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Quartier du Pont de Sèvres

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich

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Quartier du Pont de Sèvres

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich

Die Wohnblöcke auf einem Parkhaussockel von den Architekten Daniel Badani und Pierre Roux-Dorlut stammen aus den siebziger Jahren und stehen unmittelbar neben dem Neubaugebiet „Trapez“. Der Umbau und die Sanierung des Quartiers stoßen auf große Probleme. Kann es dennoch gelingen, beide Quartiere miteinander zu verbinden?
Gäbe es eine Auszeichnung für urbane Kontraste, hätte die Rue du Vieux Pont de Sèvres gute Chancen auf den ersten Preis. Im Nordwesten riegelt eine Waschbetonwand aus den siebziger Jahren, 250 Meter lang und 15 Geschosse hoch, die Straße zum Trapez hin rigoros ab. Dessen niedrige Blockrandbebauung verheißt hier in drei kleinen Straßenzügen mit energiegerechten Lochfassaden aus Putz und Stein „modernes Wohnen“ an der Seine. Entsprechend den gängigen Stereotypen, ordnet man abends um acht bei leerer Straße sogleich die Bewohnergruppen zu: Dort die Kapuzenjacken mit Ghettoblastern, die in der Parkhausdurchfahrt Hasch verkaufen, hier die weißen Hemden mit Aktenkoffer oder mit modischem Rucksack, die zum gittergeschützten Innenhof ihrer Wohnanlage eilen.
Die Fertigstellung beider Quartiere trennt 32 Jahre und etwa eine Straßenbreite, die Gesellschaftsvorstellungen dahinter stammen jedoch aus zwei verschiedenen Jahrhunderten: fordistische Stadtvision auf der einen, postindustrielles Stadtimplantat auf der anderen Seite. Und das in Boulogne-Billancourt, der einwohnerreichsten und dichtesten Gemein­-
de der Pariser Agglomeration: mit 12.000 Unternehmen wirtschaftliches Zugpferd der Ile-de-France, seit über vierzig Jahren rechtskonservativ regiert. Da lohnt es sich doch, jenseits der Klischees einen zweiten Blick in das Quartier du Pont de Sèvres zu werfen.
An einem schulfreien Mittwochnachmittag bietet sich zwischen den Wohnblockfluchten ein anderes Bild als abends um acht. Auf der Fußgängerbrücke hoch über der Rue Yves Kermen schieben Mütter Kinderwagen, Väter mit Einkaufs­tüten holen ihre Kinder aus der Schule ab, Frauen mit bei­gen Kopftüchern beobachten von Betonbänken aus ihre Söhne beim Fußballspielen. „Reiner Sozialwohnungsbau waren nur die beiden Wohnriegel gegenüber von den Renault-Fabriken“, erklärt mir ein Diplomatensohn aus dem Maghreb, Mitte Zwanzig, locker an eine Betonbrüstung gelehnt, während er mit seinem iPhone spielt. „Alles andere sind entweder Eigentumswohnungen oder Wohnungen für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Klar war auch bei uns Segregation schon ein Thema, aber die fand in der Schulen statt und nicht im Wohnquartier.“ Die Souveränität dieser Aussage kommt nicht von ungefähr. Das Quartier du Pont de Sèvres hat wenig mit den Trabantenstädten der fünfziger und sechziger Jahre zu tun, die, wie Sarcelles, in kürzester Zeit als reine Schlafstädte ohne Bahnanschluss in der Peripherie hingemetert wurden.

