Bauwelt

Weg vom Neubau, hin zum Umbau

IBA Parkstad 2020

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Abbildung aus: "Under construction. IBA Parkstadt"

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Foto: Kaye Geipel

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Weg vom Neubau, hin zum Umbau

IBA Parkstad 2020

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Geografisch von Grenzen eingeklemmt und somit immer etwas im Abseits von den politischen Entscheidungen in Den Haag, hat die Stadtregion Parkstad Limburg in der Nähe von Aachen mit einem mutigen Vorsatz von sich reden gemacht: Sie will eine Internationale Bauaustellung ausrichten. Es ist die erste ihrer Art in den Nieder­landen.
Als Vorbild für das Programm dieser IBA, die im Sommer politisch verabschiedet werden soll, dienen die kleinteiligen, auf Kooperation angelegten Konzepte der IBAs von Sachsen-Anhalt und Fürst-Pückler-Land.

250.000 Einwohner leben in der Parkstad, der Stadtregion im niederländischen Länderzipfel Südlimburg, das im Osten an Deutschland und im Westen an Belgien grenzt. Die Region ist ein Zusammenschluss von acht Gemeinden, darunter die Städte Heerlen, Kerkrade und Landgraaf. 2020 will die Park­stad eine Internationale Bau-Ausstellung ausrichten. Die po­li­tische Entscheidung ist zwar noch nicht gefällt. Aber die Park­stad befindet sich bereits im „Prä-IBA-Zustand“.
Grund für den Griff nach dem Instrument IBA ist auch die ökonomische Krise, die in den Niederlanden kräftige Spuren hinterlassen hat – je nach Region unterschiedliche. Für die Parkstad bedeutet die Krise Schrumpfung. Das niederländische Statistikamt CBS errechnet einen Bevölkerungsrückgang um 30.000 Einwohner bis 2025. Das Schreckbild des Leerstands droht, und das Prinzip Abbruch – 10.000 bis 15.000 Gebäude will man abreißen – wird es allein nicht richten können. Dass die Parkstad eine IBA ausrichten will, hängt auch mit einer gewünschten Neuorientierung herkömmlicher Planungskonzepte zusammen. Der „offene städtebauliche Denkansatz“, der etwa die thematisch ähnlich aufgestellte IBA Sachsen-Anhalt kennzeichnete (Bauwelt 17–18.2010), könnte dabei helfen, neue Konzepte beim Umbau der Region auf den Weg zu bringen. Jo Coenen, Architekt und Berater der IBA und vier Jahre lang selbst Reichsbaumeister der Niederlande, sagt selbstkritisch: „Traditionell ist in den Niederlanden der Neubau stär­-ker als der Umbau.“ Bernadette Janssen vom Vorbereitungs­team schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Was der Neubau für Bilbao war, ist der Umbau für die Parkstad.“ Der Vergleich mit der baskischen Industriestadt kommt nicht von ungefähr. Die Radikalität, mit der man dort in den neunziger Jahren das indus­trielle Erbe verschwinden ließ, um an den Ufern der Ria de Bilbao rund um Gehrys Museum eine neue Stadt zu planen, hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der niederländischen Planungsdoktrin einer Tabula-rasa-Stadtentwicklung; inzwischen häufen sich aber die kritischen Stimmen.
Vorher Zechengelände, jetzt Metrozone
