Bauwelt

Robinson-Korkfabrik


Robinson-Korkfabrik


Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin


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    Foto:Christian Richters

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Im portugiesischen Hinterland haben Eduardo Souto de Moura und Graça Correia eine ehemalige Fabrikanlage zur Stadt hin geöffnet. Das prozesshafte Entwurfskonzept sucht Stück für Stück neue Nutzungen für die vorgefundenen Räume.
Mitte Dezember auf dem Weg nach Portalegre. Von Lissabon Richtung Osten führt die Straße vorbei an Setubal, Evora und Elvas knapp 200 km durch hügelige Landschaft, gesäumt von Korkeichen- und Olivenhainen. Das Alentejo, die flächenmäßig größte Provinz Portugals, jedoch mit einem Bevölkerungsanteil von nur etwa sieben Prozent, gilt als die weltweit wichtigste Region für Korkproduktion – circa 60.000 Menschen arbeiten allein hier in diesem Industriezweig. Die Korkeiche ist einzigartig, nur sie übersteht das regelmäßige Entfernen der Rinde ohne Schaden, wobei die Korkgewinnung im Dekadenrhytmus geschieht: nur alle acht bis 12 Jahre kann ein Baum geschält werden, dafür liefert er aber im Laufe seines 150 bis 200 Jahre langen Lebens 100 bis 200 Kilogramm Kork. Seit 300 Jahren werden Korkeichen im Alentejo kommerziell angebaut. Die Anfänge der Korkfabrik in Portalegre gehen auf den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Ab 1900 baute dann der Engländer George W. Robinson – Namensgeber des Werks – die Fabrik systematisch aus, initiierte technolgische Erneuerungen, aber beispielsweise auch ein Werksfeuerwehr, die – mittlerweile als städtische Feuerwehr –  bis heute aktiv ist.
Fünfzehn Kilometer vor der spanischen Grenze taucht, in den Bergen gelegen, Portalegre auf. Man erkennt die mittelalterliche Stadt mit Festung und Kathedrale und daneben: ein langgestrecktes Gebäude, das parallel zum Hügel, über diesem zu schweben scheint. Die ausgeprägte Horizontalität fällt aus dem Rahmen, aber fügt sich doch in das Gesamtbild.
Vom Kork zur Kultur
Mit dem Umzug der Robinson-Fabrik Ende der 90er Jahre in ein neues Industrieviertel am Rande von Portalegre wurde ein 60.000 Quadratmeter großes innerstädtisches Gelände frei. Die Stadtverwaltung suchte zusammen mit der öffentlich-privaten Robinson-Stiftung nach einem Programm zur Reviatlisierung der alten Fabrikanlage und nach Ideen, wie das Erbe kulturell für die Stadt genutzt werden kann. Das Areal mit seiner heterogenen Bebauung aus verschiedenen Zeiten sollte dabei nicht nur einer neuen Nutzung zugeführt werden, sondern auch dessen historischen politisch-industriellen und sozialen Wert widerspiegeln und zu einem Ort werden, der auch die emotionale Verbundenheit der Einwohner  berücksichtigt. Die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs für das Robinson-Areal, Eduardo Souto de Moura und Graça Correia, präsentierten ein Konzept, das von Lina Bo Bardis Umbau der Pompéia Fabrik in São Paulo inspiriert ist.  Lina Bo Bardi hatte den alten Bau bis auf seine Architekturbestandteile freigelegt und dem ganzen Ensemble einen neuen urbanen Zusammenhang gegeben – ähnlichen Prinzipien sollte in Portalegre gefolgt werden. Die Robinson-Fabrik liegt zwischen der Altstadt im Westen und einer eher ungeplanten Stadterweiterung im Osten. Die in Porto ansässigen Architekten transformieren das ehemals geschlossene Werksgelände mit einfachen Gesten zu einem öffentlichen Ort. Die vorhandene Gebäudestruktur gibt einen Hauptweg in west-östlicher Richtung vor. Diese Promenade schließt durch den Abriss der bisherigen Fabrikmauern im Osten und durch einen Durchbruch im Westen an den öffentlichen Raum an und verbindet jetzt die beiden Stadtteile. Es entsteht eine Art Stadt in der Stadt, mit Plätzen, die sich ebenfalls fast wie selbstverständlich aus der Bestandsstruktur ergeben.
Klarer Neubau
