Bauwelt

Pejë/Peć


Ein Militärlager wird Universität


Text: Fior, Liza, London; Geipel, Kaye, Berlin


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    Foto: Pejë/Peć

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    2. Preis: Laura Fabriani, Giovanni Romagnoli, Sante Simone und Alessandro Zappaterreni

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    2. Preis: Laura Fabriani, Giovanni Romagnoli, Sante Simone und Alessandro Zappaterreni

Der Standort, ein aufgegebenes Militärlager der KFOR-Truppen, bündelt die Wünsche der Stadt an die Zukunft: Eine Universität, Hotels und Sportanlagen sollen hier gebaut werden.
Die Verwaltung hofft auf Investoren, die im Gegenzug für eine großzügige Flächennutzung durch Hochhäuser bereit sind, auch die Ausbildungsbauten und die Freizeit-Infrastruktur umzusetzen. Was aber kann die Stadt realistisch erwarten? Werden die Ansprüche, die die Bevölkerung und die künftigen Studenten an den öffentlichen Raum stellen, Teil des Projekts? Am Programm der künftigen Universität wird noch geschrieben, ein erster Workshop findet Ende April statt.
Gerade genug? Sehr, sehr viel! | Man kennt das: Ein Gastgeschenk für einen unbekannten Gastgeber ist immer eine knifflige Sache. Wir – die Jury in Oslo – hatten Glück, in unserer Runde fanden sich einige, die sich auskannten in Pejë und uns die Bedeutung und die Tragweite der Europan-Entscheidung für die Stadt nahebrachten. Eindringlich stellten sie die daran geknüpften Botschaften dar und die einmalige Chance (jetzt oder nie!), die diese erste Europan-Teilnahme bietet. Und damit nicht genug: Unsere Experten aus dem Kosovo machten uns deutlich, was Pejë an Pluspunkten ins Feld zu führen hat – und woran es hier fehlt.
Was fehlt: (finanzielle) Ressourcen, Infrastruktur, Planungsauflagen – all die Dinge, an denen sich Stadtplaner in ihren Projekten gewöhnlich abarbeiten, über die sie jammern, verhandeln und mit denen sie arbeiten. Was es dagegen gibt: Ein beeindruckendes Landschaftsszenario, ein Gebiet, das auf seine Erschließung für den Wintersport wartet, Studenten, die nach einem Neubau für ihre Universität lechzen, der Wille zum Aufbruch ins Neue.
Es war sehr deutlich, dass weder ein komplett en détail ausgearbeiteter Projektentwurf gefragt war, noch ein Konzept, das allzu viele Enden offenlässt. Der Entwurf „Fratres“ der spanischen Architekten Roberto García und Héc­tor Ardenius aus Mataelpino traf mit seinem Vorschlag genau das, was gebraucht wurde. Einerseits ein Denk-Gerüst, das interessierten Investoren und Akteuren die Möglichkeit bietet, es in ihren Diskussionen auszustaffieren und es sich dadurch zu eigen zu machen, auf der anderen Seite eine Formgebung, die hinreichend Möglichkeiten in gestalterischer Hinsicht suggeriert – eine lange, gezackte Linie von hohen und niedrigen Bauten, die den Landschaftsraum zu den Rugova-Bergen vom städtischen Grün der Stadt abgrenzt und gleichzeitig eine Fläche für Öffentlichkeit schafft.
Doch genug war nicht genug. Der Sieger­entwurf konnte ohne den zweiten Preis nicht bestehen. Der Entwurf „Dianas Ring“ der italienischen Architekten Laura Fabriani, Giovanni Romagnoli, Sante Simone und Alessandro Zappaterreni wartet mit einer akribisch durchgearbeiteten Erzählstruktur und einer formal durchkomponierten Lösung auf: Universitätsbauten, die einen Kreis um einen offenen Kern bilden und ihn zugleich beschützen. Die Entwürfe für Pejë waren Anlass für eine angeregte und anregende Debatte. Fast hatte man dabei den Eindruck, als habe das Projekt bereits begonnen; begonnen ja, doch noch nicht am richtigen Ort. Um die Diskussion der Jury nach Pejë zu trans­ferieren, eine Debatte, die sowohl die jeweiligen Verdienste der unterschiedlichen Ansätze zum Inhalt hatte und zugleich die Rolle reflektierte, die Bildungseinrichtungen für eine Stadt und ihre Identität spielen können, sprachen wir die Empfehlung aus, dass die Vergabe der Preise im Rahmen eines zeitgleichen Workshops stattfinden sollte, an dem der Sieger und der zweite Preisträger teilnehmen würden.
