Bauwelt

Deutsches Architekturjahrbuch 2010/11

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin

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Deutsches Architekturjahrbuch 2010/11

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin

Ein Jahrbuch erlaubt die Rückschau. Es betrachtet, wenn es zum Beispiel für das Jahr 2010 angelegt wird, eben den Zeitraum um dieses Jahr herum. Wenn es nach vorne weist, ins Jahr 2011, dann wagt es eine Projektion. Es muss sich positionieren, in jedem Fall. Es muss im Rückblick benennen, was gelungen ist, und es muss nach Vorne auf noch ausstehende Arbeit deuten.
2010: was ist gelungen? 23 Projekte sind es diesmal. Eins ist etwas größer dargestellt: Das Neue Museum in Berlin von David Chipperfield, denn es hat den DAM-Preis für Architektur in Deutschland 2010 erhalten. Aber auch die anderen Arbeiten, die hier versammelt sind, überzeugen. Sie sollen deshalb, wie jedes Jahr, zusammen in einer kleinen Sonderschau im Architekturmuseum in Frankfurt vorgestellt werden. Das Jahrbuch wäre also auch eine Art Katalog: Gute Autoren berichten über gute Projekte.
Und welche Aussagen weisen nach vorne? 2011: Es müssten die Essays sein, die den Blick wagen. Arno Lederer plädiert für eine Kontinuität, für ein Weiterbauen am Vorgefundenen. Niemand, der hier Einspruch erheben könnte oder auch wollte: Eine Betrachtung, die im weitesten Sinne auf die Landschaften Europas zutreffen dürfte, deren Städte und Gebäude sich an die gewandelten Rahmenbedingungen einer Turbogegenwart anpassen. Sie haben ein gewachsenes Bezugssystem, das von hohem Wert ist und mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muss.
Anders sieht das offensichtlich aus, wenn man nach Asien reist. Dirk Meyerspeer wagt einen Blick auf die neuen Städte in China, die ja auch dank deutscher Experten entstehen. Eine irritierende Leseerfahrung, die offensichtlich das Resultat einer Kritiker-Kurzreise ist, die erst nach Brasilia und, in unmittelbarem Anschluss daran, nach Lingang ging. In Lingang, nahe Shanghai, entsteht, basierend auf einer Planung von GMP, eine neue Satellitenstadt für 800.000 Einwohner. Der Rücktransfer eines „deutschen“ Blicks aus einer „deutschen“ Stadt in China nach Deutschland kann allerdings nicht gelingen. Man telefoniert mit sich selbst. Der Erkenntnisgewinn aus der Lektüre ist für den Leser aus dem Metier gering, dem Laien ist die Sache wahrscheinlich egal.
Und genau hier wird die Schwäche des Jahrbuchs offensichtlich. Das Deutsche Architekturjahrbuch ist nämlich ein deutsches Architekturjahrbuch. Auch wenn vier Projekte im Ausland entstanden sind, bleibt man bei sich selbst. Deutsche Autoren schreiben über deutsche Projekte. Das ist eine vertane Chance, denn da gibt es durchaus kritische Entwicklungen, die in einem Jahrbuch thematisiert werden könnten, die vielleicht gerade durch einen Blick von außen sichtbar würden. Es erstaunt den Leser, wie selbstverständlich eine heile Welt der Architektur proklamiert wird, die doch in der Realität im Schraubstock von Bevölkerungsverlust und Fördermittelpoker steckt. Ein Metier, das zwischen Rekon­struktion des Verlorenen und der Kapitulation vor dem vermeintlich Unvermeidbaren einer rein ökonomisch gesteuerten Zukunft keine Entscheidung mehr treffen will, sollte sich so eine statische Selbstdarstellung der eigenen Profession eigentlich nicht erlauben. Die tatsächlichen und spannenden Debatten der Architektur, die in Deutschland 2009 und 2010 stattgefunden haben, werden nicht erwähnt: Humboldtforum und Waldschlösschenbrücke? Architekturpolitik, Baugruppen/Gentrifizierung? Nur um beliebig ein paar Themen zu nennen, über die sich trefflich streiten ließe: All dies gibt es nicht und damit auch nicht die Chance, ein paar Pflöcke einzuschlagen, um eine Positionierung des Architekten in einem politischen und ökonomischen Umfeld vorzunehmen. Könnte das Jahrbuch nicht auch ein Werk sein, das den Architekten als einen lebendigen und ernst zu nehmenden Akteur einer Gesellschaft im Wandel zeigt? Ein Buch also, dass Werbung macht für eine Profession, der es um Inhalte mindestens genauso geht wie um Gebautes? Ein Jahrbuch könnte dann auch ein ungeheuer wertvolles Werkzeug sein, um nach außen zu wirken.
Fakten
Autor / Herausgeber Peter Cachola Schmal und York Förster im Auftrag des DAM
Verlag Prestel Verlag, München 2010
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aus Bauwelt 3.2011
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