Erneuerung oder Säuberung?
Text: Stumberger, Rudolf, München
Erneuerung oder Säuberung?
Text: Stumberger, Rudolf, München
Fünf Jahre nach „Katrina“ schreitet der Wiederaufbau der zerstörten Stadtviertel in New Orleans weiter voran. An der Art der Neubebauung entzünden sich jedoch Konflikte. Wird die Stadterneuerung gar zur Umschichtung der Wohnbevölkerung eingesetzt?
„Welcome to Lower Ninth Ward“ hat jemand auf ein altes Reklameschild gepinselt. Gegenüber steht das Denkmal für die Opfer und Überlebenden des Wirbelsturms „Katrina“, der größten Katastrophe in der Geschichte von New Orleans. Als am 29. August 2005 die Deiche brachen, wurde ein Großteil der Stadt überschwemmt. Es gab keine öffentliche Ordnung mehr, in den Tagen des Chaos starben 1800 Menschen. Schwer getroffen hatte es auch den neunten Stadtbezirk, dessen Niveau unter dem Meeresspiegel lag. Als der Deich am Industriekanal brach, lief das Viertel voll wie eine Badewanne.
Noch heute sind hier an einigen Häusern sonderbare Zeichen und Ziffern aus diesen Tagen zu sehen. Sie geben Aufschluss über gerettete und tot aufgefundene Bewohner am Tag der Durchsuchung. Doch die meisten Hinweise auf die Katastrophe geben leere, von Unkraut überwucherte Flächen. Auf ihnen standen früher Wohnhäuser. „Mein Haus wurde völlig hinweggespült, da war nichts mehr außer Schlamm und Verwüstung“, erinnert sich Ann Parfaite. Die 68-Jährige lebte 39 Jahre im Lower Ninth Ward, bis das Wasser kam. Die Rentnerin war nach Alexandria in das Innere des Bundesstaats Louisiana geflüchtet, und als sie zurückkam, erlebte sie die Stadt als eine gespenstische Kulisse.
„Make It Right“
Heute wohnt Ann Parfaite wieder hier. „Das hier ist ein ultramodernes Haus“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Mit Solarpaneelen und Bepflanzung auf dem Dach; geschützt gegen Hochwasser, weil auf Stelzen stehend; wirbelsturmgeprüft bis zu Windgeschwindigkeiten von 130 Meilen pro Stunde; nach modernsten energetischen Erkenntnissen errichtet und mit in den Wänden integrierten Schränken und Stauräumen. Metalldächer isolieren die Innenräume gegen Hitze und dienen als Fluchtpunkt bei Hochwasser, das Regenwasser wird in zwei Zisternen aufgefangen, die Niedrigenergie-Fenster sind gegen Stürme geschützt. Rund 150.000 Dollar kostet ein derartiges Haus, Ann Parfaite hat es mit kommunalen Überbrückungskrediten finanziert. Das Wiederaufbauprogramm nennt sich „Make It Right“ und geht auf den Schauspieler Brad Pitt zurück, dem in der Altstadt von New Orleans ein Haus gehört. 2006 gründete er die Stiftung, die bis heute rund 50 Niedrigenergiehäuser im Ninth Lower Ward errichtet hat. Aber es geht auch um die Schaffung neuer Nachbarschaften. Denn „Katrina“ hat neben den Häusern auch die lokalen Gemeinschaften zerstört. „Viele sind nicht mehr zurückgekommen“, sagt Ann Parfaite. Für Brad Pitt ist sie voller Lob: „Der hat seine Sache gut gemacht.“
„Es gibt ein paar gute Sachen, aber auch viel Kritikwürdiges“, meint hingegen Alec White. Der 20-jährige Student verbringt hier im neunten Bezirk eine Woche als Helfer bei „Common Ground Relief“, einer Bürgerinitiative. Die Organisation entstand unmittelbar nach „Katrina“ als Selbsthilfeprojekt mit dem Motto „Solidarität statt Wohltätigkeit“. Auch sie kümmert sich um die Rückkehrer, setzt Häuser instand, legt kommunale Gärten an und betreibt ein nichtkommerzielles Krankenhaus. Ein eigenes Projekthaus steht kurz vor der Fertigstellung. „Brad Pitt hat die Aufmerksamkeit auf diese Gegend gelenkt, und er hilft den Leuten heimzukehren“, sagt Alec, zählt aber auch Gründe auf, die gegen das Projekt sprechen. Die ehemals schwarze Bevölkerung werde durch weiße Zuwanderer ersetzt, das Viertel solle eine neue soziale Zusammensetzung bekommen. „Weiße Vorherrschaft“ nennt das Alec. Zudem gehörten die Häuser bis zur Schuldentilgung der Stiftung, hätten unpraktische Grundrisse, und auf den Metalldächern könne man keine Zuflucht finden, weil man dort geröstet werde. Hinter dem „French Quarter“, der Altstadt von New Orleans, und in unmittelbarer Nachbarschaft zum alten Stadtfriedhof gelegen, befindet sich die „Iberville Community“, ein Ensemble von massiven Backsteinbauten. Iberville ist eine der Siedlungen mit Sozialwohnungen aus der Zeit des New Deal in den 1940er Jahren. Heute werden die Gebäude mit Geldern aus dem nationalen Aufbauprogramm „ARRA“ saniert: Gitterzäune trennen die einzelnen Wohnblocks, Türen und Fenster von Wohnungen sind verriegelt. Diese vom Staat errichteten „Public Housing“-Projekte sind in der Regel für Familien mit einem sehr geringen Einkommen gedacht. 2007 lebten in den USA rund 1,2 Millionen Haushalte in derartigen Anlagen. Iberville hat „Katrina“ überstanden, doch andere große Sozialwohnungsanlagen wie etwa „St. Bernhard“ wurden mittlerweile abgerissen und durch neue Holzhäuser ersetzt. Inoffiziell lebten dort vor 2005 bis zu 20.000 Menschen. Um den Abriss dieser Wohnungen tobte nach „Katrina“ lange eine ideologische Schlacht, die in der Presse, im Stadtrat, in Expertenrunden und von Selbsthilfegruppen geführt wurde.
Die Abrissbefürworter behaupteten, die Siedlungen seien ein Hort der Kriminalität, der Armut und sozialen Hoffnungslosigkeit gewesen, die Gebäude beschädigt und heruntergekommen. Schon vor dem Sturm seien viele Wohnungen unbewohnbar gewesen. Hier wohnten vor allem alleinerziehende schwarze Frauen, die von Sozialfürsorge lebten. In diesem Milieu reproduziere sich die Armut, so die Argumentation. Demgegenüber setze man nach dem Abriss auf eine sozial gemischte Wohngegend, was die Aufstiegschancen der dort lebenden bedürftigen Familien verbessern würde. Die Kritiker dieses Nachbarschaftskonzepts, darunter „Common Ground“, sprachen hingegen von „sozialer Säuberung“. New Orleans habe nach der Flut seine Unterschicht vertrieben. Die Rückkehrer hätten ihre Häuser von Polizisten bewacht vorgefunden, die den Wiedereinzug verhinderten. Mehr als 3000 Sozialwohnungen seien inzwischen abgerissen worden. Und in den neuen, gemischten Wohngebieten, wo die pastellfarbenen Holzhäuser teils verkauft, teils als Sozialwohnung vermietet werden, stünden die dort lebenden ärmeren Familien seither unter Dauerbeobachtung.
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