Bauwelt

„Warum nicht mit dem Boot zur Moschee?“

Gespräch mit Jürgen Engel und Projektleiter Sebastian Schöll

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Vorhalle des Gebetssaals mit den für den Entwurf typi-schen „Calla-Stützen“.
Rendering: KSP Jürgen Engel Architekten

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Vorhalle des Gebetssaals mit den für den Entwurf typi-schen „Calla-Stützen“.

Rendering: KSP Jürgen Engel Architekten


„Warum nicht mit dem Boot zur Moschee?“

Gespräch mit Jürgen Engel und Projektleiter Sebastian Schöll

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Gespräch mit Jürgen Engel und Projektleiter Sebastian Schöll zum Neubau der Moschee in Algier.
Wie kam es zur Einladung zum Wettbewerb?
Jürgen Engel | Wir sind angefragt worden, am Auswahlverfahren teilzunehmen, und haben uns damals mit den Ingenieuren Krebs und Kiefer International für die Generalplanung beworben.
Was war ausschlaggebend dafür, dass Ihr Projekt ausgewählt wurde?
JE | Wir haben keinen modischen Entwurf abgegeben.
Was ist denn ein modischer Moschee-Entwurf?
JE | Da müssen Sie sich die Entwürfe der beiden anderen Preisträger anschauen. Wir hatten etwas ganz Einfaches mit vier quadratischen Höfen hintereinander konzipiert. Von der offenen Plaza mit dem Minarett über die Esplanade kommt man in den Gebetshof mit den Räumen für rituelle Waschungen und schließlich in den Gebetssaal. Wir wollten diese strenge Konfiguration durch ein leichtes, zusammenhängendes Bauelement auflockern und entschieden uns für die Callapflanze als formales Leitbild. Mit diesem floralen Element schufen wir den poetischen Teil des Entwurfs, der in allen Bereichen der Moschee in unterschiedlichen Funktionen erlebbar ist, mal frei stehend, nur als Baldachin oder als Innenstütze.
Gehört die Moschee zum Masterplan für den Großraum Algier, den die französischen Architekten Arte Charpentier erarbeitet haben?
JE | Die Moschee ist nicht Teil des Masterplans. Es werden aber auch starke Anstrengungen unternommen, eine Stadtentwicklung zu initiieren. Im Grunde genommen ist die Moschee mit ihren Nebengebäuden der erste Baustein, der Kataly-sator einer deutlich größeren Planung. Nördlich der Moschee verläuft die Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt. Man beginnt jetzt, diese Schnellstraße zu einem Boulevard umzubauen.
Auf der anderen Seite der Autobahn steht unmittelbar am Meer ein neues Shoppingcenter.
JE | Das war aus unserer Sicht ein Fehler. Das Areal drum herum wird mit dem neuen Boulevard rasant an Wert gewinnen und bebaut werden. Soweit ich gehört habe, gibt es im Moment einen Konflikt. Teile der Bevölkerung möchten nicht, dass in der Bucht hohe Häuser gebaut werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass in zehn Jahren alles, was jetzt dort steht, verschwunden sein wird. Auch der heute noch übel riechende Fluss El Harrach wird sich in seinem Charakter deutlich ändern. Man hat begonnen, ihn zu säubern.
Wie wird man die Moschee erreichen können?
JE | Dies steht im Detail noch nicht fest. Die Fortführung einer Tramlinie ist geplant. Die U-Bahn-Linie wird im Süden wohl etwas verlängert und einen Kilometer entfernt enden. Im Wettbewerb wurde eine Tiefgarage mit 6000 Stellplätzen gefordert, die inzwischen auf 4000 reduziert wurden. Der Verkehr ist immer ein Problem in der 4-Millionen-Stadt. Wir fänden es gut, wenn die Besucher vom Stadtzentrum und der Kasbah mit Booten und über eine Brücke, die die Autobahn quert, zur Moschee kommen würden.
Welche Moschee war für Sie ein Vorbild?
JE | Mich persönlich hat die Große Moschee in Córdoba am meisten interessiert, ihre große Halle mit den eng stehenden Stützen und Säulen. Es war für mich bald klar, dass wir einen quadratischen Raum schaffen. Die Proportionen sind natürlich völlig andere als in Córdoba, und statt der Bögen haben wir das Calla-Motiv. Wie bei einer Pfeilerhallen-Moschee fassen wir das Gebäude mit dieser einen Stützenform zusammen.
Sind diese Calla-Stützen als Betonfertigteile vorgesehen?
JE | Ja, die bis zu 45 Meter hohen Elemente werden aus Schleuderbeton hergestellt.
Findet die Produktion in Algerien statt?
JE | Nein, wahrscheinlich in Deutschland, da es sich um eine sehr aufwendige Konstruktion handelt.
Warum hat sich die geplante Besucherzahl des Gebetssaals von 20.000 auf 35.000 erhöht?
JE | Das war ein Wunsch der algerischen Bauherren. Wir haben Emporen eingezogen, um Platz zu schaffen. Dies war dann auch gewünscht, weil man Männer und Frauen trennen wollte.
Das Minarett ist 265 Meter hoch und weist eine verglaste Aussichtsplattform auf. Wird es auch dort hoch oben Lautsprecher zum Gebet geben?
