Bauwelt

Den Spaghetti-Knoten entwirren

Text: Wærn, Rasmus, Stockholm

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Plan: Stadt Stockholm/Foster and Partners, Berg Arki­tektkontor

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Plan: Stadt Stockholm/Foster and Partners, Berg Arki­tektkontor


Den Spaghetti-Knoten entwirren

Text: Wærn, Rasmus, Stockholm

Seit Jahren debattiert Stockholm die Zukunft von Slussen. Der Verkehrsknoten in bester Uferlage gegenüber der Altstadt bedarf dringend der Umgestaltung, denn seine Gründung ist marode, und seine filigrane Betonarchitektur aus den dreißiger Jahren bröckelt.
Soll der freie Raum bebaut werden, um Schutz zu bieten vor der rauhen skandinavischen Witterung? Und wenn ja: Bietet es sich in dieser Lage nicht an, öffentliche Nutzungen zu integrieren?
Das weitaus Erstaunlichste am Sanierungsprojekt Slussen ist, dass sich überhaupt etwas tut: Seit den sechziger Jahren ist die Grunderneuerung des Stockholmer Verkehrskreisels das erste größere Stadterneuerungsprojekt in ganz Schweden. Der riesige Infrastrukturknoten, an dem Pkw, Buslinien, Untergrundbahnen, Fußgänger und Schiffsverkehr aufeinander treffen, ist nicht nur eine der wichtigsten urbanen Schnittstellen der Hauptstadt – er funktioniert auch ganz einmalig schlecht. Die jetzige Situation stammt aus dem Jahr 1935 und ist sowohl bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit als auch als räumliche Struktur völlig überaltert (Bauwelt 6.05). Mag das Kleeblatt auch als ein Wahrzeichen der Moderne in Schweden gelten – zuerst einmal ist es bloß eine gigantische Straßenkreuzung an einer Stelle, die eher für Menschen als für Fahrzeuge gemacht sein müsste. Seit der Autoverkehr auf andere Strecken ausweichen kann, wirkt der komplizierte Knoten außerdem zunehmend überdimensioniert. Zugegeben, das ist meine persönliche Meinung. Die Stimmen, die sich für eine Beibehaltung der jetzigen „Gabel voll Straßen-Spaghetti“ stark machen, sind so zahlreich wie wohl artikuliert, und normalerweise hätte dies das Projekt zumindest verzögert. Doch ist das die am wenigsten wahrscheinliche Option: Der verwitterte Beton macht eine Nutzung zunehmend gefährlich, und restaurieren kann man hier nichts. Die gesamte Konstruktion ist wegen der maroden Pfahlgründung wortwörtlich im Sinken begriffen. Nach mehreren Wettbewerben sollen jetzt Berg Arkitektkontor, deren Büro mitten auf dem Baugelände liegt, und Foster & Partners ihren Wettbewerbsentwurf von 2009 weiter ausarbeiten.
Bebauter oder offener Raum?
 
