Anschluss an das Studium zog es Schayer wie zahlreiche seiner Kommilitonen des Lemberger Polytechnikums nach Katowice, einer stark industrialisierten Stadt in Oberschlesien, wo umfassende Bauvorhaben der Regierung und die Offenheit für Avantgarde-Kultur aufeinandertrafen.
Zur Gruppe der dort wirkenden Architekten gehörten Tadeusz Michejda, Antoni Olszewski, Eustachy Chmielewski und Tadeusz Kozłowski. Schayers Anreiz für den Wechsel nach Katowice war die ihm angebotene Stellung als Architekt an der dortigen Baubehörde, wo das Stichwort „Moderne“ weit mehr als nur stilistische Aspekte meinte. Schließlich gehörte das industrialisierte Oberschlesien mit seinen ergiebigen Kohlerevieren erst seit wenigen Jahren wieder zu Polen – der nach den Schlesischen Aufständen und einer Volksabstimmung 1922 in Genf unterzeichnete Teilungsvorschlag schlug zwei Drittel des Gebietes zu Deutschland, wohingegen Polen den überwiegend industrialisierten Teil zugesprochen bekam.
Zwischen 1922 und 1939 erfuhr Schlesien, und hier vor allem Katowice, eine intensive Urbanisierung und Industrialisierung; das Schulsystem wurde reformiert und insgesamt eine kulturelle Auf- und Umwertung auf den Weg gebracht, stark gefördert durch den Woiwoden und Provinzgouverneur Michał Grazynski, der erheblich zur Verbreitung von moderner Kunst und Architektur beitrug. Energisch trieb Grazynski den Umbau Schlesiens voran, die Ideen der Moderne betrachtete er dabei als kulturelles und politisches Werkzeug.
Die Erneuerung und Erweiterung des Rathauses in Królewska Huta Chorzów (Königshütte), Schayers erster Auftrag aus einem gemeinsam mit Witold Eysymont eingereichten Wettbewerbsbeitrag, ist ein faszinierendes Beispiel für eine ideologisch motivierte Umdeutung in der Architektur. In seinem Entwurf glättete Schayer die klassizistischen Charakteristika und den Fassadenrhythmus des 1874 durch Daniel Grötschel errichteten Vorgängerbaus im Renaissance-Stil und modellierte daraus ein Gebäude der Moderne.
Schayer war Mitglied in der Vereinigung Polnischer Architekten von Katowice und im Schlesischen Architektenbund, einer einflussreichen Gruppe junger fortschrittlicher Architekten unter dem Vorsitz von Tadeusz Michejda. Seine Mitglieder vertraten ihre Ideen in Zeitschriften und verfassten zahlreiche Briefe an den Woiwoden. 1929 beschrieb S. Rutkowski die Eigenheiten der polnischen Avantgarde: „Die Arbeiten der polnischen Architekten wirkten zielgerichtet, einfallsreich und harmonisch. Und im Vergleich mit deutschen, französischen oder russischen Konstruktivisten waren ihre Entwürfe leichter als die deutschen, ruhiger als jene aus Frankreich und weniger wirklichkeitsfern als die der Russen.“
Mehr als dreißig Entwürfe setzte Karol Schayer während seiner zwölf Jahre in Katowice in der Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung um. Er baute vor allem Schulen und Mietshäuser, außerdem plante er Arbeitersiedlungen, mehrere Privathäuser, ein Bankgebäude, ein Studentenwohnheim, einen regionalen Flughafen, den chirurgischen Erweiterungsflügel für ein bestehendes Krankenhaus und eine Brücke. In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren arbeitete Schayer mit an der Entwicklung eines neuen Schultypus mit quadratischen Unterrichtsräumen, die sich dank unterschiedlicher Tischgrößen für je vier bzw. sechs Personen für eine vielfältigere pädagogische Praxis eigneten. Auch sorgte er für eine entscheidende Verbesserung der Lichtverhältnisse in den Räumen, indem er vorschlug, das Licht von mehr als einer Seite in die Räume zu führen. So ist das Gimnazjum in Piekary Slaskie von 1932 typisch für die reifen Schulbauten Schayers.
Eindrucksvolle Beispiele für elegante moderne Architektur, die zugleich lokale Bedürfnisse zu beantworten weiß, finden sich in den großzügig verglasten Wintergärten des Zytomirski- Gebäudes, der Hausnummer 6 in der PCK-Straße, in der subtilen Komposition von Öffnungen und Balkons beidseits der Treppen des Radowksi-Gebäudes (ul. Korfanty 60) oder aber den geschwungenen Loggien des Labus-Gebäudes an der Ecke Dabrowski/Reymont-Straße, die Schayer alle in den dreißiger Jahren entworfen hatte.
