Bauwelt

Brutalismus in Bad Saarow



Text: Kasiske, Michael, Berlin


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    Werner Huthmacher

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In Bad Saarow hatten Augustin und Frank Gelegenheit, ein Wohnhaus zu realisieren, das Ideen des Brutalismus mit Sinn für die Gegenwart aufgreift.
Brutalismus? „Ein Stück Luft sich mit steinerner Kralle aus allem, was wächst und wabert, herausreißen, und dingfest machen.“ Jenny Erpenbecks literarische Beschreibung vom Raumschaffen eines Architekten – Raum schaffen – scheint mit dem Strandhaus von Georg Augustin und Ute Frank Gestalt angenommen zu haben. Der den Raum umfassende Beton bildet einen physisch einnehmenden Hauskörper am Scharmützelsee, wie der Mittelpunkt der Handlung in Erpenbecks Roman „Heimsuchung“.
Am Anfang stand – fiktiv wie real – der Bauherr. Der passionierte Segler, der seit langem seine Boote in Bad Saarow liegen hat, wünschte eine komfortable Bleibe, um dort mehr Zeit verbringen zu können. Ein Bestandsbau kam nach einigen Besichtungen nicht in Betracht, da sich kein Haus fand, das seinen Wünschen entsprach. So entschied er sich für ein in Brandenburg typisches, mit Kiefern, Eichen und Birken bestandenes Seegrundstück am Waldrand, das auch hinsichtlich der Voreigentümer unbelastet war, und beauftragte befreundete Architekten, das Berliner Büro Augustin und Frank.
Als Jurist ist dem Bauherrn deduktives Vorgehen geläufig. Deshalb verstand er den Entwurf eines monolithischen Betonbaus auch als Entsprechung seines Wunsches nach einem massiven Haus. Vom Allgemeinen auf das Besondere schließen zu dürfen, kam den Architekten entgegen. Wie dem Bauherrn sind ihnen Diskussionen über alles Geschmäcklerische zuwider. Auch ein anderer Wunsch wurde erfüllt, nämlich Straßen- und Seeseite gleichberechtigt zu behandeln. Um maximale Aussicht auf den See zu haben, steht das Haus mit den Giebeln parallel zu den seitlichen Grundstücksgrenzen. Es scheint die sanft ansteigende Straßenseite von dem neun Meter zum See abfallenden Hang zu trennen. Die Architekten verwandten ein Stilmittel der Gartenkunst, das Ha-Ha. Von der tieferliegenden Straße aus betrachtet, verschwindet die Basis Hauses hinter dem höchsten Punkt des Grundstücks. Der Garten fließt visuell in das komplett verglaste Erdgeschoss hinein.
Der Baukörper – die Urform eines Hauses – konnte komplett in Beton gegossen werden, weil die Architekten den Bebauungsplan ausreizten. Er schreibt für das Grundstück unter anderem ein Satteldach mit Ziegeleindeckung in Anthrazit oder Rot vor. Der Antrag auf Genehmigung eines Flachdachs wurde abgelehnt, das Vorhaben wurde jedoch vom Material Ziegel befreit, was das Betondach ermöglichte. Freilich, die Hausform in Kunststein gegossen, wäre brachial gewesen. Die Architekten ließen deshalb auf die äußere Schalung senkrecht Latten nageln. Die so entstandene profilierte Oberfläche ist scharfkantig und durch die Textur des Materials und durch Farbunterschiede differenziert. Und auch beim Dach wichen sie vom Üblichen ab. Der First wurde um 1,20 Meter aus der Querachse gedreht. Die verschieden geneigten Dachflächen täuschen unterschiedliche Höhen vor und nehmen dem Bau das Starre einer Grundform.
Ebenso untypisch ist das Innere. Das Erdgeschoss besteht – von zwei Nebenräumen abgesehen – aus einem offenen Wohn- und Essraum mit Küchenzeile, dessen Wand- und Deckenfinish beinahe roh ist. In den beiden vollständig verglasten Längsseiten lassen sich die Schiebetüren, die zum Minimieren der Rahmenprofile mit einer Pfosten-Riegel-Konstruktion kombiniert sind, weit öffnen. Mit der vorgelagerten Terrasse auf der Seeseite und der Vorfahrt auf der Straßenseite des Grundstück werden Innen und Außen dann eins. Die beiden geschlossenen Wände an den Schmalseiten tragen die obere Ebene.
Das Obergeschoss öffnet sich auf der Seeseite über die gesamte Breite und gibt, wegen einer Glasbrüstung unverdeckt, den Blick frei auf das „märkische Meer“ (Theodor Fontane). Der von der Tragstruktur unabhängige Holzausbau gleicht dem eines Schiffes und ist eine Referenz an den Segler. „Ein Haus maßgeschneidert nach den Bedürfnissen seines Herrn. Essen, Kochen, Schlafen, Baden, Scheißen, Kinder, Gäste, Auto, Garten“, heißt es bei Erpenbeck, „Dem Leben Richtungen geben, den Gängen Boden unter den Füßen, den Augen einen Blick, der Stille Türen.“ Drei Schlafräume und zwei Bäder sind entlang eines Flurs, der mit Wandschränken bestückt ist, aufgereiht und bis unters Dach offen. Da nur die Wände der Bäder im rechten Winkel zum gedrehten First positioniert sind, entstehen unregelmäßige und spannungsvolle Räume.

Formwille und Offenheit
Die Betongestalt – so muss das subtil geformte Gebilde genannt werden – haben Augustin und Frank konstruktiv trefflich konzipiert. Ein wasserundurchlässiger Beton von hoher Güte, mit dem die beiden tragenden Wände im Erdgeschoss mit Kerndämmung ausgeführt wurden, das Obergeschoss und das Dach einschalig, da hier durch den Ausbau innen gedämmt werden konnte. Die monolithische Gestalt stellte hohe Anforderungen an Schalung, Bewehrung und Material. Es muss ein besonderer Moment gewesen sein, als das Haus aus der aufwändigen Rüstung herausgeschält wurde. Diese Architektur hält es aus, wenn aufgrund fehlerhafter Verarbeitung ein anderer als der geplante Fußbodenbelag gewählt wird oder im Bauprozess die Entscheidung fällt, die abgehängte Treppe als konstruktive Struktur zu belassen. Viele Einzelheiten gäbe es zu erwähnen, sei es das aus dem Dach herausgezogene Oberlicht, seien es die perforierten Rollgitter, durch die nachts gelüftet werden kann, sei es die unverhüllt platzierte Stahlstütze, auf der die Seeseite des Obergeschosses liegt. Kann dieses Haus als Nachkomme des Brutalismus bezeichnet werden? Ja, Augustin und Frank haben humanistische Tradition, Formwillen und Offenheit des Ausdrucks eines bestimmten architektonischen Denkens gestalterisch und technisch mit der gebotenen Lässigkeit vereint. Noch einmal Erpenbeck: „Dem Bleiben einen Körper zu geben, ist sein Beruf. Ein Inneres schaffen. Dort, wo nichts ist, immer tiefer auszuhöhlen.“ Diesen Anspruch an die Profession haben die Architekten mit dem Haus am Scharmützelsee eingelöst.



Fakten
Architekten Augustin und Frank, Berlin
aus Bauwelt 38.2012
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