Bauwelt

Oswald Mathias Ungers | Eine intellektuelle Biographie

Text: Rumpf, Peter, Berlin

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Oswald Mathias Ungers | Eine intellektuelle Biographie

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Kann eine Biographie spannend sein? Wie ein Abenteuerroman! Gibt es über Ungers noch Neues zu erzählen? In diesem Buch auf fast jeder Seite! Wer ist der Autor, und was ist eine intellektuelle Biographie?
Jasper Cepl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Architektur-Theorie der TU Berlin und hat bei Fritz Neumeyer 2006 mit der vorliegenden Arbeit promoviert. Aber was eine intellektuelle Biographie ist, erfährt der Leser auf den 650 Seiten nicht, es sei denn, er folgt dem Autor: „Ungers’ Denkweg galt es nachzuzeichnen – vor allem an Hand  der von ihm veröffentlichten Schriften und der Manuskripte, die sich in seinem Archiv befinden.“ Wer mehr von Ungers kennt als seine Bauten, weiß um die Fülle und Einzigartigkeit dieses Archivs. Und Cepl hat sich nicht nur dort umgetan, sondern nahezu alles zur Arbeit herangezogen, was für Ungers von Bedeutung war, was sich mit ihm und seinem Werk befasst, woran Zeugen sich erinnern und und und. Die Liste der Quellen und der Sekundärliteratur füllt 130 Seiten. Die Fleißarbeit allein ist es aber nicht, die Bewunderung verdient, Jasper Cepl versteht es auch, den Faden, an dem sich Ungers’ Denkweg orientiert, anschaulich und sprachlich überzeugend zu knüpfen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht ihm nicht um das, was geplant und gebaut wurde, sondern um das Theoriegebäude, das dahinter steht. Wer glaubt, das sei so geordnet und geradlinig wie seine Quadrate, der findet sich auf einer Achterbahnfahrt wieder. Und da es sich der Theoretiker Ungers an keinem Abschnitt seines Lebens leicht gemacht hat, genauer: da er mit seinen Weggefährten und Gegnern, vor allem aber mit sich selbst immer bis zum Äußersten gegangen ist, wird dieses „Nachzeichnen“ zum anstrengenden, aber lohnenden Lesegenuss, wie ihn wohl kein zweiter Architekt des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Zu bieten hatte, muss man sagen, denn Ungers hat das Erscheinen der Dissertation als Buch nicht mehr erlebt. Die Recherche endet mit dem Jahr 2004, also vor der „Lebens“-Ausstellung, die Ungers als höchst persönlichen „Rechen­schaftsbericht“ in Mies van der Rohes Nationalgalerie ablegte (Heft 43.06).
Für den Rezensenten, der Ungers seit 1964 kannte, zählt allein schon die Dokumentation der Auseinandersetzung zwischen ihm und Ulrich Conrads/Bauwelt zu den spannendsten Passagen – von anfänglich gegenseitiger Begeisterung (ab 1953) zum radikalen Bruch (ab 1975). Doch der Reihe nach: Geboren 1926 in Kaisersesch/Eifel, studiert Ungers bei Egon Eiermann in Karlsruhe, ohne einer der treuen Eiermann-Schüler zu werden. Seine Vorbilder findet er eher bei Rudolf Schwarz und Hugo Häring. Und sein Streben zielt von Anfang an auf absolute künstlerische Freiheit „bis hin zum ungebändigten Formenrausch“ (Cepl), den er vor allem bei Hermann Finsterlin und dessen Fantasien fand. Dem folgt eine Wende um 180 Grad. Beim Berufungsvortrag 1963 in Berlin gibt sich Ungers als Morphologist, dem es ausschließlich um Körper und Raum geht. „Inzwischen gilt sein Interesse nicht mehr den Architekten und deren Kunst, es gilt den Strukturen der Städte.“
Sechs Jahre intensive Lehre – wer dabei war, wird sie nicht vergessen – enden im Chaos der Studentenrevolte und in der massiven Kritik am Märki­schen Viertel, an dem Ungers beteiligt war. Colin Rowe holt ihn nach Cornell; es folgen 15 baulose Jahre. In den Staaten entdeckt Ungers die „drohende Bevölkerungsexplosion“ und die damit verbundenen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Probleme, die nur der Architekt lösen kann. Erst die Zusammen­arbeit mit Rem Koolhaas und später der Kontakt mit Heinrich Klotz bringen ihn wieder zur Architektur und mit dem Auftrag für das Frankfurter Architekturmuseum nach Deutschland und zum Bauen zurück. Es folgt eine Reihe städtebaulicher Wettbewerbe, aber nicht zuletzt das Denkmalschutzjahr 1975 lässt die öffentliche Nachfrage nach Ungers’ „Stadtnetzen“ schwinden. Dafür wächst, auch bei ihm, plötzlich das Interesse am Nutzer und an der Notwendigkeit seiner Partizipation – bis Ungers sich mit derselben Leidenschaft erneut seinen „Metaphern und Analogien“ zuwendet.
Jasper Cepl folgt diesem verschlungenen Pfad anhand zahlloser Quellen – und natürlich auch nach intensiven Gesprächen mit Ungers. An erster Stelle aber stehen die schriftlichen Indizien. So geht er aus führlich auf das Buch „Thematisierung der Architektur“ ein, das 1983 erschien und als Ungers’ theoretisches Hauptwerk gilt. Der praktisch bauende Ungers indes gerät zu dieser Zeit arg zwischen die Fronten von angestrebtem Ideal, Bauherren-Wirklichkeit (Berlin Schillerstraße und Lützowplatz) und Kritik in den Medien. Cepl: „Auf dem von Ungers eingeschlagenen Weg kann die Architektur für die Eingeweihten zwar immer subtiler werden, für alle anderen wird ihre Schönheit immer schwerer zugänglich.“ Oder wie es Ungers selbst 1987 bei der Entgegennahme des Großen BDA-Preises bekennt: „Ich habe mit meiner Architektur nicht das große Publikum gesucht.“
Es beginnt der Rückzug aus dem Leben und gleichzeitig der Weg in ein immer radikaler, das heißt reduzierter werdendes Spätwerk. Ungers erfindet sich neben seinem Haus in Müngersdorf eine hermetisch verschlossene Bibliothek, sein studiolo. „Ich muss damit leben, dass ich out bin. Und ich genieße das, es lässt mir mehr Freiheit.“ Seine autistische Beschäftigung mit „Maß, Zahl und Proportion“ kulminiert in seinem Haus III am Kämpchensweg in Köln, das er „als ein Gehäuse von benediktinischer Askese gewissermaßen als freiwilliger Gefangener der Architektur bezieht“ (Cepl). Hier endet seine lebenslange Suche nach der reinen Form.  Peter Rumpf
Fakten
Autor / Herausgeber Cepl, Jasper
Verlag Buchhandlung Walther König, Köln
Zum Verlag
aus Bauwelt 5.2008
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