Was ich mit dieser kurzen Anmerkung am ehesten vermitteln möchte ist einen Eindruck zu geben von der Spannweite der Themen, die die Jury diskutierte und von den ungeahnten Möglichkeiten, die sich mit einer Europan-Teilnahme eröffnen. Wir können nicht wissen, welche der unterschiedlichen Optionen, die im Rahmen des Wettbewerbs möglich sind, das Projekt jetzt einschlagen wird: Bleibt es bei einem Vorschlag, der nie umgesetzt wird? Wird zwar der ursprüngliche Entwurf selbst nicht realisiert, doch es entsteht ein neuer Ansatz daraus? Oder passiert Ähnliches wie bei jenem Projekt einer vergangenen Europan-Ausschreibung, dessen Architekten vor Ort ein Büro eröffneten und sich so lange um die Ecken drückten, bis sich schließlich doch noch herausstellte, dass man sie nicht länger brauchen würde? Oder handelt es sich diesmal und an dieser Stelle um ein Projekt, das dann tatsächlich gebaut wird? Der höchst an­regende Austausch in Oslo und das Engagement im Kosovo selbst lassen mich sehr bedauern, dass ich an dem für Ende April angesetzten Work­shop in Pejë nicht werde teilnehmen können. Ganz sicher aber werde ich genau verfolgen, was als nächstes passiert. Liza Fior
Pejë/Peć liegt im Westen Kosovos und ist mit knapp 100.000 Einwohnern eine der großen Städte des Landes. Das Grundstück umfasst ein früheres Militärlager der jugoslavischen Armee, dessen zum Teil noch existente Baracken zur Zeit noch von den Kosovo Sicherheitskräften benutztwerden. Es liegt am Rand der Stadt, an einer Anhöhe der Rugova-Berge. Diese sollen, so die Erwartung, künftig zu einem Ski- und Erholungsgebiet ausgebaut werden. Auch eine Seilbahn ist geplant. Der städtische Entwicklungsplan von Peć sieht vor, das langgestreckte Areal, das an den Park und an das vorhandene Stadion grenzt, zu einem Universitätscampus umzubauen, der von Sport und Tourismusfunktionen umgeben sein soll.
Die Architekten sehen ihren Entwurf, in dem sie po­litische und ökonomische, gesellschaftliche und architektonische Erwartungen bündeln, als einen Vorschlag an, der über den Standort hinausweist. Kosovo hat sich im Februar 2008 unabhängig erklärt, als Staat anerkannt wurde das Land bis heute von 88 der 193 UN-Staaten. Das Programm mit einer kleinen Universität bietet die Möglichkeit, sich über das gesellschaftliche Selbstbild des jungen Landes zu verständigen. Die Architekten setzen dazu auf eine regionalpolitische und auf eine städtisch-architektonische Komponente: auf einer ersten Zeichnung wird Peć als eine von sechs kosovarischen Städten markiert, die Ränder des Landes nachbilden – eine gewisse Analogie zur niederländischen Randstad und ihrem grünen Herz ist beabsichtigt. Verbunden sind diese Städte durch einen grünen Ring an Wäldern – daher der Name Dianas Ring, eine Anspielung auf die Göttin der Jagd und des Waldes. Auf städtischer Ebene sehen die Architekten ein großes Gebäude von 200 auf 200 Meter vor, das in seiner Mitte einen nach außen offenen Hof hat. Dieser Bau ist von seiner Funktion her Universität, andrerseits ist er Begrenzung für einen öffentlichen Raum; so durchlässig der quadratische Kubus entworfen wurde, die Markierung in einen female area und eine male area verweist auf gesellschaftliche Konflikte; die kräftigen Farben hingegen, die die Fassaden im Bereich der Studentenwohnungen zur Schau stellen, sind ohne Zweifel als Referenz auf Le Corbusier und die kollektiven Großwohnbauten der Nachkriegszeit verstehen – lässt sich die moderne Idee eines so­zialen Ausgleichs übertragen?  KG



Fakten
Architekten Fabriani, Laura, Rom; Romagnoli, Giovanni, Rom; Simone, Sante, Rom; Zappaterreni, Alessandro, Rom
Adresse Peja


aus Bauwelt 15-16.2012
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