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Neufert Bauentwurfslehre

betrifft: Die Achtunddreißigste

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

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Neufert Bauentwurfslehre

betrifft: Die Achtunddreißigste

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Wenn man einmal die tollkühn verkürzte Frage stellte, welches Architekturbuch das wichtigste des letzten Jahrhunderts war, dann fiele die Wahl des Verfassers dieser Zeilen auf Ernst Neuferts „Bauentwurfslehre“.
Dieses Monumentalwerk deutscher Architekturliteratur liegt als „Handbuch für den Baufachmann, Bauherrn, Lehrenden und Lernenden“ so weit vorne in den Bestsellerlisten, dass es nun zum 38. Mal in deutscher Sprache wieder aufgelegt wurde. Im Auftrag der „Neufert-Stiftung“, einer Gründung der Erben Ernst Neuferts und seines (ebenfalls verstorbenen) Sohnes Peter, hat Johannes Kister das Werk überarbeitet. Auch die knochentrockene Verlagspräsentation, die Ende Oktober in Berlin stattfand und nun durch einige Fachbuchhandlungen tourt, wird den Erfolg nicht aufhalten können. Seltsam rätselhaft bleibt die Wirkung dieses Buches auf die Entwicklung der Architektur, entzaubert es doch in strikt funktionalistischer Manier den romantischen Mythos vom genialischen Meisterarchitekten: Ein Buch für alle und jeden, vom Studenten bis zum Laienbauherrn,sollte die „Bauentwurfslehre“ ja immer sein. Ähnlich wie der „Duden“ ist der „Neufert“ selbst zwanzig Jahre nach dem Tod des Erfinders dieser revolutionären Form des Architekten-Comics ein deutsches Markenzeichen. Er wurde in siebzehn Sprachen legal übersetzt und ist in zahllosen nicht lizenzierten Kopien weltweit erhältlich. Seit jenem denkwürdigen 14. Mai 1936, an dem das Buch zum ersten Mal erschien, dürfte die Anzahl der verkauften Exemplare auf knapp eine Million gestiegen sein. Schon eine Woche nach dem Erscheinen der ersten Auflage konnte der Bauwelt-Verlag, der 1936 bereits Auszüge des Buchs in „Bilderreihen“ in dieser Zeitschrift vorweg abdruckte, vermelden, dass – trotz des hohen Preises von 19,80 RM – fast die gesamte Auflage verkauft sei. Ernst Neufert, seinerzeit auf Reisen in den USA, war selbst von seinem Erfolg so überrascht, dass er noch während der Rückreise an Bord seines Schiffes die Vorbereitungen für die nächste Auflage getroffen haben soll und seine Pläne zur Auswanderung aus NS-Deutschland aufgab.
Das Erfolgsgeheimnis des Buchs beruht auf den Beobachtungen des Autors, der zwischen 1926 und 1930 an der Bauhochschule Weimar das neue Fach „Schnellentwerfen“ einführte. Er erkannte, dass gestresste Architekten weder lange Texte lesen, noch die Maße eines Schwimmdrandes mit Zürcher Rinne oder einer Tankstellen-Zapfinsel oder einer Instrumentenlandebahn nach § 12 Luftverkehrsgesetz im Kopf behalten können und wollen. Der „Neufert“ blieb seither eine wichtige Autorität, weil er bei allen vorkommenden Bauaufgaben den letzten Stand der Technik, der Bauvorschriften und -normen berücksichtigte. So sind in der um fast hundert Seiten dünneren Neuauflage einige besonders kuriose Seiten, etwa „Bettenstellungen“ und „Haus und Formen als Ausdruck der Zeit und ihrer Lebensart“, durch Themen wie Cook-Chill-Küchen, Kletterwandhallen und Facility Management ersetzt worden.
Die Reduktion der Informationen auf größtmögliche Einfachheit in knapper bildlicher Darstellung ist in der neuen Ausgabe sogar besser gelungen als in der überbordenden und grafisch schwachen 37. Auflage.
Gibt es Schöneres als die Darstellung der Ermittlung des Jahresprimärenergiebedarfs gemäß EnEV 2002/2004 auf nur einer Seite, wofür mancher Fachbuchautor oft dutzende benötigt? Mit solchen Leistungen bleibt Deutschland Exportweltmeister, wenn auch das Buch inzwischen in Tschechien gedruckt wird.
Fakten
Architekten Neufert, Ernst (1900-1986)
aus Bauwelt 42.2005
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