Ausgangspunkt der neuen Anlage ist der inzwischen fertig gestellte und bereits bezogene, einzige Neubau: eine nationale Hotelschule, um deren Standort sich Portalegre beworben hatte. Die Baukörperkonfiguration ist einfach und klar. Ein eingeschossiger horizontaler Gebäuderiegel fasst mit seiner Längsseite die Promenade räumlich und definiert den Hauptweg klar, während die rückwärtige Längsseite über den Abhang hinauskragt. Im hinteren Drittel schiebt sich ein orthogonal dazu ausgerichteter kleinerer Komplex heraus, der den Bezug zum gegenüberliegenden Hörsaal herstellt. Die Fassaden sind geschlossen zur Promenade und ockergelb und graublau gestrichen. In dem Winkel der beiden Bauteile, befindet sich der etwas zurückgesetzte Eingang, hier wird die Trans­parenz, die im Innern vorherrscht, auch von außen erlebbar. Das Haus öffent sich nach Süden mit grandiosen Ausblicken in die weite Landschaft, während die nach Norden ausgerichteten Räume zwar auch vollständig verglast, jedoch durch eine im Abstand von 2,75 Meter vorgesetzte, schwebende Wand- scheibe, die mittels Reflektion Licht in die Räume bringt, eher introvertiert sind. Ein Mittelgang, der durch offene Zwischen- räume vergleichsweise hell ist, erschließt die Unterrichtsräu-me und Büros auf der einen Seite und führt auf der anderen Seite zum Querriegel, der sich, wie außen, farblich absetzt und in dem sich das Restaurant, die Lehrküche, die Sommellierschule und die Bar befinden. Bis zu den Einbauschränken ist hier alles eigens entworfen und detailliert  – mit einer Präzision und in einer Einfachheit, die kennzeichnend geworden ist für die portugiesische Architektur.
Am Bestand orientierter Umbau
Der gegenüberliegende Hörsaal findet sein formales Vorbild in einer der Maschinen der Fabrik und orientiert sich in seiner Höhe an dem östlich anschließenden Bestand, dessen Umbau zu einem „International Center for Virtual Reality“ fast abgeschlossen ist. Hier wird auch im Gebäude das Konzept der Architekten deutlich – auf dem auch der städtebauliche Entwurf basiert. Grundsätzlich wird alles wie vorgefunden erhalten und in die Planung integriert. Für die neuen Nutzungen werden je nach Bedarf Versatzstücke implantiert und neue räumliche Bezüge ausgelotet, wobei die ursprüngliche Struktur immer erlebbar bleibt.  Das Zentrum, in dem die Entwicklung und Anwendung virtueller Welten gelehrt wird, erstreckt sich über drei verschiedene, aneinandergereihte Gebäudetypen. Ein notwendiger Erschließungsgang ist als eigenständiges Bauteil, wie eine Box, an der Rückseite des mittleren Gebäudes angefügt. Die an den mittig gelegenen Eingangsbereich westlich anschließenden Räume werden intern erschlossen. Dafür wurden halbhohe Wandscheiben eingestellt. Es gilt das Prinzip, dass die ursprünglichen Räume erfahrbar bleiben.  In den Hallen mit Tonnengewölbe wurden Hörsäle und Vorführräume eingerichtet. Es sind beeindruckende Räume, die in ihrer Wirkung das Alte vermitteln und in die sich das Neue geschmeidig einfügt.
Elastische Planung nennen die Architekten ihre Strategie. Eine akribische Dokumentation und Bestandsaufnahme des Vorgefundenen inklusive sämtlicher Einbauten wie Öfen, Rohrleitungen oder Schaltkästen bilden die Planungsgrundlage. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt, der Stiftung und künftigen Nutzern werden dann die weiteren Teile des Programms umgesetzt. Nicht der Raum wird der Nutzung angepasst, sondern der Raum erlaubt eine Nutzung. Das bedeutet, dass auch mal um eine diagonal im Raum verlaufende Rohrleitung, in der ehemals Korkbrösel zur Weiterverarbeitung transportiert wurden, herum geplant wird. Elastisch heißt allerdings auch, dass das Konzept Flexibilität in Bezug auf zukünftige Nutzungen erlaubt. 
Seit zehn Jahren beschäftigen sich die Planer mit dem Areal. Und sie schätzen, dass es weitere zehn Jahre dauert bis alle Arbeiten abgeschlossen sind – also auch ein Dekaden umfassen- des Unternehmen. Im Frühjahr beginnen die Umbauarbeiten für die an die Hotelschule anschließenden Gebäude. Kulturelle Verbände und Institutionen werden hier ihre Büros bekommen sowie eine städtische Musikschule und die lokale Folkloretanzschule ihre Übungsräume. Ein Wettbewerb für ein Korkmuseum im Hauptgebäude wird demnächst ausgeschrieben, das Parkhaus in einem ehemaligen Lagergebäude ist bald fertig. Und dann sind da noch die Künstlerwohnun-gen und Ateliers und der Park unterhalb der Hotelschule ... Ob der Wohnungsbau, der den südlichen Rand des Parks und des Areals bilden soll, realisiert wird, ist fraglich. Portugal befin-det sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise und ob die EU-Mittel für alle Maßnahmen reichen oder aufgestockt werden können, ist derzeit nicht abzusehen.



Fakten
Architekten Souto de Moura, Eduardo; Porto; Correia, Graça, Porto
Adresse Rua Primeiro de Maio Portoalegre


aus Bauwelt 6.2011
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