Bauwelt

Lebensverdichtungszellen

Absalons heterotopische Minimalräume

Text: Tempel, Christoph, Berlin

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courtesy Collection du Fonds régional d’art contemporain Languedoc-Roussillon; Foto: dreusch.loman, 2010

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Lebensverdichtungszellen

Absalons heterotopische Minimalräume

Text: Tempel, Christoph, Berlin

Weiß ist die derzeit vorherrschende Farbe im KW Institute for Contemporary Art in der Berliner Auguststraße, das stumpfe Weiß frischer Wandfarbe. Das Haus hat sich herausgeputzt für die erste umfassende Absalon-Einzelausstellung in Deutschland seit 1994.
Auf allen vier Etagen und in der großen Halle sind die zum Teil sehr großformatigen und zumeist ebenfalls weiß getünchten Arbeiten Absalons verteilt.
Der lange, schmale, mit Rigipsplatten beplankte Gang, der in die große Halle führt, gerät so zum vor­bereitenden Einstieg in das Werk des jung verstorbe­nen Künstlers. Absalon wurde 1964 als Meir Eshel in Ashod (Israel) geboren, ging 1987 im Alter von 23 Jahren nach abgebrochenem Militärdienst und Aus­steigerleben am Strand von Tel Aviv nach Paris, wo er sechs Jahre später wahrscheinlich an den Folgen von AIDS verstarb. Trotz seines nur kurzen Wirkens hat er ein erstaunlich umfangreiches, komplexes und geschlossenes Œuvre hinterlassen, das vorrangig der Erkundung des Raumes gewidmet ist.
In der großen Halle sind die sechs Prototypen der „Celulle“ vereint. Wie ein modernes Dorf verteilen sich die aus geometrischen Grundformen entwickelten Hütten im Raum und sind vom erhöhten Standort der Eingangsgalerie gut zu überblicken. Kein Schriftzug an Wand oder Boden stört den reinweißen Eindruck, der von tief hängenden Neonröhren noch verstärkt wird. Doch die Eingänge dieser Hütten sind nicht aufeinander bezogen, die Kuben, von schmalen Fensterschlitzen nur leicht perforiert, nicht geöffnet, und der Platz zwischen ihnen ist kein Platz, sondern offensichtlich leerer Raum. Absalon projektierte diese Hütten nicht als zusammenhängende Struktur, sondern für sechs verschiedene Metropolen, die mit seiner künstlerischen Tätigkeit verbunden sein sollten. Die erste, die ihren Platz im Zentrum von Paris finden sollte, konnte er noch ausführen, jedoch nicht mehr darin wohnen. In Zürich, Frankfurt am Main, New York, Tel Aviv und Tokio sollten die anderen stehen. Ohne jeden Anspruch auf eine gesellschaftliche Utopie wollte er die Cellules für sich nutzen, sie bewohnen, darin arbeiten, Schutz finden. Sie sind in ihren Maßen und Größenverhältnissen auf ihn zugeschnitten und bieten auf einer Grundfläche von 4 bis 8 m2 Raum für ein Schlafzimmer, Bad mit Toilette, ein Arbeitszimmer und eine Küche.
Selbst für kleinere Menschen – Absalon aber maß 1,90 Meter – ist die räumliche Beschränktheit sofort spürbar: Bereits beim Eintreten gilt es sich zu verdrehen und zu bücken, um durch den schmalen Türschlitz ins Innere zu gelangen, wo man zumeist überhaupt nur an einer Stelle aufrecht stehen kann. Um ins schmale Bett zu gelangen, muss man sich ver­renken, und auch die Nutzung des Badezimmers erfordert bestimmte Bewegungsabläufe, die Absalon in Studien akribisch erarbeitete. Die anfänglich unbequeme, weil ungewohnte Nutzung werde, so Absalon, mit der Zeit zu einer Art Tanz, der mit der Konstruktion verbunden ist und schließlich für ihn als alleinigen Nutzer „doppelt bequem wird“. Alle Häuser scheinen in diesem Verlangen nach physischen Zwängen geplant zu sein, mit denen Absalon eine Ver­dichtung des eigenen Lebens erreichen wollte und sich gleichzeitig widerständig gegen vorherrschende kulturelle Standards wie Zweierbeziehung oder Familie zeigte.
Absalons Skulpturen und Zeichnungen, die in der Ausstellung ebenfalls zu sehen sind, wirken wie Vorstufen auf dem Weg zu den bewohnbaren Zellen: Geometrische Grundformen werden zu unterschiedlichen Formen aneinandergereiht, behaupten sich im Raum oder öffnen ihr beleuchtetes Inneres dem Blick des Betrachters; kleine, tischartige Gebilde mit schlanken Beinen werden in ebenso kleinen, weiß gestrichenen Kisten arrangiert und bilden spannungs­volle, aber nutzlose Räume; Übermalungen in einer Wohnzeitschrift korrigieren die Interieurs und deuten den Bruch mit überkommenen bürgerlichen Wohn­vorstellungen bereits an.
Die Videos zeigen grundsätzlich Menschen in Aktion, zumeist den Künstler selbst. Man sieht ihn in Hemd und Hose an einem Tisch sitzen und alltägliche Handlungen vollführen. Er trinkt, badet, arbeitet, legt sich zum Schlafen und spielt Leben in dieser Guckkastenbühne einer abgeschlossenen Wohn­zelle (Solutions, 1992). Oder er kämpft gegen einen unsichtbaren Gegner und vermisst so den Raum, den ein in dieser Art aktiver Mensch benötigt (Bataille, 1993). Die Filme wirken, als müsse Absalon sich selbst vom alltäglichen Leben überzeugen, das er in den Wohnzellen zu führen sich entschlossen hat. Uns als Betrachter wollen sie davon jedoch nicht überzeugen: Sie zeigen eine Spielart, wie Absalon sie für sich gefunden hat. Das macht die Arbeiten so anziehend und zeitlos.

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