Der Konflikt zwischen den Polen Erhalt und Erneuerung ist nicht der einzige, der eine Entscheidung erzwingt. Eine nächste Frage betrifft die Interpretation des Areals. Bis heute waren die beiden Inseln von Altstadt und Södermalm immer durch einen schmalen Streifen Land verbunden, in den eine enge Fahrrinne gegraben wurde. Muss das so bleiben? Nein, meinen Berg und Fosters, und meiner Meinung nach haben sie recht. Der Abfluss für den Mälaren-See in die Ostsee ist einer der wichtigsten Aspekte der neuen Planungen. Knapp 300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde lassen sich derzeit durch die geöffneten Schleusentore und umliegenden Kanäle ableiten. Das wird nicht reichen. Bereits jetzt kommt es bei heftigem Regen zu Pegelständen, die die Metro-Tunnel zu fluten drohen – um auch mögliche Folgen des Klimawandels abfangen zu können, müssten die Kapazitäten das 5-Fache betragen. Technisch gesehen wäre eine unterirdische Lösung eventuell sogar machbar, doch wegen der Hochwasser scheint die Idee von Slussen als einer festen Landverbindung sozusagen „auf Sand gebaut“. Eine Anbindung, die sich über Brücken anstelle einer Landverbindung definiert, ließe dem Wasser mehr Raum – und böte Gelegenheit für eine neue Art der Uferanlage. Was uns zur dritten Frage führt: Sollte Slussen offenes Gelände bleiben, oder könnte hier ein bebautes Areal mit Binnenräumen entstehen? Bürgern wie Politikern (die über mögliche Maßnahmen eindeutig übereilt entschieden haben), geht es weniger um Neu oder Alt als um die Frage, wie man das Panorama am besten bespielt. Das ist harmlos, billig und einfach an die Basis zu kommunizieren. Der in Schweden vorherrschende Konsens über Architektur lautet, dass neue Gebäude hässlich sind. Große Gebäude sind sehr hässlich, kleinere weniger. Solche Ansichten machen es schwierig, unbebaute Flächen durch bebaute zu ersetzen. Berg und Foster hatten den Wettbewerb mit einem Vorschlag für sich entschieden, der eine neue bauliche Front zum Wasser und zur Altstadt hin vorsieht. Das ist auch in meinen Augen der richtige Ansatz, doch weil Wiederwahlen anstanden, wollte sich keine politische Partei für Neubauten stark machen: also Radiergummi angesetzt und weg mit dem Hauptgebäude.
 
Heute, nach den Wahlen und mit neuen Verantwortlichen, könnte sich das wieder ändern. Die Stadt ist ein komplizierter Schauplatz für politische Strategiespiele. Einige wenige mögen in der romantischen Gegenutopie der Piranesi-Betonkulisse vielleicht Trost finden, doch eigentlich handelt es sich im Falle von Slussen nicht um einen Ort, der durch seine immanente Schönheit beeindruckt. Im Gegenteil, es ist mehr die Qualität als Nicht-Ort, die man an hier schätzt: die lichtdurchlässige Plattform mit dem weiten Rundblick. Dabei ist es ein Ort des Übergangs. Trotz seiner Lage war Slussen nie ein Ort, an dem man verweilt; der Status als Aussichtspunkt bezieht sich in erster Linie auf die Bauten aus dem 19. Jahrhundert und das Gondolen-Restaurant, eine Art Eiffelturm für Stockholm. Die Befürworter der Aus- und Rundblicke argumentieren, Slussen sei der offene Raum an sich. Was immer eine Neuordnung hier verändern könnte, so müsse doch unter allen Umständen die Offenheit erhalten bleiben. Das erscheint nachvollziehbar, wenn man die Lösung von 1935 als Leitbild ansetzt. Schaut man sich aber frühere Stadien an, ist das mit dem offenen Raum weniger eindeutig. Noch vor hundert Jahren war Slussen relativ dicht bebaut, was sich bis heute an der Fassadenlinie der alten Häuserzeilen ablesen lässt. Unterschiedliche Auffassungen sind also durchaus begründbar. Soviel zur dritten Dichotomie.
Lebendiger oder bereinigter Raum?
 
Eine nächste Frage dreht sich um die Interpretation der Stadt als perfekter oder eben teilweise nicht funktionaler Raum. Diese Unterscheidung wurde in der Diskussion um den Verlauf der Untergrundbahn-Trassen deutlich. Slussen ist beinahe zwanzig Jahre vor dem Bau der Metro entstanden, doch bereits im 19. Jahrhundert gab es Bahngleise, die über das Gelände verliefen. Es ist möglich, wenn auch teuer, die bestehende Untergrundbahn tiefer zu legen und damit Slussen und die Altstadt von den ständigen Erschütterungen zu entlasten. Auf lange Sicht ließen sich sogar alle großen Verbindungs­linien zwischen dem Norden und Süden der Stadt unter die Erde verlegen. Auch wenn wir die Kosten eines solchen Facelifting für einen Moment beiseite lassen, sollten wir uns doch mit dem Nutzen derartiger Aufräumarbeiten auseinander setzen. Ruhiger würde es zweifelsohne werden, doch die Pendler, die jetzt für einen Augenblick das Panorama der Altstadt genießen, wären dann auf der ganzen Strecke durch die Stadt der Unterwelt ausgeliefert. Die Metro mag laut und schäbig sein, zugleich ist sie einer der Hauptfaktoren dafür, dass Slussen (noch) ein belebter Ort ist. Wenn es stimmt, dass Urbanität aufgefasst werden kann als eine Struktur, die Dysfunktionen integriert – dann ist die Metro eher eine Bereicherung für den Ort als eine Beeinträchtigung. Slussen war nie besonders nett und ruhig. Und wird es auch nie sein. Auf Verlangen einer Bürgerinitiative gaben die Stadtväter ein Gutachten zum Nutzen einer unterirdischen Lösung in Auftrag, doch viel mehr geschah nicht. Die logistischen Anforderungen für eine solche Bypass-Operation sind erdrückend.
Öffentlicher oder privater Raum?
 
