Bauwelt

Wie „affordable housing“ unbesehen verschwindet

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Rechts der demnächst umgenutzte ehemalige Verwaltungsbau des Olympia-Dorfs
Jürgen Haury, Depositphotos

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Rechts der demnächst umgenutzte ehemalige Verwaltungsbau des Olympia-Dorfs

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Wie „affordable housing“ unbesehen verschwindet

Text: Geipel, Kaye, Berlin

In vielen Großstädten werden die Wohnquartiere der Nachkriegsmoderne durch Sanierung und Neubau verändert. An ihre Stelle rückt „hochwertige Architektur“. Sie verhindert den Blick auf das Defizit an typologischer Neuerung und drängt die Frage an die Wand, wie billiger Wohnraum in den begehrten Städten überhaupt noch realisierbar ist.
München | Haben wir etwas übersehen? Hatte Günter Behnisch bei Olympia 1972 nicht nur die grandiose Dachlandschaft entworfen, sondern noch alles Mögliche mehr? Als der Prospekt für die kleinen, kostbaren Apartments im umgemodelten „Olympia-Tower“ auf den Redaktionstisch flatterte, haben wir uns gewundert: „Dank der großzügig dimensionierten Fenster sind die 320 Studio-Apartments lichtdurchflutet – ganz nach dem Credo von Günter Behnisch“, stand da zu lesen. Was hier zum Verkauf angeboten wird, trägt aber nicht die Handschrift von Behnisch. Der Turm, der künftig mit Edelstudios vollgepropft sein wird, wurde einst als sperrig-nüchterner Verwaltungsbau auf dem Olympiagelände von der Planungsfirma Heinle Wischer und Partner errichtet. Es kann – so mag sich die Entwicklergesellschaft des Olympia-Tower gedacht haben – nicht schaden, wenn die Anleger für 24 Quadratmeter „Business Class Living“ knapp 200.000 Euro auf den Tisch legen sollen, eine exklusive Möblierung von 24.000 Euro inklusive, die hauteng anliegenden Apartments nachträglich mit dem Label „Günter Behnisch“ zu branden. Die interessante Frage ist eine andere. Die Idee einer solchen Umwandlung von der Büro- zur Wohnfunktion ist ja vorbildlich. Bloß, warum entstehen im einstigen Olympiadorf nicht dringend benötigte Studentenwohnungen, sondern Zweitwohnungen mit „langfristiger Renditeperspektive“ für Businesskunden – das Letzte, was München zurzeit braucht. Die Antwort auf den Wohnungsmangel hat Münchens OB Christian Ude, offensichtlich in Bedrängnis gekommen, im August in einer achtseitigen Erklärung öffentlich gemacht, in der es u.a. heißt: „Der Wohnungsmangel ist die Kehrseite des Erfolgs unserer Stadt.“ *
*Christian Ude: „Bestandsschutz und Neubau, aber nicht Behinderung des Wohnungsbaus“ | ▸ www.muenchen.de/Rathaus/dir/presseservice/2011
Zürich | Wir stellen in diesem Heft eine neue Siedlung in Zürich-Albisrieden mit einem Text des Kritikers Axel Simon vor, den wir aus der Zeitschrift Hochparterre übernommen haben. Simon macht die Schwierigkeiten eines Prozesses sichtbar, der zurzeit in vielen Großstädten in vergleichbarer Form stattfindet: Wohnbauten der unmittelbaren Nachkriegszeit werden abgerissen und durch neue, größere und energetisch sinnvollere Bauten ersetzt. Die Wohnsiedlung der Architekten von Ballmoos Krucker zeigt exzellente Architektur, ein innerstädtischer Großwohnbau mit einer gestalterischen Haltung, wie man sie selten findet. Und doch hat dieser Neubau ein Problem: Das Quartier mit seinem gesamten sozialen Gefüge wurde in Richtung gehobener Mittelstand verändert. Wir haben den Zürcher Direktor des Amtes für Städtebau, Patrick Gmür, auf das Triemli-Quartier und auf mehr als zwei Dutzend weitere Beispiele angesprochen, bei denen Siedlungen aus der Nachkriegszeit saniert werden. Fast immer führt das zu ei­-nem „Upgrading“ – mit Verlierern unter den Nachfragern nach billigem Wohnraum. Die Antwort ist ähnlich wie in München: Bei den aktuellen Bodenpreisen sei der Spielraum für die Stadt minimal. „Wir haben in der Tat ein Problem bei der Bereitstellung von Wohnraum für die einfachen Haushalte“, so Gmür. An neuen Konzepten würde die Zürcher Verwaltung arbeiten.              
