Bauwelt

Glas als Tragwerk

Entwurf und Konstruktion selbsttragender Hüllen

Text: Nelle, Anja, Fortaleza/Brasilien

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Glas als Tragwerk

Entwurf und Konstruktion selbsttragender Hüllen

Text: Nelle, Anja, Fortaleza/Brasilien

Der Titel des Buches ist überzeugend gewählt. Der Band liefert nicht nur Grundlagen für den konstruk­tiven Glasbau, sondern erklärt Strukturformen von Glastragwerken mit dem Ziel, eine Entwurfs- und Konstruktionsmethodik aufzuzeigen.
Flachglas wird seit über 2000 Jahren als Raumabschluss verwendet. Doch den konstruktiven Eigenschaften des Materials wurde lange wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Glas wurde meist als Füllmaterial für Skelettbauten verstanden. So ist der Glasbau heute noch stark geprägt von der Tektonik des Stahlbaus, obwohl die Gewächshausbauten des 19. Jahrhunderts bereits Flächentragwerke waren. Jan Wurm erklärt, dass die Eignung des Baustoffs als flächiges Tragelement erst heute wieder entdeckt wird. Glas hat, anders als Holz, Stahl oder Beton, keine traditionelle Genese von Material und architektonischer Gestalt durchlaufen: Der Glasbau, so Wurm, hat noch keine eigene Formensprache gefunden. Der Autor sieht eine Ursache dafür darin, dass die technologische Komplexität und die notwendige Spezialisierung des Bauphysikers, des Statikers und des Brandschutzverständigen das Ineinandergreifen von konstruktiven, funktionalen und gestalterischen Aspekten erschweren.
Der Autor hat sich jahrelang intensiv mit diesem Ineinandergreifen beschäftigt, was dem Buch anzumerken ist. Es vermittelt die profunde Auseinandersetzung eines Forschers. An der RWTH Aachen führte Wurm zahlreiche Seminare und Versuche in Zusammenarbeit mit der Industrie durch. 2005 promovierte er zum Thema Strukturformen von Dachtragwerken aus Flachglas.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert, die sich in zwei Teile unterscheiden lassen. Der erste Teil (Kapitel 1 bis 5) befasst sich mit Grundlagen, während der zweite dem konstruktiven Entwerfen mit Glas gewidmet ist. Zum Grundlagenteil gehören eine Darstellung der historischen Entwicklung der Anwendung von Glas in der Architektur und eine Systematisierung von Glasdachformen. Im Weiteren werden die Eigenschaften von Flachglas, die Herstellungsverfahren von Floatglas, Walzglas, Ziehglas und deren mechanische Bearbeitung und thermische Veredelung ebenso erklärt wie die Herstellung und Verwendung von Verbund-, Verbundsicherheitsglas und Isoliergläsern. Kapitel 4 erläutert Konstruktionen und Fügetechniken. Wurm zeigt den Einfluss der Lagerung auf Spannungsverläufe, beschreibt Nachweisverfahren und den Stand der europäischen Normierung. In Kapitel 5 werden Rückschlüsse aus den Materialeigenschaften auf die funktionstechnischen Anforderungen gläserner Hüllen formuliert. Neben Witterungs-, Sonnen- und Blendschutz wird auch die akustische Behaglichkeit und die Reinigung von Glasflächen angesprochen. Ein Grundlagenwissen ist für das Verständnis der technischen Ausführungen erforderlich.
Der zweite Teil des Buches bietet für das Entwerfen von Glastragwerken eine herausragende Grundlage. Wurm systematisiert Tragstrukturformen überaus anschaulich. Er zeigt, wie Glas in ebenen, gekrümmten oder doppelt gekrümmten Tragwerken eingesetzt wird. Kapitel 7 besteht aus einer Beispielsammlung. Besonders beeindrucken die Projekte von Trägerrosten, Faltwerken und räumlichen Fachwerken, von denen viele an der RWTH Aachen am Lehrstuhl für Tragwerkslehre entstanden. Im abschließenden Ausblick geht Jan Wurm auf die Zukunft der Glasarchitektur ein. Er sieht sie geprägt von dem Wunsch nach Reduktion und Abstraktion im Erscheinungsbild der Gebäudehülle. Verweise auf die konstruktive Beherrschung des Materials, wie es Punkthalter und Seilverspannungen ausdrücken, verlören hingegen zunehmend ihren Reiz. Verbundkonstruktionen, Beschichtungen und Klebetechnik werden dagegen verstärkt in Tragwerken eingesetzt werden, die dem Prinzip der Flächenbauweise folgen.
Die Buchgestaltung ist klar und stringent. Die oberen zwei Drittel jeder Seite sind Abbildungen vorbehalten. Sie umfassen Farbfotos von Bauwerken, Details und Laborversuchen, Systemskizzen, Detailzeichnungen, Tabellen und Diagramme. Der Text im unteren Drittel ist bündig und (außer in der Einleitung) nüchtern verfasst. Die Veröffentlichung ist allen Studierenden höherer Semester, Architekten und Bauingenieuren zu empfehlen, die sich vertiefend mit dem Thema beschäftigen oder die beim Entwerfen mit Glas neue Wege beschreiten möchten.
Fakten
Autor / Herausgeber Wurm, Jan
Verlag Birkhäuser, Basel Boston Berlin
Zum Verlag
aus Bauwelt 3.2008
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