Bauwelt

San Telmo Museao


150 Meter grüne Wand


Text: Kleilein, Doris, Berlin


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    Foto: Fernando Alda

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Mut zur Enge und zum Teilabriss zeigten Nieto Sobejano bei der Restaurierung und Erweiterung des San Telmo Museaos im baskischen San Sebastián. Der Neubau behauptet sich erfolgreich in der Grauzone von Architektur und Land­schaftsgestaltung.
Das neue „San Telmo Museoa“ (STM) ist eines der Vorzeigeprojekte von San Sebastián bei der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2016. Das traditionsreiche Seebad hat sich im vergangenen Jahrzehnt modernisiert – in Abgrenzung zu dem nur eine Autostunde entfernten Bilbao setzt man an der Costa Verde allerdings nicht auf spektakuläre Gesten, sondern auf kleinteilige Aufwertung. Dazu gehört ein Netz an Radwegen und die Neugestaltung der Uferzone rund um den Monte Urgull, so dass sich die Umgebung des Museums bei meinem Besuch im Mai wie aus dem Bilderbuch des Stadtmarketing darstellt: Jogger und Fahrradfahrer ziehen ihre Bahnen durch die Stadt und folgen dem Verlauf der Küste entlang der „Concha“, der historischen Strandpromenade, um den Berg herum zum jüngsten Strand der Stadt, „La Zurriola“. Dort steht seit 2000 Rafael Moneos Auditorium „Kursaal“. Mit dem heraus­geputzten Wohnviertel Gros bietet es eine, für Berliner Augen ungewohnte, makellose Kulisse für die zahlreichen Surfer.
Wo sind die 5000 Quadratmeter?
In Laufweite zu den Stränden, am Fuß des steil aufragenden, üppig bewachsenen Monte Urgull, hat das STM im April, nach fünfjähriger Umbauzeit und einer Investition von 17 Millionen Euro, wiedereröffnet. Die Institution, gegründet 1902 als erstes Museum des Baskenlandes, zog 1932 in das leerstehende Dominikanerkloster San Telmo, das wie viele Kirchengebäude im Spanien der dreißiger Jahre umgenutzt wurde. Mit dem jüngsten Umbau ist das Museum runderneuert worden: Im Bestand, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, waren Restaurations- und Renovierungsarbeiten überfällig, Flächen für Wechselausstellungen fehlten, und zudem wünschte sich die Museumsleitung eine Neuausrichtung: vom etwas verschlafenen Stadt- und Regionalmuseum mit einem Sammelsurium an archäologischen, historischen und künstlerischen Exponaten hin zu einem „offenen Museum“, das die Gesellschaft – in diesem Fall die baskische – reflektiert. Nieto Sobejano, die 2005 den beschränkt offenen Wettbewerb gewonnen hatten, haben den Erweiterungsbau derart geschickt in die städtische Topographie eingepasst, dass man sich beim Betreten der Plaza Zuloaga fragt: Wo sind eigentlich die 5000 Quadratmeter Erweiterungsfläche? Passen die wirklich in den schmalen Streifen zwischen Kloster und Berg? Was wurde hier denn nun erweitert: der Platz, der Berg oder das Museum?
Wie Enrique Sobejano im Interview auf Seite 19 erläutert, stand beim Entwurf genau jenes „Grenzareal“ zwischen Natur und Architektur im Mittelpunkt. Der Neubau setzt sich deutlich ab vom Bestand und gibt dem Berg einen Sockel. Zugleich nimmt er eine breite Freitreppe auf, die dazu einlädt, von der Plaza aus nach oben zu steigen, auf die große Dachterrasse, von der man Stadt und Meer sieht, und weiter nach oben, auf den Monte Urgull.
Die eigenartige Blindheit
Die Eingangssituation, wie sie auf dem großen Bild linker Hand zu sehen ist, zeigt zwei Eigenheiten, die dem neu entstandenen Ensemble seine stille Kraft geben: zum einen die Enge, die die Architekten zwischen Bestand und Neubau zugelassen haben – und zum anderen den ideologiefreie Umgang mit dem Bestand selbst. Das dem Kreuzgang hinzugefügte Eingangsgebäude aus den dreißiger Jahren von Juan Alday und Francisco Urcola blieb erhalten und präsentiert weiterhin seine symmetrisch aufgebaute Neo-Renaissance-Fassade zum Platz – die Architekten haben es jedoch mit wenigen Kunstgriffen entmachtet. Der Haupteingang führt jetzt durch den Neubau, die Fenster sind mit einer festen Verglasung und innenliegenden Jalousien verschlossen. Dahinter ist die baskische Kunstsammlung untergebracht, unter anderem mit Werken des Bildhauers Eduardo Chillida, dem bekanntesten Künstler der Stadt. Aufmerksamen Besuchern wird die Blindheit diese Gebäudeteils nicht entgehen und eine Auseinandersetzung mit dem Ensemble provozieren, die dann im ehemaligen Kirchenschiff fortgeführt werden kann: Dort wird die lange Geschichte des Umbaus nacherzählt. Ein weiteres Bauteil der dreißiger Jahre, das an der Westseite das Ensemble abschloss, haben Nieto Sobejano dagegen unsentimental aus dem Wege geräumt, um das Prinzip der „bewohnten Wand“ auf der ganzen Länge von 150 Metern durchziehen zu können.
Die neuen Funktionen des Museums sind entlang des Berges aufgereiht: An der Nordseite der Plaza schiebt sich der Neubau als beinahe geschlossenes, zweigeschossiges Volumen hinter den Bestand, verengt sich, um mit diesem einen Innenhof zu bilden und weitet sich, um in der Tiefe des Areals die langgestreckten Räumen für die Wechselausstellung aufzunehmen. Darüber liegen im ersten Geschoss Räume für einen Teil der Daueraustellung, im zweiten für die Verwaltung. Erschließung und Lüftung verlaufen längs der Spundwand am Monte Urgull – der Neubau hat durch die besondere Lage nur eine einzige Fassade.