Soweit die Diskussionen um die Form. Erhalt oder Erneuerung, Brücken statt Landverbindung, bebauter versus offener Raum, lebendige contra aufgeräumte Version von Stadt – die meisten Entscheidungen hierzu dürften in naher Zukunft fallen. Die Auseinandersetzung um die Inhalte dagegen wird sich vermutlich das nächste Jahrzehnt über fortsetzen. Wie bei jedem Stadterneuerungsprojekt werden die Kosten zum Teil von privaten Investoren übernommen. Die Rechte für eine unterirdische Shopping Mall sind bereits verkauft, eine ganz Reihe weiterer Baugenehmigungen können demnächst erteilt werden. Doch am Ende finanziert sich die Erneuerung hauptsächlich über Steuergelder. Und so werden berechtigte Forderungen nach einer öffentlichen Funktion der künftigen Bauten laut. Beispielsweise musste etwa eine Zweigstelle der Stadtbibliothek energisch durchgesetzt werden. Und wäre nicht auch eine neue Spielstätte für Theater, Musik und Tanz denkbar als kleinere, zugleich lebendigere Alternative zu den neuen Opernhäusern, mit denen andere skandinavische Hauptstädte in den letzten Jahren aufgewartet haben? Es liegt auf der Hand, dass sich in den kommenden Jahren eine Debatte um die Frage nach privaten Inhalten contra öffentliche Funktion drehen wird. Früher betraf eine solche Diskussion Einkaufszentren in der Peripherie, heute stellt man diese Fragen an die Innenstädte.
 
Entscheidungen zum Inhalt betreffen selbstredend auch die Art der Nutzung. Trotz der großen Zahl von Menschen, die Slussen zum Transfer nutzen, überqueren nur wenige den Platz zu Fuß. Neue Inhalte nehmen sicherlich Einfluss auf diese Ströme, entscheidender werden wohl Optionen für attraktive Orte unter freiem Himmel, die an öffentliche Bauten angebunden sind. Der Sommer in Stockholm ist meistens herrlich, doch das restliche Jahr über müssen die Menschen wie exotische Pflanzen behandelt werden: so viel Licht und Schutz wie irgend möglich für ein gutes Gedeihen. Fehlende Sonne und scharfer Wind machen jeden Versuch von attraktivem städtischen Raum im Ansatz zunichte. In den Plänen tauchen immer noch eine Menge solcher Orte auf. Vermutlich liegt das zum Teil daran, dass dies auf kurze Sicht harmlos scheint. Doch leerer Raum ist nicht bloß eine verschenkte Gelegenheit – in Wirklichkeit geht der Schaden tiefer. Will man das Potenzial des Slussen-Areals herausarbeiten, muss man die begrenzte Zahl der Menschen hier lenken. Es gilt, die Fußgänger zusammen zu halten, Räume programmatisch zu definieren und die Uferlinie so „nach Menschenmaß“ zu erneuern, dass das Selbstbild der Bewohner mehr Entsprechungen findet. Das Venedig des Nordens sollte einen scharfen Blick auf die Vorlage riskieren.
 
Fakten
Architekten Foster and Partners, London; Berg Arki­tektkontor, Stockholm
aus Bauwelt 45.2010
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