Bauwelt

Ära einer Politik des guten Willens



Text: Trezib, Joachim, Berlin


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    Schema der israelischen Entwicklungsstädte 1949-64
    Israel Builds 1970, Hrsg.: Ministry of Housing, Jerusalem 1970

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    Schema der israelischen Entwicklungsstädte 1949-64

    Israel Builds 1970, Hrsg.: Ministry of Housing, Jerusalem 1970

In den frühen 60er Jahren blickte die bundesdeutsche Planungselite aufmerksam nach Israel. Das von Edgar Salin (1892–1974) initiierte „Israel-Projekt“ stimulierte die interdisziplinäre Zusammenarbeit und förderte die politisch heikle Annäherung beider Staaten.  
Die Faszination, die Israel auf eine ganze Generation von bundesdeutschen Planungsexperten und Systembaumeistern ausübte, wirkt heute wie ein lange verblasster Anachronismus. In den Zeiten des keynesianischen Städtebaus der Nachkriegsära jedoch galten die neuen Städte in Israel als Leuchtfeuer der Entwicklungsplanung. Zum intellektuellen Fluchtpunkt avancierte Israel nicht zuletzt deshalb, weil seine Aufbauplanung eine wohlabgewogene Mischung aus dirigistischen und marktwirtschaftlichen Elementen darstellte: Solchermaßen war der Gedanke der Planung, der sonst mit der Sowjetunion in Verbindung gebracht wurde, auch für Westdeutschland akzep­tabel.