Die Präsenz des Berges
Die Enge zeigt sich an vielen Stellen des Gebäudes, vor allem aber in jenem neu entstandenen Innenhof und der Schlucht zwischen Kirchenschiff und Erweiterungsbau. Man könnte Analogien ziehen zu den Gassen der Altstadt, für mich haben die Architekten eher die besondere Situation ausgeschöpft, um eine große Vielfalt von Räumen herzustellen und die Richtung Stadt drängende Präsenz des Monte Urgull zu verstärken.
Terrazzo und Iroko
Die Grundrisse zeigen die unterschiedlichen Räume, die dem Museum jetzt auf insgesamt 11.000 Quadratmetern zur Verfügung stehen: vom restaurierten Kreuzgang, dessen Galerie mit Glas geschlossen wurde, um die Ausstellungsfläche im ersten Geschoss zu erweitern, über die kargen Räume des Neubaus mit Wänden und Decken aus hellem Sichtbeton und Terrazzo-Böden; vom 16 Meter hohen Kirchenschiff, dessen Wände restaurierte Szenen des Malers José María Sert zeigen, zu den Konferenzräumen und der Bibliothek neben dem Eingang. Irritierend ist die Verwendung des goldbraunen Iroko-Holzes, aus dem Türen und Treppen im Bestand gefertigt wurden – bei der Sorgfalt, die auf Oberflächen und Details verwandt wurde, hätte ich mir ein einheimisches und nicht ein aus dem afrikanischen Regenwald importiertes Holz gewünscht.
Die Dauerausstellung zu den verschiedenen Aspekten der baskischen Gesellschaft führt den Besucher vom Neu- zum Altbau und zurück, und ist dort am stärksten, wo die Räume erlebbar bleiben, wie in dem neuen Aufgang im Turm. An an­deren Stellen, etwa bei dem Ausstellungskapitel „Spuren der Erinnerung“ im Erdgeschoss des ehemaligen Eingangsgebäudes, ist der Raum abgedunkelt und mit Screens und Projektion derart überfüllt, dass er verloren geht – ein Tribut an international mittlerweile übliche, multimediale Präsentationstechniken, den dieses Museum nicht nötig hat. Im Gegenteil, es hätte getrost auf die Architektur, alte wie neue, vertrauen und auch die Ausstellungsgestaltung den Architekten überlassen können. 
Die „grüne Wand“
Die ovalen Öffnungen der Fassade scheinen wie zufällig verteilt, aus einigen von ihnen wachsen Moose, Flechten und andere, an der Costa verde heimische, Vegetation. Ein Motiv, das die Architekten aus der Umgebung auf­gegriffen haben: Am steilen Hang des Monte Urgull finden sich von Wind und Wasser per­forierte Felsen, in deren Mulden eben jene Pflanzen wachsen. Doch wie immer, wenn die Architektur die Natur nachahmt, müssen Prozess und Ergebnis sorgfältig kalkuliert sein. Die Fassade, die Nieto Sobejano mit den baski­schen Künstlern Leopoldo Ferrán und Agustina Otero entwickelt haben, setzt sich aus etwa 3000, jeweils 180 mal 60 Zentimeter großen Platten zusammen. Das Gesamtarrangement entsteht aus lediglich vier Plattentypen mit unterschiedlich vielen Öffnungen, die sich ho­rizontal und vertikal kombinieren lassen – hinzu kommt eine weitere Platte ohne Öffnungen. Die Platten, die bei genauem Hinsehen kleine Unebenheiten aufweisen, sind aus Aluminium in einer Stärke von 6–8 Millimetern gegossen. „Um eine lebendige Fassade gestalten zu können, haben wir nicht nach einem industriell gefertigten Material gesucht, sondern nach einem handwerklich hergestellten.“, so Enrique Sobejano.
Die „Löcher“ haben einen Durchmesser von zwei bis elf Zentimetern und sind zum Teil senkrecht gebohrt, zum Teil schräg. Bohrwinkel, Größe, Anzahl und Verteilung der Öffnungen, sind in einer Matrix festgelegt, wie die Tabelle rechts zeigt.
Die einzelnen Platten sind verdeckt auf dünne Stahlrahmen geschraubt. Die äußere Haut ist in einem Abstand von etwa 30 Zentimetern mit Winkeln in der tragenden Betonwand verankert. Auf den Winkeln liegen Stahlroste, so dass sich hinter der Plattenfassade schmale Wartungsgänge ergeben, die seitlich aufgeschlossen werden können. Die Pflanzen hängen nicht etwa in Kästen, sondern werden als zehn Zentimeter dicke „Matratzen“ aus Erde und Flies mittels Gittern von innen gegen die Platten geschraubt. Bewässert wird auto­matisch über Plastikschläuche.
Je nach Lichtsituation und Ausbildung des inneren Raumabschlusses wirkt die Fassade massiv oder transparent: Im Bereich der Büros und der Bibliothek sind hinter die perforierten Platten raumhohe Glasflächen gesetzt, so dass nachts Licht von innen heraus fällt. In den Ausstellungsräumen sind die Wände geschlossen und gewähren Ausblick lediglich durch große eingeschnittene Öffnungen mit Glasschiebetüren. Die Fassade des Museumscafés ist in fünf Segmente unterteilt, die sich um 45 Grad drehen lassen und in dieser Position arretiert werden können.



Fakten
Architekten Nieto Sobejano, Madrid/Berlin
Adresse Plaza Zuloaga 1 20003 Donostia San Sebastián


aus Bauwelt 22.2011
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