Bauwelt

Eine längst gebotene Wiederent­deckung

Eva-Besnyö-Retrospektive in der Berlinischen Galerie

Text: Tempel, Christoph, Berlin

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Eva Besnyö / MAI Amsterdam

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Eva Besnyö / MAI Amsterdam


Eine längst gebotene Wiederent­deckung

Eva-Besnyö-Retrospektive in der Berlinischen Galerie

Text: Tempel, Christoph, Berlin

Wer derzeit die Berlinische Galerie besucht, hat das Glück, zwei Fotografie-Sonderausstellungen sehen zu können, die Berlin zum Thema haben: „Eva Besnyö. Budapest–Berlin–Amsterdam“ und „Friedrich Seidenstücker. Fotografien 1925–1958“. Seidenstücker ist den Berlinern vielleicht noch als Tierfotograf und Alltagschronist des Vorkriegs- wie des zerstörten Nachkriegsberlins ein Begriff. Bei Eva Besnyö ist nicht einmal solches zu erwarten; sie ist in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten.
Eva Besnyö (1910–2003), um deren Arbeiten es hier geht, hat nur zwei Jahre, von 1930 bis 1932, in Berlin verbracht. Dann folgte sie ihrem Freund, dem Kameramann John Fernhout, nach Amsterdam. Besnyö war ein politisch wacher Mensch, sie spürte die unheilvollen Veränderungen der deutschen Gesellschaft. Und wegen ihres als jüdisch empfundenen Namens konnte ihre Fotoagentur Besnyös Aufnahmen nicht mehr an Redaktionen und Zeitschriften verkaufen. Ihr Vater hatte den jüdischen Nachnamen Blumengrund in Besnyö magyarisiert, um als assimilierter Jude in Budapest Nachteilen zu entgehen.
Nach Abschluss einer Fotografielehre im international bekannten Atelier von Jószef Pésci verlässt Eva Besnyö, 20 Jahre alt, Budapest in Richtung Berlin. „Das kulturelle Leben war wohl sehr reich und gut, aber die politische Situation war schrecklich. Es war eine Art feudales Land mit einer halbfaschistischen Regierung, Admiral Horthy war eine Art Faschist. Und das lag mir nicht. Ungarn war auch sehr antisemitisch“, resümierte sie 1990 in einem Interview. In Berlin arbeitet sie in zwei renommierten Ateliers (René Ahrle und Dr. Peter Weller), findet im ersten keine und im zweiten genug Zeit, sich auf Motivsuche in die Stadt zu begeben. Kameras und Material stehen ihr zur Verfügung, doch ihre Aufnahmen werden unter dem Namen Dr. Weller veröffentlicht. Weller bleibt auch Eigentümer der Negative. Fünf Monate arbeitet sie dort, erledigt Porträt- und Reklameaufträge, Außenaufnahmen und Reportagen und bekommt von ihrem Chef ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt.
Endlich selbständig, richtet sie sich in einer Atelierwohnung in der Nachodstraße 25 in Wilmersdorf ein. Wie auch Seidenstücker zieht es sie auf die Straße und in den Berliner Alltag, wo sie etwa am Alexanderplatz Straßenbauer fotografiert. Doch anders als der Autodidakt Seidenstücker ist sie geschult im „Neuen Sehen“, nimmt die Menschen und ihre Stadt aus ungewöhnlichen Perspektiven auf, wählt abstrahierende Bildausschnitte und nutzt Licht und Schatten zur Inszenierung. Etwa wenn sie aus dem vierten Stock auf die Starnberger Straße blickt, wo die langen Schatten dreier Kinder sich mit dem ei-nes einzelnen Taxis verbinden und eine Litfaßsäule exakt die Schattenkante markiert. In einer zweiten Aufnahme dreht sie die Kamera noch ein wenig nach links, zur Sonne hin: Randsteine und Fahrspuren bilden ein grafisches Linienspiel, der Schatten eines Radfahrers ist größer als er selbst. Im Strandbad Wannsee tanzen braungebrannte junge Menschen in der Nachmittagssonne: Berliner Sommer vor der sich abzeichnenden politischen Katastrophe.
In Amsterdam nimmt Besnyö weiterhin Menschen auf den Straßen auf, und sie erschließt sich ein neues Arbeitsfeld: die Architekturfotografie. Sie fotografiert in Rundfunkgebäuden, in Schulen, auf Passagierschiffen, aber auch in Privathäusern. Wobei ihr mit dem Sommerhaus der Architekten Merkelbach & Karsten in Groet das perfekte Porträt gelingt. Sie lichtet nicht nur die architektonische Hülle des hellen kleinen Baus ab, sondern zeigt ihn in Nutzung, etwa wenn der Hausherr mit einem Freund entspannt auf dem Tagessofa liegt oder eine kleine Gesellschaft ungezwungen auf der Terrasse sitzt; es hat den Anschein, als habe Besnyö mit den Bewohnern im Haus gelebt und viel Zeit gehabt.
Mit dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande wird Besnyö wieder zur „Jüdin“, ein schwarzes „J“ im Pass macht Arbeiten und Reisen unmöglich. Sie geht in den Untergrund, hilft Pässe fälschen, fälscht ihre eigene Arisierungsurkunde und kann so überleben. Nach dem Krieg macht sie sich für das Medium Fotografie im Museum stark, organisiert Ausstel­lungen und wird spät in ihrem Leben zur Doku­mentaristin, wenn sie die Aktionen der Femi­nistin­nen­­gruppe „Dolle Mina“ fotografiert. 2003 stirbt Eva Besnyö in Amsterdam. In den Niederlanden gilt sie als Wegbereiterin der modernen Fotografie. Das Verdienst, Eva Besnyö in Deutschland zurück ans Licht gebracht zu haben, gebührt dem Verborgenen Museum, das sich seit 25 Jahren der Kunst von Frauen widmet. Gemeinsam mit der Berlinischen Galerie hat es die Ausstellung realisiert. Als Bereicherung sei jedem Besucher empfohlen, sich auch Zeit für die stilistisch vollkommen andersartigen Berlinaufnahmen Friedrich Seidenstückers zu nehmen; zusammen ergibt sich ein außergewöhnliches Stadtporträt. 

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