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Neu bauen in schrumpfenden Städten?

Wohnungsbauförderung in Brandenburg

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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Karte: Bauwelt; Quelle: Statistisches Bundesamt

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Neu bauen in schrumpfenden Städten?

Wohnungsbauförderung in Brandenburg

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Brandenburg ist ein gespaltenes Land – wenn man die wirtschaftliche und demografische Entwicklung betrachtet. Im sogenannten berlinnahen Raum, dem Speckgürtel der Bundeshauptstadt, gibt es ein enormes Bevölkerungswachstum. Den dortigen Städten und Gemeinden mangelt es bereits heute an günstigem Wohnraum.
Das Problem wird sich in den nächsten Jahren verschärfen: Alle Prognosen sagen ein weiteres Bevölkerungswachstum voraus. Die Landeshauptstadt Potsdam beispielsweise hatte 2003 143.000 Einwohner, 2010 waren es 155.000, und bis 2030 werden es voraussichtlich 182.000 sein.
Im „berlinfernen Raum“ hingegen kämpft man mit drastischem Bevölkerungsrückgang und erheblichem Wohnungsleerstand; und das wird, den Prognosen zufolge, auch in Zukunft so bleiben.
Die widersprüchliche Wohnungsmarktlage und die klammen öffentlichen Kassen werfen die Frage auf, welche Prioritäten bei der Förderpolitik gesetzt werden sollen. Was ist wichtiger: der Abriss leerer Wohnungen in den schrumpfenden Städten oder der Neubau von Wohnungen in den wachsenden Städten? Die brandenburgische Landesregierung hatte diese Frage in den letzten Jahren zugunsten von Ab­riss entschieden. Rund 550 Millionen Euro in­vestierte sie seit 2002 in den „Stadtumbau Ost“. 61.000 Wohnungen wurden abgerissen, der geförderte Wohnungsneubau hingegen 2005 wegen
Geldmangels eingestellt.
Nicht länger nur abreißen
Diese Schwerpunktsetzung sorgte zunehmend für Unmut, vor allem in den Stadtverwaltungen der wachsenden Gemeinden. Sie forderten ein Umsteuern – weg vom geförderten Abriss, hin zum geförderten Neubau. Diese Forderung wurden nicht zuletzt deshalb immer lauter, weil der geförderte Abriss nirgend wo zur Stabilisierung der Städte geführt hatte. Im Gegenteil: In einigen Städten wuchs die Leerstandsquote.
Groß war daher die Hoffnung, als der brandenburgische Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger im April 2010 eine Wiederaufnahme der Wohnungsneubauförderung ankündigte. Umso größer das Unverständnis, als die konkrete Verteilung der Gelder bekannt wurde. Die Jury des vom brandenburgischen Infrastrukturministeriums ausgelobten Fördermittelwettbewerbs empfahl, zehn Projekte mit insgesamt 180 Wohnungen zu fördern – allesamt in Städten mit hohem Wohnungsleerstand. Allein drei Projekte sind in Wittstock geplant, außerdem sollen Neubauprojekte in Kyritz, Frankfurt/Oder, Templin, Eberswalde, Prenzlau, Luckenwalde und Pritzwalk gefördert werden. Für sechs weitere mit insgesamt 156 Wohnungen wurde eine Förderung unter dem Vorbehalt einer „weiteren Qualifizierung“ empfohlen. Auch diese Vorhaben befinden sich, bis auf eine Ausnahme (Potsdam), in schrumpfenden Städten: Finsterwalde, Cottbus, Spremberg und Frankfurt/Oder.
Welch absurde Gemengelage da mitunter entsteht, illustriert das Beispiel Wittstock. Die Kleinstadt im Nordwesten Brandenburgs verlor seit der Wende gut die Hälfte ihrer damals rund 20.000 Einwohner. (Die offizielle Zahl von heute 15.000 Einwohnern ergibt sich durch Eingemeindungen.) Nach 1990 waren zunächst erhebliche Gelder in die Sanierung von Altbauten und den Neubau von Wohnquartieren investiert worden. Ab 2002 wurde dann der Abriss von Wohnungen gefördert. Zum Teil riss man Wohnungen ab, die erst nach 1990 saniert worden waren. Dennoch gibt es in Wittstock zwölf Prozent Leerstand, in allen Marktsegmenten: Sowohl sanierte Altbauwohnungen als auch sanierte Wohnungen aus der DDR-Zeit und Neubauwohnungen aus der Zeit nach der Wende sind im Überfluss vorhanden. Alle Prognosen sagen eine Zunahme des Leerstands voraus. Dennoch will die brandenburgische Landesregierung den Neubau von 34 Wohnungen fördern.
Neue Wohnungen, die keiner braucht?
Welchen Hintergrund hat diese Verteilung der Gelder? Die Nachfrage beim brandenburgischen Infrastrukturministerium macht deutlich: Die Neubauförderung dient nicht der Bekämpfung des Wohnungsmangels, sondern der Lösung städtebaulicher Probleme. In vielen schrumpfenden Gemeinden gibt es Brachen und Baulücken, für deren (Neu-)Bebauung sich keine Privatinvestoren finden. Öffentlich geförderter Wohnungsbau soll Abhilfe schaffen. Dahinter steckt die Auffassung, in einer Stadt mit einem „intakten“ Zentrum wollten auch wieder Menschen leben. Wohnungsbauförderung als Mittel der Innenstadtverschönerung – egal, ob jemand in den Neubauten wohnt oder nicht?
Diese Politik hat zu erregten Debatten im Land geführt. In Potsdam etwa musste ein Neubauprojekt an der Straße Am Jagenstein auf Eis gelegt werden, weil die Förderung verweigert wurde. Vor allem Vertreter der berlinnahen Kommunen fordern eine Neuverteilung der Gelder. Nichtzuletzt weil die Neubau­förderung in Städten mit hohem Wohnungsleerstand zu weiterem Subventionsbedarf führt: Schließlich müssen die geförderten Neubauten nicht nur gebaut, sondern auch instandgehalten werden, auch wenn sie nicht bewohnt sind. Zugleich wird in Brandenburg weiter abgerissen. Bis 2020 sollen rund 35.000 Wohnungen verschwinden. Selbstverständlich mit öf­fentlichen Fördergeldern.

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