Das Schlesische Museum in Katowice
Schayers bekanntester Entwurf seiner polnischen Jahre, das Schlesische Museum in Katowice, strahlte Leichtigkeit, Ruhe und Realismus aus, was im Zusammenhang mit der geforderten Monumentalität ein schier unlösbares Problem hätte darstellen müssen. 1934 entworfen, wurde das Museum zwischen 1936 und 1939 erbaut. Dieser Auftrag an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte, als die Architektur mehrere, allzu oft einander widersprechende Funktionen zu erfüllen hatte, verlangte dem gestalterischen Konzept die Auflösung eines Paradoxons ab: Es galt, den immanenten Widerspruch zwischen Moderne und Monumentalität zusammenzuführen – lange bevor Mitte der vierziger Jahre die Debatte hierüber überhaupt nur begonnen hatte.
Schayers Entwurf nahm den städtebaulichen Aspekt in den Fokus. Er bezog sowohl das Provinz-Gebäude gegenüber dem oberen Eingang des Hanggrundstücks mit ein als auch die den geplanten Standort querende Dabrowski-Straße. Für die Ausstellungsräume entwickelte er eine siebengeschossige Brückenkonstruktion, so dass die Bewohner der angrenzenden Viertel ungehindert unter dem aufgeständerten Bau passieren konnten. Das Ergebnis war ein klar strukturiertes funktionales Gebäude mit einander gegenüberliegenden Ausstellungsräumen von 60 Metern Länge und 8 Metern Breite, die sich je nach Bedarf durch Schiebewände in unterschiedliche Szenarien unterteilen ließen. Die Stahlkonstruktion ersparte dem Bau massive tragende Stützen oder Wände, die so entstandenen freien Horizontalen ließen das Licht ungehindert in die Ausstellungsräume hinein. Das der Malerei vorbehaltene Obergeschoss wurde von dem über opake Oberlichter einfallenden natürlichen Licht förmlich geflutet. Aufzüge wurden durch Lichtschranken gesteuert, es gab eine Abluftanlage, automatische Überwachungsmodule für Luftfeuchtigkeit und Staubwerte und eine zentrale Klimaanlage mit in den Decken eingebauten Heizkörpern – fortschrittlichste Technik allenthalben. Kompromisslos war der Bau der Moderne verpflichtet – ob es nun die technische Ausstattung, den funktionalen Grundriss oder aber das architektonische Vokabular betraf. Darüber hinaus war es die Intention, eine auf die Gemeinschaft bezogene, symbolträchtige Aussage zu machen. Zu einer Eröffnung kam es nicht. Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Katowice am 6. September 1939 wurde das Museum zerstört.
Die zweite Karriere
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veranlasste Karol Schayer, Polen mit seiner Frau Bozena zu verlassen. Seine Flucht führte ihn über Rumänien und die Türkei nach Palästina. Dort trat er in die Dienste der Alliierten, für die er in Eritrea Armeecamps und ein Militärkrankenhaus in der Hauptstadt Asmara baute. 1946 ließ er sich im Libanon nieder, wo sich während des Krieges eine recht bedeutende polnische Exilgemeinschaft zusammengefunden hatte. Schayers erstaunliche zweite Karriere wurde nach dem Krieg in Veröffentlichungen selten erwähnt, steht aber in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner ersten Schaffensphase als Architekt in Polen.
Die Ankunft Schayers im Libanon fiel in eine günstigeZeit. Das Land brauchte dringend Architekten, da die Ausbildung dort noch in den Anfängen steckte. Neben seinen persönlichen Fähigkeiten war für Schayers beruflichen Erfolg die Zusammenarbeit mit libanesischen Partnern ausgesprochen förderlich. Dadurch erhielt er einerseits Zugang zu Aufträgen, zugleich lernte er rasch, mit den lokalen Gepflogenheiten zurechtzukommen.
In den Jahren zwischen 1946 und 1970 legte Schayer mit seinen Partnern mehr als zweihundert Entwürfe vor, von denen mindestens einhundertdreißig umgesetzt wurden. Die Spanne reicht von Möbelentwürfen und Interieurs bis hin zu Mietshäusern, Bürobauten, Kinos, Schulen, Kirchen, Hotels, Wohnheimen und Privathäusern. Die Gebäude zeugen von Optimismus und einer Verpflichtung an die Ideen moderner Architektur, die hier, in einem Land, das sich ihr ganz öffnete, neue Räume erschließen und sich zu echter Reife entwickeln durfte.
Aus dem Englischen von Agnes Kloocke
Fakten
Architekten Schayer, Karol (1900-1971)
aus Bauwelt 16.2009
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