Bauwelt

Dieter Oesterlen

Tradition und zeitgemäßer Raum

Text: Katzke, Thomas, Berlin

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Dieter Oesterlen

Tradition und zeitgemäßer Raum

Text: Katzke, Thomas, Berlin

Das Geleitwort wähnt Anne Schmeddings Monografie über Dieter Oesterlen (1911–94) zur rechten Zeit erschienen, da dessen Schaffenswerk nahezu unbekannt und obendrein vom Abriss bedroht ist. Dies ist heutzutage kein seltenes Schicksal für Bauwerke der Nachkriegszeit oder deren Architekten, jedoch verwunderlich für jemanden, den die Zeitschrift Baukunst und Werkform im Jahre 1952 als den erfolgreichsten deutschen Architekten bezeichnete.
Führt man sich die namhafte zeitgenössische Konkurrenz vor Augen, stellen sich zwingend die Fragen, ob sich diese Einschätzung in der Quantität oder in der Qualität der Bauwerke Oesterlens begründete und wie ein einst so hoch Gelobter heute so unbekannt sein kann.
Oesterlen wurde 1911 in Heidenheim an der Brenz geboren und wuchs in Hannover auf. 1930 begann er in Stuttgart ein Architekturstudium, floh jedoch vor der dort herrschenden Doktrin Paul Schmitthenners nach Berlin zu Heinrich Tessenow und Hans Poelzig, bei dem er 1936 – als einer seiner letzten Schüler – das Diplom erlangte. 1937–39 absolvierte Oesterlen eine Ausbildung zum Regierungsbaumeister. Nach deren Abschluss war er bis 1945 in Gemeinschaft mit Frank Beyer als selbstständiger Architekt an kriegswichtigen Bauprojekten beteiligt. Unmittelbar nach Kriegsende ging er in Hannover eine Bürogemeinschaft mit Paul Brandes ein, die 1949 endete. Im Anschluss durchlief Oesterlen seine produktivste Schaffensphase. In diese fällt auch das wichtigste Projekt im Schaffen Oesterlens – der Umbau des kriegsbeschädigten Leineschlosses
in Hannover zum Parlament für das Land Niedersachsen (1957–62). Durch die Aufmerksamkeit, die der 2008 verkündete Beschluss zum Abriss des Plenarsaalgebäudes hervorrief, ist dies vermutlich auch das bekannteste. Bis 1965 realisierte er 52 Projekte, davon 34 allein in Hannover. In den Jahren 1952–76 hatte er eine Professur an der TU Braunschweig inne und prägte mit Friedrich Wilhelm Kraemer und Walter Henn die dortige Architekturlehre, bekannt als „Braunschweiger Schule“. Sein Schaffenswerk als Architekt setzte er bis 1991 fort, 1994 starb Oesterlen in Hannover. Insgesamt listet die Monografie 118 realisierte Bauten und Umbauten auf, davon entfallen 14 auf die Zeit vor 1945. Nur zwei der realisierten Projekten befinden sich außerhalb Deutschlands, der 1962–67 angelegte Soldatenfriedhof auf dem Futa-Pass in Italien und die 1980–83 errichtete Deutsche Botschaft in Buenos Aires, Argentinien.
Schmedding lotet gewissenhaft, ohne Oesterlen zu thronisieren, die Schwerpunkte seines Schaf­fens aus und verzeichnet sie maßgeblich im Sakralbau und dem Bauen im Bestand. Diese Bereiche stehen im Fokus der Publikation, die jahrzehntelange Lehrtätigkeit Oesterlens wird in einem kurzen Abschnitt abgehandelt.
Oesterlens Ansinnen war nicht die originalgetreue Rekonstruktion, sondern überkommene Elemente in einen „zeitgemäßen Raum“ zu transportieren – ein Weiterbauen im zeitgenössischen Stil. Der Zeitgeist der Wiederaufbauphase forderte eine deutliche Abgrenzung zur historisierenden Symbolarchitektur des Nationalsozialismus und ermöglichte so – durch die Schüler der verfemten Protagonisten – eine Wiedererscheinung der aus dem faschistischen Deutschland vertriebenen „Moderne“.
Trotz seiner Tätigkeit zur NS-Zeit rechnet Anne Schmedding auch Oesterlen zu diesem Kreis und
leitet seine Reminiszenzen im Kirchenbau – ebenso wie seinen Umgang mit historischem Bestand – aus der klassischen Moderne ab. Sie vermerkt im Besonderen für seine Kirchenbauten der fünziger und der frühen sechziger Jahre im Materialumgang und der Konzentration auf den Innenraum deutliche Paralle­-len zum Werk Hans Poelzigs. Oesterlens Umgang mit überkommener Denkmalsubstanz verdeutlicht sie umfassend am Beispiel des Umbaus des Leineschlosses zum niedersächsischen Landtag. Oesterlen ent­wickelte hierfür innerhalb der erhalten gebliebenen Außenmauern einen Neubauentwurf und reduzierte die überkommenen Zeitschichten allein auf die der klassizistischen Bauphase – um so deren Gemeinsamkeiten mit der Moderne zu betonen. Eine heute willkürlich erscheinende Form der Denkmalpflege und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die der modernen Architektur unterstellen, Zeichen der Veränderung keinen ausreichenden Raum zu lassen.
Die Publikation stellt Oesterlens kontinuierliche Schaffensweise im Wandel der politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und in Verbindungen im Entwicklungsprozess der Bundesrepublik dar und leistet damit einen interessanten Beitrag zu deren noch jungen Baugeschichte. Sie macht aber auch deutlich, dass Oesterlen seine Auffassung des zeitge­mäßen Raumes im Verlauf der sechziger Jahre nicht mehr dem zeitgenössischen Wandel der Architektur anpassen konnte und – aus der Mode gekommen – dem Vergessen anheim fiel.
Obwohl zahlreich, können die unglücklicherweise oft sehr kleinformatigen schwarz-weiß Abbildungen leider nicht zur Auflockerung des partiell etwas spröden, wissenschaftlichen Duktus der Textpassagen beitragen. Der Rezensent hätte vermutlich eindeutiger von Oesterlens Qualität überzeugt werden können, wenn zumindest das im Anhang gelistete, quantitativ umfassende Werkverzeichnis neben den Daten und der Beschreibung des heutigen Zustandes der realisierten Projekte auch die zum Verstehen eines Bauwerkes notwendigen Schnitte und Grundrisse aufweisen würde.
Fakten
Autor / Herausgeber Anne Schmedding
Verlag Wasmuth Verlag, Tübingen, 2011
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aus Bauwelt 20.2012
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