Bauwelt

Sinn und Krise moderner Architektur

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin

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Sinn und Krise moderner Architektur

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin

Welche Aufgabe hat die Architektur? Was lässt sich aus ihr ablesen über die Wirklichkeit und über die Stellung des Individuums in dieser Wirklichkeit?
Das, was in einem ersten Reflex als eine soziologische Aufgabenstellung wahrgenommen wird, ist von Jörn Köppler anders gemeint: Welchen Sinn, jenseits der Funktionserfüllung, kann Architektur ihrem Betrachter vermitteln? Ist es möglich, dass Architektur den Menschen über sich selbst hinaushebt, ihn einordnet in ein großes Ganzes, indem sie ihm für einen Moment den Ausblick bietet auf jenes „Erhabene“, das jenseits der Erklärung liegt?
Zugegeben pragmatisch war die Antwort der Industriegesellschaft: Kraftflüsse, Wärmedurchgangskoefffizienten oder die Rendit – eine Architektur des Physisch-Technischen, überführt in eine Architektursprache der verherrlichten Technik. Doch Architektur ist eindeutig zu kurz gesprungen, wie ein Blick auf all die Fehlentwicklungen oder auch die Nachhaltigkeitsdiskussion zeigt, und eine weitere technokra­tische Zisilierung wird wohl kein Weg aus der Sackgasse sein.
Ungleich subtiler ist die Moderne der geistig-ästhetischen Seinsbilder. Sie wurden konstruiert, als mit der Aufklärung plötzlich die Erkenntnis kam, dass genauso denkbar, wie eine mit Gott angefüllte Welt eine Welt ist, die mit gar nichts anderem angefüllt ist, als mit der Leere des Universums. Mit einem bislang ungekannten Gefühl der Geworfenheit einher ging die Notwendigkeit einer neuerlichen Verortung. Laut Köppler konnte die Architektur hier im Idealfall eine Vermittlerrolle übernehmen: Sie umhüllte, wenn sie denn richtig geistig-ästhetisch war, ein Ideal der Ganzheitlichkeit und übernahm die Funktion eines Erleuchtungs- und Erfahrenswerkzeugs. Die besten Beispiele hierfür sind für Köppler die Entwürfe von Etiénne-Louis Boullee oder auch von Karl-Friedrich Schinkel, in denen sich eine Naturerfahrung abbildete, die den nun fehlenden Gottesbegriff ersetzen konnte. Weitergeführt würde diese Linie dann in den Spätwerken von Mies van der Rohe.
Diese Sichtweise ist nicht unbekannt, und der Ruf nach einer neuen Ganzheitlichkeit hat über die vergangenen Jahrhunderte hinweg technische und funktionale Innovationen begleitet. Der „Untergang des Abendlandes“ wird dabei genauso vor dem inneren Auge aufgerufen wie der „Verlust der Mitte“. Der Paradigmenwechsel, den Köppler diskutiert, bleibt allerdings allein dem eigenen Metier verhaftet. Das Schisma und die Sinndiskussion, die für die Architektur mit der Aufklärung unvermeidbar wurde, führt der Autor anhand konkreter Bauwerksanalysen nachvollziehbar aus. Die Übertragung der Argumentationslinien von Kant und Nietzsche in die dreidimensionale Verbildlichung gelingt. In der Gegenüberstellung der beiden grundlegenden Denkmodelle macht der Autor dabei keinen Hehl daraus, auf wessen Seite er steht. Das Funktional-Technische ist sein Ding nicht.
Fragwürdig werden die vermeintlich schlüssigen Argumentationslinien dann, wenn die Diskussion jenseits der Moderne aufgenommen wird und Köppler den Faden fortspinnt. Die bislang sichtlich auf intensiver Auseinandersetzung mit der großen Literatur gründende Substanz der Überlegungen zerfällt. Ein Sinngehalt der Gebäude von Ben van Berkel oder Zaha Hadid ist für ihn nicht nachzuvollziehen, und auch die Konzepte eines kontextlosen Bauens, wie sie Koolhaas propagiert, verursachen dem Autor große Bedenken. Mit dieser Haltung steht er sicher nicht allein. Eine rein statisch bestimmte Dualität, wie Köppler sie hier aufbaut, der Gegensatz zwischen dem Technischen und dem Geistigen, den er konstruiert, hat allerdings keine Chance mehr, wenn episodisches Sehen zum Standard wird, wenn die kurzfristige Wahrheit der aktuellen Aussage die Architektur zur Marketingmaschine macht. Vor dem Hintergrund einer kontinuierlich veränderten Wahrnehmung und auch der individuellen Orientierungslosigkeit, die damit einhergeht, als Ausweg lediglich die Forderung nach einer neuen sinnhaften Architektur zu formu­lieren, die sich aus der Naturbetrachtung à la Walden/Thoreau das Wahre und Dauerhafte eines „Genius Loci“ herleitet, ist im besten Fall pathetisch. Im schlimmsten Fall ist sie radikal apolitisch und retrospektiv.
Fakten
Autor / Herausgeber Jörn Köppler
Verlag Transcript Verlag, Bielefeld 2010
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aus Bauwelt 17.2011
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