Bauwelt

(Sozial-)Demokratie als Bauherr

Rathausbau der 1960er und 1970er Jahre in der BRD und Essen

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

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(Sozial-)Demokratie als Bauherr

Rathausbau der 1960er und 1970er Jahre in der BRD und Essen

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

Schon das Wort klingt traditionalistisch, lässt an hohe Giebel und gotische Bögen denken, und über die modernen Nachfahren der altehrwürdigen Rathaus-Tradition ist das Urteil wohl eindeutig.
Es sind die überwiegend verhassten „Betonklötze“, die als Zentren kommunalpolitischer Macht nach wie vor ihren innerstädtischen Platz behaupten. Rathäuser sind wahrscheinlich der Gebäudetypus, dem man seinen repräsentativen, vormodernen  Gestus nach 1945 am gründlichsten ausgetrieben hat. Wie bei keinem anderer Bautypus lassen sich an ihnen denn auch die Entwicklungen im bundesdeutschen Städtebau zwischen schnellem Wiederaufbau, Abriss und Neubau aufzeigen – mit all den ideologischen Debatten, die diesen Neuanfang begleitet haben. Till Schraven hat die Zusammenhänge umfassend und in einiger Detailtiefe ausgebreitet und ein bisher eher vernachlässigtes bauhistorisches Thema damit in einen Rahmen gestellt, der auch auf die deutsche (kom­munal)politische Nachkiegsgeschichte einige Schlaglichter wirft.
Insgesamt wurden zwischen 1955 und 1980–28 neue Rat- bzw. Stadthäuser in deutschen Großstädten errichtet. Dem Boom, der in den späten 60er und frühen 70er Jahren seinen Höhepunkt hatte, ging die Kriegszerstörung voraus. Von 80 deutschen Rathäusern waren nur sieben unzerstört geblieben. Meist unternahm man statt eines Neubaus zunächst nur einen Wiederaufbau. Lediglich in Trier, Gießen und Dortmund wurde damals historischer Bestand gänzlich abgerissen. Insgesamt jedoch galten Rathäuser nicht nur in der Öffentlichkeit noch lange als sakrosankt, wenn sie, abgesehen vom politisch diskreditierten wilhelminischen Fassadenstil, ältere Stil­elemente aufwiesen. Erst allmählich setzte sich der neue sachliche Bauhausduktus durch. Stilbildend wurde das Ende der 50er Jahre fertiggestellte Wolfsburger Rathaus (ein funktionalistischer Bau in Skelettbauweise), der einen flachen Sitzungssaaltrakt mit einer Hochhausscheibe für die Verwaltung kombinierte. Es begann die Phase, da ästhetisch wenig anspruchsvollen Bauten – „das Flachdach war ideologische Notwendigkeit“ –, was in nicht wenigen Fällen auch zu Abrissen historischer Rathäuser führte, ob in Bayreuth, Flensburg oder Mannheim.
Neben der umfassenden Übersicht, die das Buch bietet, zeichnet es sich vor allem dadurch aus, dass es die konkreten Entstehungsbedingungen dieses baugeschichtlichen Phänomens ans Licht bringt. Der Autor belässt es nicht bei einer stilgeschichtlichen Betrachtung, sondern geht den Einflussfaktoren nach und benennt die Verantwortlichen: von Baubehörden über Bürgermeister, externe Experten und die sogenannte KGSt (kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung). Auch die Rolle der lokalen Presse und die geringen Beteiligungsmöglichkeiten durch die Bürger werden dokumentiert. So kommen handfeste Interessen ans Licht, ebenso wie jene phasenweise Ideologisierung der Debatte, die im so­zialdemokratischen Diktum von der „Demokratie als Bauherr“ (A. Arndt) gipfelte. Das Rathaus sollte den Geist der Demokratie verkörpern. (Tatsächlich waren fast 80 Prozent aller neuen Verwaltungsgebäude der 60er und 70er Jahre unter SPD-Bürgermeistern entstanden.) Freilich blieb diese Hoffnung weitgehend unerfüllt, der Wunsch nach Repräsentanz, sprich Höhe, zunehmende Finanzierungsschwierigkeiten und der Einfluss wirtschaftlicher Interessen führten bereits Ende der 60er Jahre zu ganz auf Funktionalität und städtebauliche Dominanz ausgerichteten Großbauten, eintönigen Hochhäusern wie in Kaiserslautern oder Offenbach, Sichtbetonburgen wie in Erlangen, Glas­türmen wie in Bonn, Ludwigshafen oder Essen, und schließlich zu amorphen Gebilden wie dem Technischen Rathaus in Frankfurt (1970–1972). Es ist im Wesentlichen eine Baugeschichte ästhetischer Zumutungen, die nur im Einzelfall originellere Lösungen aufweist. Ein konzeptionell wie in der Umsetzung vom Schema abweichendes Beispiel wie das Rathaus von Marl blieb die Ausnahme. Allemal gilt: Auch für aktuellere architekturhistorische Debatten ist der Blick auf das politisch-ökonomische Umfeld lohnend. 
Fakten

Verlag Klartext Verlag, Essen 2009
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aus Bauwelt 17.2011
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