Peter Bertholet, den Direktor der Stadtregion Parkstad Limburg, treffe ich im Gebäude der Parkstad auf der anderen Seite des Bahnhofs von Heerlen. Er stellt die Fragen nach Leerstand und Umnutzung in den Zusammenhang des Strukturwandels der letzten fünfzig Jahre. Die Gegend sei geprägt vom Stein­kohleabbau in einem Becken, das vom deutschen Düren bis ins belgische Behringen reichte. Aber sie war auch unter den ersten, die in den siebziger Jahren ihre Zechen schloss. „Vom architektonischen Erbe dieser Vergangenheit steht so gut wie nichts mehr.“ Bertholet zeigt aus dem Fenster. Wo sich in den sech­ziger Jahren noch ein riesiges Zechengelände befand, breitet sich ein pragmatisches Gewirr von Straßen und Bürobauten, von Zwischenstücken, Grünräumen und Wohninseln aus. Die grüne Stadtlandschaft vor dem Fenster funktioniere zwar, aber die Einwohner würden sich nicht mit ihr identifizieren. Der im Rahmen einer IBA angestoßene Diskussionsprozess ziele darauf, den Bewohnern bewusst zu machen, dass sich städtische Identität gestalten – und in verschiedene Richtungen beeinflussen und verändern lässt. Drei Themen hat die IBA Park­stad für die erste Phase ausgesucht: „Recycle­Stad“, „EnergieStad“ und „Flexibele Stad“. Ein erstes IBA-Buch, das kürzlich herausgegeben wurde um die Einwohner vom Mitmachen zu überzeugen, zitiert einen Satz der Pionierin des sanften Stadtumbaus, Jane Jacobs: „New ideas often need old buildings“.
Mit der neuen Programmierung und dem Umbau leerstehender Gebäude allein wird es nicht getan sein. Die Parkstad sieht sich mit großen sozialen Veränderungen konfrontiert. Wenn nichts getan wird, laufen der Region die jungen Leute weg. Die Prognosen des niederländischen Statistikamts sind eindeutig. Bis 2025 wird die Zahl der unter 20-Jährigen um ein Viertel sinken, die Zahl der über 60-Jährigen wird überproportional wachsen. Einer von drei Einwohnern wird 2025 älter als 65 sein. Dazu kommt die Arbeitsmigration in die Nachbarre­gionen in Belgien und Deutschland.
Bis 2020 will die IBA konkrete Ergebnisse vorweisen, wie dieser neuerliche Strukturwandel städtebaulich zu gestalten ist. Vor allem geht es um den Bestand des Wohnbaus der sechzi­-ger und siebziger Jahre, der erneuert und modernisiert werden muss. Über die Frage, welche Projekte zu den IBA-Leitprojekten zählen könnten, wird noch nachgedacht. Da gibt es zum Beispiel das große Gebäude des CBS, des niederländischen Statistikamts, das nach der Schließung der Zechen nach Heerlen verlagert wurde. Der imposante Bau aus den Siebzigern steht inzwischen leer, weil ein kleinerer Neubau seine Funktionen aufgenommen. Was tun mit ihm: abreißen und wieder Tabula rasa machen? Das soll nicht passieren, zumal der Bau architektonische Qualität hat. Vor kurzem wurde er an den Entwickler „Walas Concepts“ verkauft. Geplant ist, in dem 50.000 Qua­dratmeter großen Bau eine experimentelle Mischung von „City-Farming“ unterzubringen, die von der Energiegewinnung bis zum Tomatenanbau reicht.
Dann gibt es das „Maankwartier“, das Mondquartier, das bis 2016 am Bahnhof von Heerlen entsteht. Die Planung des 150 Millionen Euro teuren Gewerbe-, Supermarkt- und Wohnquartiers entstand noch vor der IBA-Planung. Der Entwurf mit einer in Weiß getauchten Kulissenarchitektur, die an Hundertwasser erinnert, stammt vom Künstler Michel Huismann. Über das biedere Camouflagekonzept, das simple Investorenarchitektur hinter Giebeln und Bögen versteckt, müsste die neue IBA allerdings kräftig streiten.
Besonders wichtig für den Erfolg der IBA Parkstad werden die landschaftlichen Projekte sein, die der zerstückelten Stadtlandschaft ein grünes Rückgrat einsetzen – dazu zählt der Wilhelminaberg, eine ehemalige Abraum-Halde, die nach dem Vorbild des Energiebergs bei der IBA-Hamburg zu einem Aussichtspunkt werden könnte –, nur so wird sich der Kunstname Parkstad wirklich mit Leben füllen.
Vorbild IBA Sachsen-Anhalt
