Bauwelt

Neubau des Tanz- und Musikzentrums am Spuiplein

Eine Ikone für „Den Haag 2018“

Text: Jürgenhake, Birgit, Rotterdam; Oorschot, Leo, Rotterdam

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Sieger: Neutelings Riedijk Architecten

  • Social Media Items Social Media Items
Sieger: Neutelings Riedijk Architecten


Neubau des Tanz- und Musikzentrums am Spuiplein

Eine Ikone für „Den Haag 2018“

Text: Jürgenhake, Birgit, Rotterdam; Oorschot, Leo, Rotterdam

Mit einem neuen Tanz- und Musikhaus, das den „Altbau“ von Rem Koolhaas aus dem Jahr 1984 ersetzen soll, möchte die Stadt Den Haag den Spuiplein zu ei­nem veritablen „Kulturforum“ umgestalten. Neutelings Riedijk Architecten sind Ende 2010 als Gewinner des zweistufigen internationalen Wettbewerbs bekannt gegeben worden. Ob jedoch die finanziellen Mittel vorhanden sind, das Großprojekt auch zu realisieren, steht in den Sternen.
Im April 2010 haben Bürgermeister und Stadtrat von Den Haag beschlossen, sich für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2018“ zu bewerben. In diesem Zusammenhang sind auch die Pläne für den Bau eines neuen Tanz- und Musikzentrums am Spuiplein zu sehen. Das bestehende Theater, 1984 von Rem Koolhaas unter enormem Budgetdruck mit preiswer­ten Materialien erbaut, müsste dringend saniert werden – das würde, laut Kostenschätzung, in etwa so teuer kommen wie seinerzeit der Neubau. So kam die Stadt auf die Idee, an derselben Stelle stattdessen ein neues, größeres Haus zu errichten, einen Komplex mit 45.000 Quadratmetern Nutzfläche für das Residenz-Orchester, das Niederländische Tanztheater (NDT) und das Königliche Konservatorium. Rem Koolhaas wurde mit der Erarbeitung einer Massen- und Programmstudie beauftragt. Er entwickelte zwei Varianten: einen breiten, relativ niedrigen Baukörper in der Höhe des benachbarten Stadthauses und einen schmalen, hohen Typus. Die Gemeinde entschied sich für die erste Variante als Ausgangspunkt für ei­nen internationalen Wettbewerb. Koolhaas’ Studien zeigten deutlich, dass hier ein enormes Programm auf einen kleinen Standort gepresst werden würde – im Grunde ohne Not, denn man hätte Theater und Konservatorium genauso gut getrennt an verschiede­nen Standorten planen können. Die Kosten für den Neubau wurden auf 230 Millionen Euro geschätzt. Wer genau das wie finanzieren sollte, war vor Wettbewerbsbeginn nicht abschließend geregelt.
Um die Teilnahme an dem Wettbewerb bewarben sich 45 Architekten. Eine unabhängige Kommission wählte 20 Büros aus, darunter so international arrivierte wie Rapp+Rapp, Benthem Crouwel, Cruz y Ortiz, de Architecten Cie, Diller Scofidio + Renfro, Henning Larsen, Jo Coenen, Mecanoo, Neutelings Riedijk, Thomas Rau, Wiel Arets, Zaha Hadid, Rem Koolhaas. Die Auswahl zeigt deutlich, dass man hoffte, eine Architektur-Ikone mit internationaler Ausstrahlung zu bekommen. Insgeheim spekulierten wohl nicht wenige in der Stadt auf Koolhaas als Wett­bewerbsgewinner.
Schließlich gaben 16 der ausgewählten Teilnehmer einen Vorschlag ab. Ihre Entwürfe wurden öffentlich im Stadthaus ausgestellt. Bereits kurz zuvor jedoch war in der Haager Lokalzeitung ein Leserbrief erschienen, unterzeichnet von einer lange Namensliste: ehemalige Stadtratsmitglieder, Architekten, Stadtplaner, Historiker, Künstler etc., alles Leute, die in den letzten 20 Jahren eine wichtige Rolle in der Haager Stadtplanung gespielt haben und nun ernsthafte Bedenken über die Planungen für das Kulturforum äußerten. Hauptkritikpunkte waren unter anderem: das Fehlen einer städtebaulichen Zielsetzung für das Umfeld des Spuiplein; das für den Standort viel zu üppige Raumprogramm; die fehlende Möglichkeit, das Gebäude in mehreren Phasen zu bauen, was die Realisierung fragwürdig erscheinen ließe; die Unsicherheit der Finanzierung, vor allem vor dem Hintergrund der angespannten ökonomischen Situation; die geringe Bandbreite architektonischer Auffassungen bei den ausgewählten Wettbewerbsteilnehmern. Die Neubauinitiative sei, so die Verfasser des Leserbriefes, missglückt. Die Autoren schlugen deshalb ein Moratorium vor. Nicht eine Kommission solle über das Projekt entscheiden, sondern die Bevölkerung von Den Haag selbst.
Der Spuiplein – Herz der Stadt?
Um zu verstehen, was für ein neuralgischer Punkt der Standort des Tanz- und Musikzentrums ist, und worin die städtebauliche Herausforderung für die Wettbewerbsteilnehmer lag, muss man ein wenig über die Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte in der Haager Innenstadt Bescheid wissen. In den 60er und 70er Jahren wurde die Bebauung aus dem 17. bis