5000 Stellplätze

Das Filetgrundstück an der Seine wurde in den frühen siebziger Jahren als gesamte Einheit zurückgehalten, um unter anderem für die Arbeiter und Angestellten von Renault hier günstige Wohnungen anzubieten. Das zeugt sowohl von Privilegien für Renault als auch von stadtplanerischem Kalkül. Der Automobilkonzern, das Krankenhaus von Boulogne-Billancourt und kleinere private Eigentümer verkauften das langgestreckte Grundstück an der Sèvres-Brücke gemeinsam an die Stadt, die es wiederum an öffentliche und private Bauherren weiterverkaufte, die das Architekturbüro Badani und Roux-Dorlut mit der Planung beauftragte. Der lukrative Ausblick auf die Seine am Südwestrand des Terrains wurde den Bürobauten, eine Komposition aus hexagonalen Türmen, vorbehalten. Im Ausgleich dafür erhielten aber alle Wohnblöcke abgetreppte Dachterrassen. Und jedes Ensemble bekam einen klar zugewiesenen Innenhof, wie zum Beispiel die konkav ab-geschlossene „Place Haute“ im Nordosten, oder ein begrün­ter Hof für die Eigentumswohnungen im Südwesten des Quartiers.
Die radikalste städtebauliche Geste setzten die Architekten mit den rund 5000 Stellplätzen des Parkhauses in der Sockelzone, die das gesamte Quartier in eine vom Straßenniveau aus unzugängliche Festung verwandelten. Sie schafften es aber auch, in den Verhandlungen mit den Bauherren für die 2300 neuen Wohnungen ausreichend soziale Infrastrukturen durchzusetzen: Ein eigenständiges und sozial durchmischtes Stadtviertel mit Quartiersräumen, Künstlerateliers, Krippen und Grundschulen würde schließlich die bestehenden Einrichtungen der gutbürgerliche Wohnquartiere nicht belasten. Also wurde mitgeplant und mitfinanziert.
„Die Leute konnten in Pantoffeln einkaufen gehen, mit der Metro direkt nach Paris fahren, ihre Kinder unbesorgt im Hof spielen lassen und waren nach 15 Minuten Fußweg am Arbeitsplatz. Als Dankeschön an die Stadt­regierung hat das gesamte Viertel im ersten Wahljahr nach der Fertigstellung zu 70 Prozent rechts gewählt. 70 Prozent!“ Für Pierre Vigneron, damals leitender Projektarchitekt bei Badani und Roux-Dorlut, ist dieser Umstand unumstößlicher Beweis dafür, das sein Büro damals die richtige Lösung angeboten hat und dem visionären Projekt nach wie vor eine Auszeichnung gebührt. Von seinem Standpunkt aus betrachtet, entpuppt sich das Quartier plötzlich als Spätgeburt an der Seine. Es ist mit seiner Fertigstellung 1979 einfach aus der Zeit gefallen. 1973, kurz nachdem die Architekten ihren Bauantrag eingereicht hatten, untersagte das Bauministerium Wohnungsprojekte von mehr als 1000 Einheiten im sogenannten Circulaire Guichard. Und auch die architektonische Fachdebatte hatte sich spätestens seit der Ölkrise Fragen wie der Sanierung der Innenstadt und postmodernen Formfindungsprozessen zugewandt.
Als Renault 1993 seinen Betrieb auf der Insel Seguin schließt, nur 14 Jahre nach Fertigstellung des Wohnviertels, kippt das Image des Quartiers in wenigen Jahren vom gelungenen Integrationsmodell zum unrentablen Sanierungsfall, zum Verkehrshindernis zwischen dem Renault-Gelände und der Me­trostation, nun von den „falschen Wählerschichten“ bewohnt. Was folgt, sind 20 Jahre Sanierungsgeschichte. 1996 wurde das erste Leitmodell für das Areal offiziell bestätigt, 1999 der erste städtebauliche Wettbewerb ausgeschrieben, und 2001 das Büro Christian Devillers mit einer konkreten Studie für das Quartier beauftragt. Sein Leitschema ist in groben Zügen bis heute unverändert geblieben. Es zielt vor allen darauf ab, die Parkhausfestung aufzubrechen, das heißt, fußläufige Querverbindungen und Sichtachsen zwischen dem Trapez und dem Quartier du Pont de Sèvres herzustellen. Dabei wird die Parkhausdurchfahrt als Fortführung der Passage Pierre Bézier zur Einkaufspassage umgebaut, und der Wohnriegel auf Höhe der Rue Marcel Bontemps abgerissen, um die Sichtachse einer Straße in das Quartier hineinzuführen. Auch das Parkhaus an der Rue Yves Kermen soll verschwinden, damit das „Forum bas“ direkt an das Straßenniveau anschließen kann; die Fußgängerpasserelle, die zwischen Bürotürmen und Wohnriegel zum Straßenniveau des Trapez hinunterführen soll, ist fast fertig. 120 Millionen Euro wurden als Investitionssumme für die gesamte Quartiersanierung bereitgestellt, davon 50,9 Millionen für die Wohnblöcke, 36,6 Milionen für die öffentlichen Räume, 22,6 Millionen für den Umbau und die Sanierung von Einkaufspassage und Parkhaus.