Welche Erfahrungen der zurückliegenden IBAs sind für die Konzeption der IBA Limburg besonders wichtig? Ich treffe Thierry Goossens und Maurice Hermans, zwei der Akteure der IBA, auf dem Dach des Kulturzentrums Schuncks (Bauwelt 3.2004). Der wunderbar elegante Kaufhausbau ganz aus Glas wurde in den dreißiger Jahren von dem Architekten Frits Peuts für Peter Schunck entworfen. In den siebziger Jahren verfiel das Gebäude im Zentrum von Heerlen und konnte in den neunziger Jahren knapp vor dem Abriss gerettet und mit neuen Funktionen revitalisiert werden. Heute vermittelt das Kulturzentrum mit seinen markanten Pilzstützen bereits die Aufbruchstimmung, die die Macher der IBA für die ganze Region erwarten.
Für Thierry Goossens, Projektleiter der Stadtregion und Koordinator der IBA, sind insbesondere jene IBA-Erfahrungen der Vergangenheit wichtig, die praktische Beispiele für die integrierte Planung zwischen Kommunen aufzeigen konnten. Da­-zu zählt er die prozessorientierten Verfahren, die bei der IBA Sachsen-Anhalt in der Kooperation kleiner Städte zur Anwendung kamen. Welche Art von Bottom-up-Prozessen sich in der Parkstad bewähren, wird man sehen. Maurice Hermans, Chef von Betawerk und Berater der IBA, entwickelt mit seiner Firma internetbasierte soziale Netzwerkstrukturen, die zum Beispiel die neue Nutzung leerstehender Bauten koordinieren helfen.
Erste Erfolge werden sichtbar. Seit kurzem zeitigt die Idee, in Südlimburg eine IBA durchzuführen, auch politische Fernwirkung. Die Regierung in Den Haag hatte lange Zeit kaum Aufmerksamkeit für den abgelegenen Südwesten des Landes. Seit aber die Region mit einer ganzen Reihe von Initiativen – dazu zählen ein „Jahr der Minen“ im Jahr 2015 und die Bewerbung von Maastricht als Europäische Kulturhauptstadt 2018 – selbstbewusster auftritt, wurde man in Den Haag hellhörig und will unterstützen. Das Vorbereitungsteam der IBA ist optimistisch, die anvisierten 45 Millionen zusammenzubringen, die staatliche und europäische Förderung umfassen. Auch bei den Think Tanks der IBA will Den Haag künftig mitmischen.
Aus deutscher Perspektive interessiert schließlich die Frage, ob die IBA Parkstad mit ihren Projekten „über die Grenzen springen will“, wie es etwa die IBA Basel tut. Anfangen will man, so Peter Bertholet, erst einmal ohne die Nachbarn – Grund dafür sind auch die langwierigen Erfahrungen, die man bei dem Dreiländer-Projekt EuRegionale 2008 gemacht hat. Nach der Startphase aber will sich die IBA Parkstad unbedingt „erweitern“ und die belgischen und deutschen Nachbarn bei den neuen Projekten mit ins Boot holen.
8 Fragen zur IBA Parkstadt | beantwortet von Peter Bertholet, Thierry Goossens und Volkmar Deheji
Was ist die Grundidee der IBA Parkstad?
Den innovativen Umbau der Region als neue Kultur und als „mental switch“ zu manifestieren und in konkreten Projekten „physisch“ zu provozieren.
Welche Probleme haben die beteiligten Kommunen dazu veranlasst, eine IBA Parkstad auf den Weg zu bringen?
Durch den demografischen Wandel ergibt sich ein substantieller Stadtumbau von mehr als einer Milliarde Euro – in einer Region die nach dem Abgang der Bergbau-Industrie die Top-down-Transformation zwar räumlich geschafft hat, jedoch ihre Schwächen in den Wirtschaftsstrukturen noch nicht ganz überwinden konnte. Mit einer IBA will die Region sich weiter transformieren, auch in Themenbereichen wie Klima­wandel und Energiewende, mit einem ausgesprochen offenen Bottom-up-Prozess, der Bürger und Unternehmen gleichzeitig fordert. Prozesse und Projekte sollen mit einer IBA „schlauer, besser und sichtbarer“ werden.
Welche Leitprojekte sind vorgesehen und auf welchen Zukunftsbildern für die Region bauen diese auf?
