Bauwelt

Making Room

Wohnen in New York

Text: Schindler, Susanne, Princeton

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Alexandros Zervos

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Making Room

Wohnen in New York

Text: Schindler, Susanne, Princeton

Die heute rund acht Millionen Einwohner zählende Stadt New York wird bis 2030 um eine weitere Million wachsen, so die Voraussagen des Stadtplanungsamts. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung: Wo sollen diese Menschen wohnen? Schon heute leidet New York unter einer ungewöhnlich niedrigen Leerstandsqoute von unter drei Prozent. Wie kann die Diskrepanz zwischen Wohnungsbestand und dem Wohnbedarf heutiger Lebensformen behoben werden?
Zwei Erwachsene mit Kindern unter 25 Jahren – in New York City ist das eine klassische Familie, für die Statistik. Doch lediglich 17 Prozent der Haushalte fallen in diese Kategorie. Das befand die letzte Volkszählung. 17 Prozent sind Paare ohne Kinder, 9 Prozent Alleinerziehende, 33 Prozent Alleinstehende. 24 Prozent sind Haushalte, die mit mindestens einem weiteren Erwachsenen geteilt werden. Für die geltende Gesetzgebung der Stadt New York hingegen ist die Familie der einzige soziale Verband, der legal in einer Wohneinheit (dwelling unit) leben darf; das Zusammenleben von mehr als drei nicht miteinander verwandten Erwachsenen ist, rechtlich gesehen, also illegal.

Während das WG-Leben in der Realität nicht geahndet wird, erschweren diese und zahlreiche andere Vorschriften aber den Bau von großen, legal unterteilbaren Wohnungen ebenso, wie von Kleinstwohnungen. Ein Beispiel: In der Regel muss pro Wohneinheit ein Parkplatz vorgesehen werden, unabhängig von der Wohnungsgröße. Da der Bau von Parkgaragen teuer ist und das Gesetz die maximale Anzahl an Wohneinheiten pro Gebäude festgelegt (dwelling unit factor), gibt es ein Überangebot an Wohnungen mit zwei Schlafzimmern. Der Bau eines Boardinghouses – im New Yorker Jargon: Single Room Occu­pancy – in dem sich mehrere Bewohner Küchen und Bäder teilen, ist zur Zeit nicht umsetzbar (Hotels und Unterkünfte für Studenten, Krankenschwestern oder geistig Behinderte fallen in eine andere Nutzergruppe).  

Die sich oft selbst widersprechende Gesetzeslage ist fern der Realität des Wohnungsmarktes. In dieser Diskrepanz sieht das Citizens’ Housing and Planning Council (CHPC), eine 1937 gegründete Organisation, die sich für Wohnungs- und Planungsbelange einsetzt, das Haupthindernis für den Bau von angemessenem Wohnraum. Zusammen mit der Archi­tectural League, einem 1881 gegründeten Verein zur Förderung der Baukunst, lancierte das Council 2009 das Projekt „One Size Fits Some“ (Die Einheitsgröße passt manchen). Internationale Experten waren eingeladen, Beispiele für Kleinstwohnungen sowie gemeinschaftliches Wohnen vorzustellen. Zwei Jahre später folgte „Making Room“ (Raum schaffen) mit dem Ziel, die Veränderung verwaltungstechnischer Rah­men­be­din­gungen, policy, durch entwurfliche Ansätze, design, anzustoßen. Jerilyn Perine, die Direktorin des CHPC, formuliert es so: „Wir brauchen positive Bilder, um eine Veränderung der Denkweisen anzuregen. Argumentieren wir rein auf der Verwaltungsebene, schläft die eine Hälfte des Auditoriums ein, und die andere beginnt sofort, sich zu bekriegen.“

Fünf Architekturbüros wurden gebeten, Wohnmodelle für Singles, für gemeinschaftliches Wohnen sowie für Einlieger-Wohnungen zu entwickeln. Sie wurden dabei ausdrücklich aufgefordert, ausgewählte Bauvorschriften in Frage zu stellen. Das Ergebnis der fünfwöchigen Bearbeitungszeit wurde im November in einer ganztägigen Veranstaltung präsentiert. Die Strategien der Architektenteams waren recht unterschiedlich. Peter Gluck stellt die Abstandsregelung in Frage: Für eine New Yorker Standard-Parzelle von 25 x 100 Fuß (ca. 7,50 x 33 m) schlägt er seitlich belichtete Microlofts vor; Stan Allen und Rafi Segal sowie Deborah Gans loten Möglichkeiten der Bestandsnutzung aus, unter anderem wandeln sie, von außen nicht erkennbar, ein Einfamilien- in ein Mehrfamilienhaus um; Jonathan Kirschenfeld plädiert für großmaßstäbliche Eingriffe, die ein Angebot für Leben und Arbeiten im Board­inghouse und in flexibel nutzbaren Großwohnungen be­in­halten; Ted Smith adaptiert sein in San Diego schon mehr­-fach realisiertes GoHomes-Modell: Ein Gebäude mit offiziell drei Wohneinheiten, das tatsächlich aber in zwölf unabhängigen Suites genutzt werden kann. Die Konzepte der Architekten stießen bei den Kommunalvertretern durchaus auf Zustimmung. Es blieb die Frage, wie das CHPC die Bauvorschriften beeinflussen soll – über gut publizierte Pilotprojekte oder durch Verhandlungen fernab der Öffentlichkeit? Es war Ted Smith, erfahren in der Interpretation von Bauvorschriften und in Konflikten mit Anwohnern und Stadtverwaltung, der riet: „You can confront them, or you can go around them. I say: go around them.“ Kurzum: machen!
(Videos aller Präsentationen und weitere Informationen: makingroomnyc)

Unbeantwortet bleibt die allgemeine Frage, wie Wohnungsbau in den USA finanziert wird. Laut CHPC können sich heute lediglich 20 Prozent der New Yorker neu gebauten, frei finanzierten Wohnraum leisten; dennoch akzeptieren die we­nigsten Bürger, dass bezahlbarer Wohnraum nur mit staatlicher Förderung direkter oder indirekter Art finanzierbar ist. Oder sie ignorieren, dass die Abschreibung einer Hypothek ebenso eine Subvention darstellt wie der durch Steuerkredite geförderten Bau von erschwinglichem, also einkommensgebundenem Wohnraum (affordable housing). Die Finanz- und Hy­pothekenkrise hat die Kategorien dessen, was öffentlich und was privat ist, in Frage gestellt; privatwirtschaftliche Banken sind durch staatliche Finanzspritzen zu quasi-öffentlichen Institutionen geworden. Eine aktivere Rolle des Staates ist noch nicht in Sicht. Das Mantra der Konservativen lautet „small government“: weniger Staat.

Umso wichtiger sind nichtstaatliche Organisationen wie das CHPC. An ihnen ist es, die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten von Politik und Architektur auszureizen. Es gibt Anzeichen für ein Umdenken: Michael Kimmelman, seit Oktober Architekturkritiker der New York Times, veröffentlicht Artikel über so „mondäne“ Themen wie sozialen Wohnungsbau, Fahrradwege und öffentliche Bibliotheken. Und auch die für Februar 2012 am MoMA geplante Ausstellung „Foreclosed“ (Zwangsvollstreckt) zeigt, dass sich ein breiteres Bewusstsein dafür herausbildet, dass Architektur etwas mit Wohnungsbau (in den USA nicht selbstverständlich) und folglich mit Politik zu tun hat.

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