Immaterielle Faktoren der Raumbildung
Bernhard Leitner bei Georg Kargl Fine Arts
Text: Brosowsky, Bettina Maria
Immaterielle Faktoren der Raumbildung
Bernhard Leitner bei Georg Kargl Fine Arts
Text: Brosowsky, Bettina Maria
Den Österreicher Bernhard Leitner als den internationalen Pionier und systematischen Erforscher der Beziehung zwischen Raum, Klang und Körper vorzustellen, so denkt man, sollte eigentlich müßig sein.
In Deutschland ist Leitner, 1938 geboren, als Architekt an der TU Wien ausgebildet, danach lange Jahre in New York arbeitend und lehrend, spätestens seit 1982 durch seine Beteiligung mit dem „Ton-Würfel“ an der documenta 7 im Kunstbetrieb präsent. Permanente Werke Leitners, diffus dem Genre Klanginstallation zuzuschreiben, befinden sich unter anderem in mehren Städten Österreichs, in Berlin und Paris.
Allerdings hat es seit einigen Jahren keine umfangreichere Werkschau Leitners mehr gegeben. Diese holt die Galerie Georg Kargl Fine Arts in Wien nun nach. Sie umfasst frühe, der Aktionskunst entspringende Arbeiten wie den „Tonanzug“ oder den „Tragraum“ aus den 1970er Jahren: durch Lautsprecher, direkt am Körper montiert, wurde Klang über das vegetative Nervensystem gesamtleibhaftig erfahrbar. Dadurch, dass der Klangträger zudem mobiler Akteur im Raum wurde, konnte er seine Umgebung in wahrsten Sinne des Wortes individuell ausloten. Andere Arbeiten Leitners weisen dem Benutzer eine fixierte und isolierte Position zu. Im 'vertikalen Raum' aber auch in der neuen Arbeit in situ, „Klangspiegelgang“, die zwischen zwei gegenläufigen Distanztreppen eingebaut ist, kann sich jeweils nur ein Einzelner, ganz allein für sich, in meditativer Selbstversenkung versuchen. Die frühen Arbeiten dokumentieren umfangreiche Arbeitsbücher. In ihnen wurden die physikalischen Grundlagen hergeleitet und in Raummodelle übersetzt. Das werkspezifische akustische Material war kompliziert über eigens entwickelte Buchstaben-Codes auf Lochkarten zur Ansteuerung der einzelnen Geräte übertragen, damals ein absolutes technisches Novum. Diese Aufgabe übernehmen heutzutage Computer. Und durch sie, so scheint es, wird auch der Habitus der Klang-Objekte aus einer mitunter gewichtigen Formensprache befreit und seiner Rolle als vorrangig technischem Dienstleister immaterieller Prozesse gerecht. Die 48-Kanal-Komposition „Serpentinata“ ist nur noch als luftiges Geschlinge aus zwei transparenten Kunststoffröhren mit jeweils 24 kleinen Lautsprechern substanziell präsent. Beim Durchschreiten begleiten einen vielfältige dynamische Klangfolgen zwischen Zischen, Regenfall und Knirschen, der eigene Rhythmus der Raumerkundung passt sich an oder kollidiert auf angenehme Weise.
Diese überfällige Sichtung verdeutlicht ganz nebenbei auch, wie einfältig visuell ausgerichtet, wie wenig komplex erfahrbar, gar körperfeindlich weite Teile unserer Architekturproduktion mittlerweile auftreten. Jedes Material hält einen eigenen Klang verborgen, aber auch einen Geruch, einen Geschmack, lässt sich in der seiner Haptik verschiedenartig aktivieren. „Die Waden sind akustisch schwerhöriger als die Brust. Man hört auch mit dem Knie“, drückt Bernhard Leitner es gerne aus. Wir sollten unsere Sinne also nicht permanent unterfordern.
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