Bei der IBA ParkStad gibt es bisher noch keine Leitprojekte, sondern Leitthemen. Es handelt sich um drei Themen­felder: Flexible Stad, EnergieStad und RecycleStad. Die IBA-Projekte sollen zeigen, dass exzellenter Umbau an die Stelle exzellenten Neubaus treten kann.
Welches werden – soweit sich dies bereits absehen lässt – die maßgeblichen Instrumente der IBA Parkstad sein, um modellhaften Projekte umzusetzen?
Die IBA Parkstad benutzt zur Qualifizierung der Projekte folgende Qualitätsinstrumente: Als erstes gibt es einen Projektaufruf: Unternehmen, Behörden, soziale Ein­richtungen und Bürger werden gebeten, kleine und große IBA-Projekte vorzuschlagen. Als Qualitätskriterien kommen Innovationsgrad, Ausnahme-Qualität, Strukturwirksamkeit, Präsentierbarkeit, Kreativität des Ansatzes, offene Prozessqualität, unternehmerische Konzeption und die Realisierbarkeit zur Anwendung. Im Laufe der IBA-Phase versteht sich die gesamte Stadtregion als experimentelle IBA-Werkstatt. Diese Werkstadt ist in vier Bereiche gegliedert, die durch das IBA-Büro und die jeweiligen „Stakeholder“ koordiniert werden: Erstens gibt es das IBA-Forum. Dieses Forum ist als offener Ort konzipiert, in dem ein kontinuierlicher Gedankenaustausch zwischen Unternehmen, gesellschaftlichen Gruppen und Bürgern stattfindet. Zweitens gibt es die sogenannte IBA-Schule: In Workshops wie in digitalen Kursen soll hier praxisorientiertes Wissen, von Unternehmen und für Unternehmen, darüber vermittelt werden, wie sich innovative Projekte umsetzen lassen. Dazu kommt als drittes Element die IBA-Bank: Sie stellt den IBA-Projekten ein innovatives finanzielles Instrumentarium zur Seite. Der vierte Bereich gilt den IBA-Events. Während der gesamten Laufzeit wird die Öffentlichkeit über die Aktivi­täten und die aktuellen Projekte informiert.
Welchen Stand hat die IBA Parkstad? Was werden die nächsten Schritte auf dem Weg zur Umsetzung sein?
Am 1. Oktober 2012 haben acht Kommu­nen, die Parkstad Limburg und die Provinz Limburg eine Absichtserklärung zur Durchführung einer IBA unterzeichnet. Gleichzeitig haben private Partner ihre Unterstützung öffentlich zugesagt. Am 25. Januar dieses Jahres hat eine Vorstandskonferenz und am 18. Februar eine Rats- und Parlamentskonferenz stattgefunden. Derzeit werden die de­finitiven Vorstands-, Rats- und Parlamentsbeschlüsse in die Wege geleitet. Das Go der IBA Parkstad soll bis zum Sommer dieses Jahres erreicht werden. Auftaktveranstaltung und offener Projektaufruf sind für Ende 2013 bzw. Anfang 2014 vorgesehen.
Gibt es Programme (Masterpläne, Leitlinien der städtebaulichen Planung), auf denen die IBA Parkstad aufbaut?
Die IBA Parkstad basiert auf dem Regioprogramm der Parkstad Limburg „Naar een duurzaam vitale regio“.
Welche Partner sind maßgeblich beteiligt?
Die acht Kommunen, die Parkstad Limburg und die Provinz Limburg, die Wohnungsbaugesellschaften, die Unternehmer der Parkstadt und viele Projektallianzen und Initiativen, die bereits bestehen und sich teilweise gerade bilden.
Wie groß sind die finanziellen Mittel, die die IBA Parkstad voraussichtlich benötigt? Wie lassen sie sich aufschlüsseln?
Die Parkstad Limburg und die Provinz Limburg stellen gemeinsam 45 Millionen Euro bereit. Durch zusätzliche EU-, staatliche und Sponsoringmittel soll sich diese Summe auf insgesamt 70 Millionen Euro erhöhen. Auf die gesamte Laufzeit 2013–20 be­zogenen, wird mit einem Multiplier von drei durch private und öffentliche Investitionen gerechnet. Die gesamten IBA-Mittel sollen sich also auf 210 Millionen Euro belaufen.

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