JE | Nein, etwas tiefer. Es gab den konkreten Wunsch, dass der Gebetsrufer über die Lautsprecher zwei Kilometer weit gut zu hören ist.
Beim Minarett könnte man ein extrem schlankes Hochhaus vermuten. Der Ausguck mit einem Panoramalift soll touristisch zu nutzen sein. Kann man auch als Nichtgläubiger hochfahren?
JE | Wir haben ein „dynamisches Minarett“ entworfen, in dem sich Kultur- und Forschungseinrichtungen befinden, dazu Ausstellungsflächen, die sich mit der Geschichte des Islam beschäftigen. Für uns war es wichtig, einen öffentlichen Aussichtspunkt zu bauen.
1968 gab es das Projekt einer Großen Moschee von Oscar Niemeyer. Wissen Sie dazu Näheres?
JE | Wir haben nur davon gehört. Sie war damals für einen anderen Standort auf Stützen über dem Wasser vorgesehen und deutlich kleiner. Dass Le Corbusier mit einem städtebaulichen Gesamtplan für Algier in den Jahren 1931–42 nicht zum Zuge kam, ist sicherlich glorreich für die Stadt. Für die heutige Entwicklung ist ein Ordnungssystem sehr wichtig. Das wird im Masterplan von Arte Charpentier deutlich. Bei unserem Entwurf gibt es zwei Achsen, die aufs Meer führen und eine grüne Achse in Ost-West-Richtung.
Wer baut die Moschee?
JE | Wir machen auch die Bauleitung, also das gesamte Projekt. Bei der Ausschreibung haben sich 57 Bauunternehmen beworben. Unter ihnen wurden zehn ausgesucht, die ein Angebot unterbreiteten. Am Ende hat man sich für die staatliche chinesische Baufirma CSCEC entschieden.
Chinesische Baukonzerne sind schon lange aktiv im Land.
JE | Schon seit vierzig Jahren. Auch ein französisches Bauunternehmen war bei diesem Projekt sehr engagiert und ganz nahe dran. Es wollte unbedingt mit den französischen Architekten Architecture Studio, die 2008 den 2. Preis erhalten hatten, die Moschee bauen. Auch Nicolas Sarkozy hatte sich damals sehr darum bemüht.
Bei Ihnen engagierte sich die Bundeskanzlerin.
JE | Dass Angela Merkel damals zur Vertragsunterzeichnung mit dem Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika gekommen ist, fand ich sehr wichtig.
Kann man etwas Konkretes zu den Materialien sagen? Wie werden die Böden, die Verkleidungen und die Moucharabieh gestaltet?
Sebastian Schöll | Es wird viel Travertin verwendet. Da haben wir uns bereits zusammen mit Vertretern der chinesischen Baufirma verschiedene Steine angeschaut.
Gibt es Travertin in Algerien?
SS | Es gibt relativ wenig Travertin. Es wurde bereits untersucht, was die Steinbrüche hergeben. Schwieriger wird es sein, den Travertin in großen Mengen zu brechen und zu transportieren. Es fehlt die Infrastruktur. Wir werden auch andere lokale Steine verwenden. Mit den roten Ziegelsteinen möchten wir z.B. die Ausfachungen und nicht tragende Zwischenwände realisieren.
JE | Im Gebetssaal werden auch verschiedene Marmore verwendet. Es wird einen deutlichen Wechsel geben vom Sandton im Hof zum Gebetssaal mit den kräftigen Farben der Marmorverkleidungen. In den Räumen für die religiösen Waschungen nehmen wir keramische Fliesen. Bei den Moucharabieh werden wir mehr geometrische als florale Motive auswählen.
Warum ist die Kuppel relativ klein ausgefallen?
JE
| Wir hatten zunächst keine Kuppel geplant. Im weiteren Planungsverlauf hat sich der Bauherr eine Kuppel gewünscht. Wir haben uns von der klassischen Geometrie gelöst und sie neu interpretiert.
Was sind die konstruktiven Herausforderungen?
JE | Eine Herausforderung stellt das Minarett dar. Einen so schlanken 265 Meter hohen Turm haben wir noch nie gebaut.
SS | Die Erschließungskerne und die statisch wirksame Konstruktion befindet sich auf den vier Ecken. Dadurch sind die Flächen innen frei. Der Turm wird in 50 Meter Tiefe gegründet. Es handelt sich dabei um 60 Betonscheiben auf ei-ner deutlich größeren Fläche als der Fuß des Minaretts, der nur 28 x 28 Meter misst. Diese Barrette-Gründung wird von einer italienischen Spezialtiefbaufirma ausgeführt.
Warum ist in der Baugrube unter dem späteren Gebetssaal ein Raster quadratischer Felder zu sehen
JE | Dort werden seismische Isolatoren stehen. Sie sind notwendig, weil Algerien extrem erdbebengefährdet ist. So etwas hat es wohl weltweit in dieser Dimension noch nicht gegeben. Auf diesen Isolatoren kann bei einem Erdbeben der gesamte Gebetssaal mit einer Kantenlänge von 150 Meter Länge um circa einen Meter hin und her schwingen. Man kann in diesem Fall unbeschadet aus dem Saal flüchten. Diese Konstruktion ist natürlich abdichtungstechnisch sehr kompliziert. Auch ein Gegendämpfen bei zu großen Schwingungen ist möglich, damit sich das Gebäude nicht „aufschaukelt“.

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