Korrespondierende Kontrapunkte
Heusterzbrücke und Himmelsleiter, Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Korrespondierende Kontrapunkte
Heusterzbrücke und Himmelsleiter, Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
In der kargen Landschaft der nördlichen Oberpfalz, über deren Senken, malerischen Flussauen und sanften Hügeln stets eine leichte Melancholie liegt, gedeihen Sagen, Legenden und wunderliche Geschichten. Manche klingen allzu sonderbar, märchenhaft verstiegen, andere hingegen sind ganz real.
Eine beispielsweise handelt von der bayerischen Staatsregierung, welche die Tirschenreuther Teichpfanne – eine der ältesten Kulturlandschaften dieser Republik, in der die Zisterzienser aus dem Kloster Waldsassen vom 12. Jahrhundert an rund 4000 Teiche anlegten – fluten wollte. Eine verwunschene, von Sümpfen und Mooren durchgezogene Landschaft, in der Tier- und Pflanzenarten vorkommen, die man hierzulande sonst kaum oder gar nicht mehr findet, sollte in den 1970er Jahren von den Wassermassen eines gigantischen Stausees zugedeckt werden. Die Rettung ist letztlich einem stolzen Stadtrat in Tirschenreuth zu verdanken, der nicht nur Umweltaktivisten, sondern umliegende, juristisch handlungsfähigere Bauern agitierte, die vor Gericht einen Sieg gegen die vermeintlich allmächtige Zentralgewalt im fernen München ausfochten.
Aus dem geplanten Speichersee wurde ein „Naturschutzgroßprojekt von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung“. Von 1999 bis 2012 flossen unter dem Titel „Waldnaabauen“ vor allem aus Berlin nicht wenige Fördermillionen in die Teichlandschaft. Über das rund 3200 Hektar große Areal soll nach dem Willen des Trägers, des Landkreises Tirschenreuth, keine Käseglocke gestülpt werden. Vielmehr soll es Besuchern, Wanderern und Radlern geöffnet werden. Sorgsam freilich und mit aller Rücksicht
auf die dann doch erhaltene Natur. Das heimische Büro Brückner & Brückner entwickelte ein Konzept, um Besucher zu lenken. Typologisch nahe den permanenten Installationen, die in nach englischem Vorbild angelegten Gartenanlagen das Naturerlebnis steigern sollten, sollen architektonische Interventionen den Besucherstrom kanalisieren und auf gewisse Bereiche konzentrieren. Die bisher realisierten Artefakte, die 2011 fertiggestellte „Heusterzbrücke“ und die in diesem Jahr eröffnete „Himmelsleiter“, sind in ihrem Charakter durchaus ambivalent: Mal erscheinen sie korrespondierend zur Natur, mal kontrapunktisch gesetzt, mal muten sie fragil, fast flirrend an, mal breit und massiv, mal sind sie raumbildend und mal zu einem schlanken Gerüst aufgelöst.
Beide Objekte ermöglichen Perspektivwechsel. Während die Brücke durch einzelne fehlende Rahmen nur beengte, wenngleich präzise definierte Einblicke in die Landschaft bietet, offeriert das langsame Aufsteigen der Treppe einen immer weiteren, aber durch die rhythmisierend gesetzten Stahlprofile stets gerahmten Blick. Oben angekommen auf der Aussichtsplattform reicht der atemberaubende Blick dann über das ganze Naturschutzgebiet bis zum Steinwald und dem Fichtelgebirge im Westen und in den Böhmerwald in Osten. Es ist zu wünschen, dass das Konzept seine Fortsetzung erführe. Installationen zum Aufbau von Fischteichen und Mooren sowie die Einbindung des hier abgebauten Kaolins, des weißen Porzellangrundstoffs, sind bereits angedacht. Dies wäre eine weitere nicht wunderliche, sondern wunderbare Geschichte.
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