19. Jahrhundert großflächig abgerissen. In bester CIAM-Tradition füllte man die frei geräumten Flächen Stück für Stück mit Solitären: mit Ministerien, Verwaltungsgebäuden, dem neuen Hauptbahnhof. Gleichzeitig begann man mit dem Bau einer Ringstraße, die die Kontinuität der Stadtstruktur dann vollends ruinierte, was die Teilung Den Haags in einen reichen Westen und Norden und einen armen Osten und Süden eklatant verschärfte.
Diese Teilung durch den Bau eines neuen Zentrums, gleichsam auf der Grenzlinie zwischen Arm und Reich errichtet, aufzuheben, war die Idee des Masterplans von Carel Weeber aus dem Jahr 1980.
Er sah eine geradlinige Fußgängerverbindung vom Hauptbahnhof im Osten bis hin zur weiter westlich gelegenen Nieuwe Kerk aus dem 17. Jahrhundert vor, die „Turfmarktroute“. Gegenüber der Kirche entstand mit dem „Spuiplein“ ein neuer Platz, an dem es gelingen sollte, das zerrissene Stadtgefüge wieder zusammenzuflicken. In der Folge siedelte hier mit dem Tanztheater, dem Theater und Filmhaus an der Spui von Herman Hertzberger und schließlich dem Stadthaus mit Gemeindebibliothek von Richard Meier eine enorme Konzentration öffentlicher und kultureller Einrichtungen. Ein wirkliches „Herz der Stadt“ ist der von dem katalanischen Architekten Joan Busquets gestaltete Spuiplein trotzdem nicht geworden. Lediglich einige Skateboarder haben den Ort in Beschlag genommen. Ein ähnlich trauriges Bild bietet die Turfmarktroute – vor allem nach Geschäftsschluss.
Finale ohne Koolhaas
Drei Wettbewerbsentwürfe kamen in die zweite Bear­beitungsrunde, die Arbeiten von Neutelings Riedijk, von Thomas Rau und von Zaha Hadid. Rem Koolhaas schied nicht zuletzt deswegen aus, weil er nicht genügend Nutzfläche unterbrachte. Neutelings Riedijk boten das kompakteste Gebäude an. Nachdem es bereits in der ersten Runde die meisten Bewertungspunkte bekommen hatte, siegte es auch in der zweiten. Die Jury sah in dem Entwurf ein logisches Konzept, dem die Balance zwischen dem „historischen Umfeld der Innenstadt“ und den Hochhäusern des angrenzenden Wijnhaven-Viertels gelungen sein. Die „taillierte“ Fassade, die „Schultern“, deren Höhe auf das Hotel nebenan Bezug nimmt, und das Tonnendach als „Krone“ würden dem Gebäude ein einzigartiges Erscheinungsbild verleihen. Die Idee des Tonnendachs fand besondere Zustimmung in der Jury; die beiden darunter angeordneten Säle können unabhängig voneinander genutzt, aber auch zu einem großen Saal zusammengeschaltet werden.
 Zaha Hadid nahm die „Dynamik des Standortes“ als Ausgangspunkt für ihren Entwurf, was in einer fließenden Struktur mündete, die die Besucher und Passanten mit einer voluminösen Geste vom Erdgeschoss bis ins Herz des Gebäudes zu führen versucht. Der nahtlose Übergang vom öffentlichen Raum bis in die Veranstaltungssäle verstärkt den zusammenhängenden Charakter des Komplexes, der ja drei unterschiedliche Institutionen unter einer Hülle vereinen soll. Insgesamt befand die Jury Hadids Entwurf aber als zu groß und zu massiv für den Standort.
Thomas Rau schlägt ein offenes, transparentes Gebäude vor, das quasi eine Fortsetzung des Spui­plein bildet. Für ihn ist das Tanz- und Musiktheater vor allem ein Ort, der selbst in Bewegung ist. Auch an Tagen, an denen keine Vorstellungen stattfinden, soll das Zentrum mit seinen ausladenden, öffentlich zugänglichen Terrassen lebhaften Zuspruch finden. Rau stellt am deutlichsten das Thema Nachhaltigkeit in den Vordergrund: ein Energiedach mit Sonnenkollektoren; Micro-Windmühlen; alle im Gebäude ver­wendeten Baustoffe sollen recycelbar sein. Allerdings hat der Baukörper die größte Fassadenoberfläche der drei Entwürfe aus der Endrunde.
Und nun?
Nach den drastischen Sparmaßnahmen, die die niederländische Regierung 2010 beschlossen hat, fehlt der Stadt Den Haag jetzt eigentlich das Geld für den Bau des opulenten Kulturpalasts. Die Gemeinde schaut denn auch hoffnungsvoll in Richtung Regierung. Wird sie den Bau des Hauses und damit auch die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2018 unterstützen? Oder wird man die kritischen Stimmen ernst nehmen und ein Kulturforum mit zwei oder gar drei kleineren Häusern planen, das sich schrittweise realisieren ließe? Oder wird am Ende doch das Tanzhaus von Koolhaas saniert? Für Freunde des Altbaus ein kleiner Trost zum Schluss: Der überarbeitete Plan von Neutelings Riedijk sieht vor, den bei Koolhaas-Liebhabern wie -Kritikern gleichermaßen beliebten Saal des Tanztheaters zu erhalten und in den Neubau zu integrieren.
Fakten
Architekten Neutelings Riedijk Architecten, Rotterdam; RAU, Amsterdam; Zaha Hadid Architects, London
aus Bauwelt 3.2011
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.