Administrative Vollbremsung

Um dies alles besser zu verstehen, sei kurz die Rolle der „Agence Nationale pour la Rénovation Urbaine“ (ANRU) erläutert, die neben der interkommunalen SAEM Val de Seine die wichtigste Vertragspartnerin des Projekts ist. Diese nationale Ins­titution wurde 2003 gegründet, um in 400 problematischen Stadtquartieren den „Plan Borloo“ umzusetzen, jenes städtebauliche Rahmengesetz, das sozialen und urbanen Problemen der französischen Banlieues vor allem durch Abriss und Neubau zu begegnen sucht. In diesem Zuge wurde das Quartier du Pont de Sèvres als „nicht prioritär“ eingestuft, was einer administrativen Vollbremsung gleichkommt: Denn erst der Budgetanteil der ANRU schaltet die Gelder der anderen Beteiligten frei, in diesem Fall die Budgets von Stadt und Département, sodass der Finanzhebel der ANRU von 15 Millionen Euro letztlich dreiviertel des Budgets freigibt. Solange dieses Budget nicht feststand, wurden jedoch auch keine exakten Vermessungspläne Planungen in Auftrag gegeben. Als im Januar 2007 das Finanzierungsmodell von der ANRU mit den Dossiers aller Akteure schließlich bewilligt wurde, war zwar das ursprünglich anvisierte Budget um etwa ein Drittel reduziert, aber das Wissen über die tatsächlichen Bedingungen der Baustelle nicht gewachsen – wie zum Beispiel des Wissen über die Beschaffenheit der Bausubstanz oder den Verlauf von Leitungssystemen.
Bis hierher klingt das nach einem stadtplanerischen Prozess, der mit üblicher Trägheit langsam vorwärts schreitet. Im französischen Verwaltungsdschungel herrschte währenddessen jedoch eine Art verwaltungstechnischer Territorialkrieg zwischen kommunalen, departementalen und nationalen Akteuren, der das Projekt stark verzögerte. Nachdem dann auf der Baustelle mehrere Pannen zu monatelangen Baustopps führten (u.a. wurden eine Löschwasserleitung für die Bürohochhäuser und das Glasfaserkabel einer weltweit sendenden Antenne beschädigt, sie lagen mitten in der ausgewiesenen Abrisszone), die Kosten durch die Unkenntnis der zu sanierenden Bausub­stanz immer weiter in die Höhe stiegen und sich ein Projektbeteiligter (das Département Hauts-de-Seine) nach einem Regierungswechsel dazu entschied, am Busbahnhof Pont de Sèvres anstelle einen öffentlichen Platz zu planen doch lieber bauen zu wollen, zog sich der Architekt Christian Devillers nach zehn Jahren zermürbt zurück. Er bleibt aber Koordinator des Projekts. Der weitere Sanierungs- und Umbauprozess liegt nun in den Händen der Büros Coteba (Konstruktion), Atelier du Pont (Architektur) und Sitges Paysage (Freiraumgestaltung).
Sicherlich wird die Bebauung am Pont du Sèvres keine geschlossene Cité bleiben, das werden die Sanierung und der Umbau verhindern, und dazu ist die Bebauung innerhalb der Stadt viel zu exponiert. Aber die Möglichkeit, beiden Quartieren, dem alten und dem neuen, von Anfang an vergleichbare Chancen zu geben und sie so auszustatten, dass sie in beiden Fällen für unterschiedliche Bildungs- und Einkommensschichten interessant sein könnten, wurde vertan.
Fakten
Architekten Daniel Badani, Pierre Roux-Dorlut
aus Bauwelt 27-28.2011
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