Bauwelt

Das Gemeinwohl ist ein dehnbarer Begriff

„Reporting from the Front“ ist das Motto der 15. Architekturbiennale in Venedig unter der Leitung von Alejandro Aravena. Die Hochglanzarchitektur wurde aus dem Arsenale und auch aus vielen Na­tio-­ nenpavillons weitgehend verbannt. Es ist eine Biennale, auf der man viele Entdeckungen machen kann. Ein Durchbruch ist es nicht

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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NEUBAU von BeL im Arsenale: ein fiktives Wohnungs­- bauprogramm („Aleppoer Weg“) zur Nachverdichtung deutscher Städte mit Betonstrukturen zum Selbstausbau. Styrodurmodelle im Maßstab 1:100.
Foto: Doris Kleilein

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NEUBAU von BeL im Arsenale: ein fiktives Wohnungs­- bauprogramm („Aleppoer Weg“) zur Nachverdichtung deutscher Städte mit Betonstrukturen zum Selbstausbau. Styrodurmodelle im Maßstab 1:100.

Foto: Doris Kleilein


Das Gemeinwohl ist ein dehnbarer Begriff

„Reporting from the Front“ ist das Motto der 15. Architekturbiennale in Venedig unter der Leitung von Alejandro Aravena. Die Hochglanzarchitektur wurde aus dem Arsenale und auch aus vielen Na­tio-­ nenpavillons weitgehend verbannt. Es ist eine Biennale, auf der man viele Entdeckungen machen kann. Ein Durchbruch ist es nicht

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Die Zeit der Stararchitekten ist vorbei, jetzt kommt der „Social Turn“ in der Architektur. Das ist das neue Glaubensbekenntnis der Architektur, es wird von Kuratoren vorgebetet und nacherzählt in den Feuilletons. Auch Alejandro Aravena hat die Architekturbiennale in Venedig mit diesem Credo eröffnet, und Paolo Barrata hat noch eins draufgesetzt: Architektur spräche jetzt die Sprache der Dringlichkeit und der Hoffnung. Nach dieser Biennale würde nichts mehr so sein wie vorher. Das sind große Worte. Und so beginnt Aravenas Ausstellung „Reporting from the Front“ im Arsenale mit einem Paukenschlag: Eine raumfüllende Installation aus dem Schrott der Gipswände der vorhergehenden Biennale. Auch die erste Halle, die sich Al Borde (Ecuador), Amateur Architecture Studio (China) und 51N4E (Belgien) teilen, zeigt Materialexperimente und kritische Reflexionen des Baugeschehens. Doch was danach folgt, lässt die erwartungsvollen Besucher bald vom Glauben abfallen: das Arsenale als großer Gemischtwarenladen, eher eine Messe als eine kuratierte Ausstellung. Nicht, dass die Qualität einzelner Kojen schlecht wäre: Es gibt beeindruckende Arbeiten wie die Betonwürfel von Marte.Marte oder die japanische Biofarm von Atelier Bow Bow. Doch dazwischen stehen, gänzlich unkommentiert, Prestigeprojekte wie die Punta della Dogana von Tadao Ando. Das Kunstmuseum des Sammlers Pinault in Venedig als Social Turn? Da muss man den Begriff des Gemeinwohls schon sehr weit dehnen. Und hat die Biennale nicht bereits mit Kazuo Sejima (2010) und David Chipperfield (2012) die Stararchitektur weitgehend hinter sich gelassen? Gab es nicht auch dort zahlreiche Arbeiten, bei denen Gebrauch und Nutzen der Architektur im Vordergrund standen? Man kann die Biennale von Aravena als Fortsetzung dieser Entwicklung lesen, man kann dort Entdeckungen machen, man kann sich über die prägnant formulierten Kurztexte freuen – doch zur Heldentat taugt sie nicht. Zu sehr hat Aravena sich darauf beschränkt, einen losen Rahmen abzustecken und die Architektinnen und Architekten machen zu lassen.
Das weltpolitische Thema Nummer Eins, die Flucht vor Hunger und Krieg und ihre Folgen, ist im Arsenale erstaunlich wenig vertreten. Lediglich BeL Sozietät für Architektur aus Köln berichten mit ihren streitbaren Styrodurlandschaften von den städtebaulichen Schlachten um bezahlbares Wohnen, die in vielen Städten bevorstehen. In den Giardini erfährt man mehr davon. Der deutsche Pavillon erinnert noch einmal an das offene Land, das man für kurze Zeit war. Auch wenn die Grenzen längst geschlossen sind: Die luftige und gelassene Stimmung, die das DAM und Something Fantas­-tic mit wenigen Durchbrüchen und einer Handvoll Slogans im deutschen Pavillon verbreitet haben, wird im Gedächtnis bleiben. Auch Österreich beschäftigt sich mit der Flucht nach Europa, und vor dem italienischen Pavillon steht ein Zelt, das den Flüchtlingen in der West Sahara ein Denkmal setzt. Viele andere Pavillons widmen sich dagegen hauseigenen Fronten, allen voran Polen, die mit „Fair Building“ gekonnt einen Nerv treffen, indem sie die Arbeitsbedingungen polnischer (und eingewanderter) Bauarbeiter thematisieren.
Die Verleihung des Goldenen Löwen hat wie so oft überrascht. Das Flüchtlingsthema wurde ausgeklammert, es spielte wohl für die (latein-)amerikanisch geprägte Jury keine große Rolle. Statt dessen wurde der spanische Beitrag „Unfinished“ prämiert und damit eine sorgfältig kuratierte und präsentierte Sammlung junger iberischer Architektur. Die Arbeiten zeigen, wie man mit knappen Ressourcen Architektur macht. Ein gutes Projekt reiht sich an das nächste, man könnte einen Jahrgang der Bauwelt damit füllen. Die Trophäe sei den krisengeplagten Spaniern gegönnt, und eben­-­so dem hierzulande völlig unbekannten Gabinete de Arquitectura aus Paraguay, die für ihre handgefertigten Bogenkonstruktion aus Backstein den zweiten Goldenen Löwen bekamen. Doch die prämierten Beiträge sind keine Aufreger, es sind nicht die Arbeiten, die auf den Gängen diskutiert wurden und politische Zeichen setzen. Das Leise, Pragmatische, Unaufgeregte wurde aufs Podium gestellt und damit letztendlich die architektonische Lösungen, nicht die großen Fragen.

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