In Köln | wurde bei dem Beispiel in diesem Heft auf den ersten Blick alles richtig gemacht: Die Neubauten von Astoc im Viertel Ostheim fallen sichtbar bescheiden aus, die sozialen Qualitäten der alten Siedlung blieben gewahrt. Allerdings befindet  sie sich auch nicht in einer begehrten Zentrumslage. Doch selbst hier, so ergaben Nachfragen, haben sich die zuvor äußerst niedrigen Mieten nach Abriss und Neubau verdoppelt (siehe Kasten Seite 22). Dabei sind auch in Köln vor allem die ganz billigen Wohnungen Mangelware. Die Verfasser des letzten Kölner Mietspiegels machen dafür die Delle bei freifinanzierten Wohnungen verantwortlich und verweisen auf ein Detail: Prekär sei die Situation gerade bei der Nachfrage nach kleinen Wohnungen mit einem Baujahr vor 1960. Gibt es in Köln ein plötzliches Faible für die Ästhetik der 50er Jahre? Natürlich nicht. Grund ist, dass die einfache Ausstattung und der Zuschnitt dieser Wohnungen sowohl für die ältere als auch für die mobile Bevölkerung mit kleinen Einkommen akzeptable Bedingungen bietet. Versuche, Abhilfe zu schaffen, haben es schwer. Die Kölner Architekten BEL haben vor einem Jahr ein „Smart Price House“ entwickelt, mit einem deutlichen Anteil an Selbstbau und dem erklärten Ziel, billigen City-Wohnraum auf frei finanziertem Wege „nachzuliefern“. Als die Architekten ihr Konzept bei einer Diskussion vorgestellten, gab es Kritik von Kollegen. Das Projekt sei naiv und zynisch, es ziele auf „Schein-Favelas“ mit Laubenpieper-Ästhetik. Mag sein, dass die Architektur pover daherkommt. Doch immer mehr Menschen wollen in die Stadt, low-standard wäre akzeptabel, lässt sich aber nicht finden.
In New York | ist die Spekulationsblase 2008 nur scheinbar zerplatzt. Der Stadtkritiker Richard Plunz hat kürzlich in einem längeren Text gezeigt, dass davon in New York City keine Rede sein kann. Der Durchschnittspreis einer New Yorker Wohnung hat sich zwischen 1995 und 2008 auf mehr als 1,2 Millionen Dollar verdreifacht, nennenswert abgeschwächt hat sich die Preisspirale nicht. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist bis heute um ein Vielfaches höher als das Angebot. Beigetragen zu diesem Defizit habe die schwer vorhersagbare Volatilität in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung. Doch der zweite Grund sei eben der „luxury boom“, the „celebrity makeover of the neighbourhood“. Den Anfang machte laut Plunz übrigens der lange Zeit in New York eher erfolglose Richard Meier mit den Türmen 173 und 176 Perry Street. In seiner Schlussfolgerung nimmt Plunz die Architekten und Stadtplaner ins Visir und konstatiert Denkfaulheit. „Neue typologische Erfindungen, wie bezahlbarer städtischer Wohnraum aussehen könnte, gab es nicht.“ Ein polemisches Statement? Klar ist, dass Architekten nur ein Teil des Marktes sind und oberhalb von gewissen Bodenpreisen nur eine veränderte städtische Bodenpolitik hilft. Aber eines dürfte sich in Zukunft wieder lohnen: Die nur auf den ersten Blick naiv anmutenden Konzepte für einfache Kleinwohnungen und Ideen wie das SmartPrice-House genau unter die Lupe zu nehmen. Selbst wenn das wenig sexy ist.

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