Einen zentralen Beitrag zu den damaligen Diskussionen um das „Entwicklungsland Israel“, der in seiner Vielschichtigkeit auch heute noch besticht, lieferte das so genannte „Israel Economic and Sociological Research Project“. Es wurde im Jahr 1958 durch den Initiator der List-Gesellschaft, Edgar Salin, ins Leben gerufen (1). Unter Beteiligung israelischer, schweizerischer und deutscher Wissenschaftler sollte das Projekt eine möglichst umfassende Beschreibung der Entwicklungs- und Aufbauplanung des jungen Staates Israel liefern. Zu den Schwerpunkten des in fünfzehn Einzelstudien veröffentlichten Forschungsprojekts zählten – neben den klassisch volkswirtschaftlichen Themen – die Infrastrukturentwicklung, die Energiepolitik und die Landes- und Regionalplanung. Sie wurden in der durch die Soziologin Erika Spiegel verfassten und 1966 erschienenen Studie „Neue Städte/New Towns in Israel“ veröffentlicht.
Was die Lesart des Salin’schen Projekts damals erschwert haben mag – und sie heute mit Sicherheit nicht einfacher  macht –, war seine anspruchsvolle erkenntnistheoretische Ausrichtung. Salin wollte den Geltungsanspruch einer damals bereits stark in der Defensive befindlichen, von ihm gleichwohl vehement propagierten „Politischen Ökonomie“ untermauern. Seiner Auffassung nach fügten sich Währungsfragen und Außenhandel, Regionalwirtschaft und Städtebau nahtlos anein­ander. In seiner Gesamtheit lieferte das „Israel-Projekt“ gleichsam einen Baukasten zur Planung und Entwicklung neuer Staaten, mit dem der Ökonom – allerdings nur in feiner Schwingung fühlbar – an jene epistemologischen Denkschemata anknüpfte, die er in den 1920er Jahren, unter dem Einfluss Stefan Georges, in konservativ-revolutionär durchsäuerten Traktaten zu den idealstaatlichen Konzeptionen Platons und der augustinischen „Civitas Dei“ entfaltet hatte.
Ausgangspunkt für das „Israel-Projekt“ war die Einladung Salins zur Einweihung des am Weizmann-Institut für Wissenschaft in Rehovot angesiedelten Atomforschungszentrums im Mai 1958; ein Besuch, der die Ende 1959 zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und dem Weizmann-Institut besiegelte Wissenschaftskooperation auf dem Gebiet der Nuklearforschung mit vorbereitet. Israel widmete dem Ausbau seiner nuklearen Kapazitäten damals nicht zuletzt deshalb gesteigerte Aufmerksamkeit, weil es sich von ihrer zivilen Nutzung nachhaltige Impulse für die Landesentwicklung versprach. Ideologisch noch unbelastet, schienen durch die Atomenergie ökonomische Wachstumssprünge möglich, die aus Schwellenländern über Nacht hoch technisierte Industrieländer entstehen ließen. Um die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaftsplanung zu vertiefen, fand im Jahre 1960 am Weizmann-Institut eine große internationale Konferenz zum Thema „Entwicklungspolitik“ statt. Neben internationalen Größen der Planungsdisziplinen, wie dem Amerikaner Walter C. Lowdermilk, waren zu der Konferenz insbesondere Wissenschaftler und Politiker aus den schwarzafrikanischen Staaten geladen; als Ergebnis präsentierte der Kongress im Rahmen der fei­erlich verabschiedeten, so genannten „Rehovot Declaration“ eine neue Weltordnung auf der Basis von Recht, Freiheit und – Planung. Ursprünglich als Kooperation mit dem Weizmann-Institut und der amerikanischen Ford-Foundation angelegt, verstand sich das „Israel-Projekt“ im Einklang mit diesen Perspektiven als „Pilot Project for the Development of New States“.
Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs besaß der Entwicklungshilfe-Diskurs für die junge Bundesrepublik eine besondere politische Relevanz. Im Haushalt der Völkerpsycho­logie dokumentierte die ostentative Identifizierung mit Israel den endgültigen Bruch mit dem Nationalsozialismus und ermöglichte die Rehabilitierung Deutschlands als Teil der Völkergemeinschaft. Ihre materielle Basis bildete das im Jahr 1952 in Den Haag ausgehandelte, so genannte „Wiedergutmachungsabkommen“, das während seiner zwölfjährigen Laufzeit erhebliche wirtschaftliche Verflechtungen zwischen der Bundesrepublik und Israel zur Folge hatte. Mit seinem absehbaren Ende wurde erkennbar, dass die deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen eine stärkere Koordination sinnvoll machten. Israel besaß zudem ein handfestes Interesse daran, die finanziellen Ressourcen aus Deutschland, die für den Aufbau des Landes unverzichtbar geworden waren, nicht versiegen zu lassen. 1960 hatte Ministerpräsident David Ben-Gurion bei seinem Treffen mit Konrad Adenauer in New York die Bundesregierung um einen regulären Kredit im Umfang von 500 Mio. Mark nachgesucht, der für die Entwicklung der israelischen Infrastruktur und der Landwirtschaft in der Negev verwendet werden sollte. Unter dem Einfluss der Hallstein-Doktrin konnten weitere Hilfen für Israel jedoch nur im Rahmen der Entwicklungshilfe, die 1961 im neu geschaffenen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit institutionalisiert wurde, abgewickelt werden.
Aus diesem Blickwinkel erscheint das Salin’sche Isra­el-Projekt als groß angelegte Machbarkeitsstudie, die einer deutsch-israelischen Kooperation zur strukturpolitischen Entwicklung des Negev die Argumente lieferte und die eher theo­retisch anmutenden Diskurse um Energiewirtschaft, Standortplanung und Urbanisierung zu ihrer praktischen Bestimmung führte. So empfahl die der israelischen Energiewirtschaft gewidmete Studie des List-Projekts den Bau eines Atomkraftwerks im Süden des Landes, um eine großindustrielle Meerwasserentsalzung für die Bewässerung der ariden Landwirtschaftsregionen zu gewährleisten. Ergänzt werden sollte dieses landwirtschaftliche Kultivierungsprogramm durch eine Bahnlinie von Beer Sheva nach Eilath, die eine Erschließung der Tonerde-, Kupfer- und vor allem der vermuteten Uranerzvorkommen im Negev möglich machen sollte. An der Wegstrecke der bereits in der Projektierungsphase befindlichen Bahn sollte eine ganze Kette von neuen Siedlungen und Städten entstehen, zukünftiges Siedlungsreservoir einer dynamisch expandierenden Wirtschaftsnation. Das Bild eines grünen Gartens in der Negev-Wüste blieb jedoch – unnötig zu erwähnen – Vision. Nach dem Ende des Sechstagekriegs 1967 verschoben sich die Prioritäten auf den Ausbau Jerusalems und die Besiedlung des Westjordanlandes.  



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