Bauwelt

Meister der Inszenierung

Frederick Kieslers theatralischer Impetus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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©Kiesler-Stiftung Wien

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Meister der Inszenierung

Frederick Kieslers theatralischer Impetus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Die Retrospektive des Theatermuseums Wien betrachtet Frederick Kieslers Bühnenvi­sionen gleichrangig zu seinen Architekturentwürfen und seinem zeichnerischen, skulptural-installativen und theoretischen Schaffen.
Das Lebenswerk Frederick Kieslers ist schon lange kein Geheimtipp mehr. In den 60er Jahren haben etwa Hans Hollein und Raimund Abraham die Gelegenheit genutzt, den gebürtigen Österreicher (geboren 1890 in Czernowitz, gestorben 1965 in New York) noch persönlich zu befragen. Ab Mitte der 70er Jahre gab es zahlreiche Ausstellungen zu verschiedenen Aspekten in Kieslers Werk. Kann da eine neuerliche Präsentation den Blick überhaupt noch weiten?

Keine Frage, sie kann das – und es ist auch notwendig. Die Retrospektive, die derzeit im Theatermuseum Wien zu sehen ist und anschließend nach München und Madrid wandert, betrachtet Kieslers Bühnenvi­sionen gleichrangig zu seinen Architekturentwürfen und seinem zeichnerischen, skulptural-installativen und theoretischen Schaffen. Kuratorin Barbara Lesák, die zu Kieslers Theaterwerk promovierte, sieht einen „theatralischen Impetus“ als durchgängiges Moment in allen kreativen Sparten Kieslers. Sie zeigt in der Ausstellung mit 16 Kapiteln sogenannte „Turning Points“ auf – Querverbindungen also, die es Kiesler ermöglichten, seine vorrangig aus der Bühne entwickelten Konzepte immer wieder in anderen Disziplinen zu erproben, ohne seine inszenatorische Grundhaltung aufzugeben. Diese verwobene Arbeitsweise wird heute landläufig als interdisziplinär bezeich­net – Frederick Kiesler selber nannte sie in späteren Lebens­jahren „Korrelieren“, folglich entwickelte er „korrealistische Artefakte“ in den Schnittmengen der Fachrichtungen.

Nach abgebrochenem Studium der Architektur, Grafik und Malerei in Wien gelang Kiesler 1923 – damals noch Friedrich geheißen – ein überraschender Start mit dem Bühnenbild für das Roboterschauspiel W.U.R. des tschechischen Schriftstellers Karel Čapek am Berliner Theater am Kurfürstendamm. Den Auftrag akquirierte er direkt bei dem Regisseur und Theaterdirektor, der in Wien und Berlin Bühnen leitete, mit schnell ausgearbeiteten Skizzen und vor allem entschlossener Tatkraft. Das Ergebnis war eine elektro-mechanische Bühne, die nicht dem damals gängigen Expressionismus folgte. Die kühle Maschinenwand vermochte, die passende futuristische Atmosphäre darzustellen, unter anderem mit einer übergroßen Fotoblende sowie einer Tanagra-Spiegelprojektion – ein technisches Kuriosum vom Wiener Prater aus der Zeit um 1900.

Von der Raumbühne zur Raumstadt
Kiesler blieb in Berlin tätig, organisierte aber 1924 auch die Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien. Dort wurde neben einem konstruk­tivistischen Ausstellungssystem (Leger- und Trägersystem), das Kieslers Raumstadt antizipierte, für drei Wochen im Wiener Konzerthaus die legendäre Raumbühne erprobt: ein dynamisches Kontinuum auf einer großen Spirale mit einem Lift für den beschleunigten Auftritt einzelner Schauspieler – nur Stücke ließen sich darauf nicht so recht aufführen. Trotzdem gelang es Kiesler, die damalige künstlerische Avantgarde um Theo van Doesburg, Fernand Léger und Tommaso Marinetti in Wien zu versammeln und auf seine Ideen aufmerksam zu machen. Kiesler wurde Mitglied im holländischen De Stijl. Ein Jahr später griff er sein Ausstellungsdisplay erneut auf, dieses Mal für den österreichischen Theaterbeitrag auf der Exposition International des Arts Décoratifs et Indu­striels Moderne in Paris. Hier erfolgte auch die Umwidmung des Leger- und Trägersystems in die urbanistische Vision einer Raumstadt (City in Space) aus schwebenden horizontalen und vertikalen Schichten. Flugs wurde mit einem französischen Kollegen ein passendes Manifest verfasst – das Kiesler die Einladung nach New York bescherte, um dort 1926 eine weitere Theaterausstellung zu realisieren.

Kiesler erlag der Faszination der Metropole und blieb in New York (1936 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft). Obwohl in den USA das Klima für Reform-Ambitionen im Theater ähnlich günstig war wie in Europa, gelangen ihm in New York vorerst keine experimentellen Inszenierungen. Er wandte sich der Architektur zu. 1929 stellte er der Raumkunst der Bühne die von ihm so bezeichnete „pure Flächenkunst“ des Films entgegen. Das Film Guild Cinema, das Kiesler realisierte, bewarb er als erstes „100%-Kino“. Der Rohbau existierte bereits, Kiesler versah die Fassade mit einem vorgestellten Balken- und Flächenwerk in De-Stijl-Manier. Die Filmleinwand erhielt, ähnlich seiner ersten Bühnenarbeit in Berlin, eine variable Riesen-Fotoblende, das Screen-o-scope, um unterschiedliche Projektionsformate zu ermöglichen. Es gab zusätzliche Licht­effekte im Zuschauerraum, mit denen der Kinobesuch zum sinnlichen Gesamterlebnis werden sollte.

Vom Space Theatre zum Endless House
Kiesler widmete sich Projekten für temporäre und stationäre Theaterbauten. 1931 gewann er mit einem konstruktivistischen Entwurf den Wettbewerb für das multifunktionale Space Theatre in Woodstock, das jedoch nicht realisiert wurde. Ebenfalls 1931, nach van Doesburgs Tod, lockerte Kiesler seine funk­tionale Formensprache und öffnete sich den Ideen des Surrealismus. 1933 demonstrierte er in einem Ladenlokal mit dem 1:1-Modell des stromlinienförmigen Space House das Wohnen wie im Raumschiff. Für Peggy Guggenheim schuf er 1942 die skurrile Sur­realist Gallery (Bauwelt 34.11), und seine Beschäftigung mit dem Wohnen wiederum mündete 1959 in die Studie zum biomorphen Endless House.
 
Aber auch die Bühne holte ihn zurück. Ab 1934 lehrte Kiesler an die Juilliard School of Music und zog dort Architekturstudenten der benachbarten Columbia University zu surrealistischen Operninsze­nierungen hinzu. Unermüdlich folgte er seinen schöpferischen Querbeziehungen: Die wie aus Gerippen gefügte „Urhütte“ eines Bühnenbildes von 1948 etwa übertrug er in die Raumskulpturen-Reihe Galaxies; eine Version davon gelangte 1953 gar in den Garten von Philipp Johnsons Glass House.

Frederick Kiesler war nicht nur ein produktives Multitalent. Er verstand es zudem, seine Arbeit theoretisch aufzuladen und zu publizieren. Seine Postulate, Briefwechsel und Storyboards aus Text und Skizzen dienten ebenso der Mythenbildung wie seine meisterhafte Selbstinszenierung: in der Öffentlichkeit stets im bühnentauglichen Frack, inmitten der intellektuellen Elite seiner Zeit.
Fakten
Architekten Kiesler, Frederick (1890-1965)
aus Bauwelt 5.2013
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