Bauwelt

Die ubiquitäre Stadt

Hype oder Blick in eine smarte Zukunft?

Text: Hatzelhoffer, Lena, Bonn

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U-City New Songdo in Incheon
Foto: TK\PR Public Relations

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Die ubiquitäre Stadt

Hype oder Blick in eine smarte Zukunft?

Text: Hatzelhoffer, Lena, Bonn

Werden unsere Städte U oder E, smart oder intelligent, Google oder Telekom? Und was soll das überhaupt heißen? Weltweit wird derzeit an sogenannten „ubiquitären Städten“ gebaut, in denen allgegenwärtige, unsichtbare Computernetze die Funktionen der Stadt steuern sollen.
„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieses Zitat, das unter anderen Oliver Twist und Albert Einstein zugeschrieben wird, gilt nicht nur für die Entwicklung der Städte, sondern auch für Vorhersagen zu den Wechselwirkungen von urbanem Raum und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), welche immer stärker unseren Alltag durchdringen. Die noch bis in die 90er Jahre hinein vorherrschende Auffassung, IKT führten zur Auflösung der Stadt, weil der spezifische Ort durch die Möglichkeiten der Technik seine Bedeutung verliere, ist heute überholt. Vielmehr geht man davon aus, dass sich IKT, Gesellschaft und Stadt wechselseitig beeinflussen und der Ort durch die Nutzung von Technik nicht obsolet wird, sondern sich eine neue Ebene der Stadt entwickelt. Die Annahme der „Auflösung der Städte“ wurde durch eine neue ersetzt, die in IKT ein zentrales Hilfsmittel oder, in technikdeterminiertem Sinne, sogar ein Allheilmittel sieht, um die städtische Zukunft zu meistern.
In der aktuellen Diskussion ist in diesem Zusammenhang von „U(biquitous)-City“ oder „Smart City“ die Rede. Die Begriffe umschreiben theoretische Konzepte und Stadtentwicklungsstrategien, in denen mit IKT auf die Herausforderungen, vor denen Städten heute stehen – rapide Verstädterung, Folgen der demographischen Entwicklung, verschärfter Wettbewerb untereinander –, reagiert werden soll. Die Formen, in denen IKT dabei im urbanen Raum eingesetzt wird, reichen von einfachen webbasierten Anwendungen, die den (stationären) Zugang zum Internet benötigen, bis zu „ubiquitären“ Technologien, also Technologien, die alle Lebensbereiche mittels Sensoren vernetzen.
Aber was bedeutet es, in einer Stadt zu leben, in der alles – von der Wohnungsausstattung bis hin zu Transportmitteln – durch Technik immer stärker vernetzt wird? Welches sind die Konsequenzen für den Alltag? Gibt es noch eine Privatsphäre im öffentlichen Raum? Kann man angesichts der zahlreichen Vorhaben, die derzeit weltweit mit IKT vorangetrieben werden, vielleicht schon von mehr als einem Trend sprechen, von einer Entwicklung hin zum Typus der „intelligenten“ Stadt? Welche Rolle spielt der kulturelle Kontext, in den diese Strategien eingebunden werden? Werden die groß angelegten U-City-Initiativen, die Südkorea den Ruf des Vorreiters auf diesem Gebiet eingebracht haben, künftig Vorbild für die Entwicklung der europäischen Städte sein?
Smart City, U-City: alles, überall, jederzeit?
„Intelligente“ Städte, die die Initiale „U“ oder das Wort „smart“ tragen, entstehen zurzeit weltweit. Stadtentwicklungsstrategien für diese Städte bedienen sich der IKT in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichem Verständnis der Wechselwirkung zwischen Techniknutzung und Gesellschaft. Die beiden Konzepte überschneiden sich häufig und werden nicht immer trennscharf verwendet.
In Anlehnung an das europaweite Forschungsprogramm „Smart Cities“ ist eine Stadt dann „smart“, wenn es ihr gelingt, durch Investitionen in IKT, Transportinfrastruktur sowie Sozial- und Humankapital eine nachhaltige Entwicklung anzustoßen. Sowohl die Lebens- als auch die Standortqualität sollen unter dem schonenden Einsatz von Ressourcen und durch die Partizipation von Bürgern erhöht und die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt gestärkt werden. Der theoretische Ansatz geht also eher von einer diffusen Fähigkeit als von einer konkreten Beschaffenheit der Stadt aus. Nur einige Beispiele von vielen möglichen praktischen IKT-Anwendungen sind Verkehrsleitsysteme, die das Entstehen von Staus verhindern helfen, intelligente Stromzähler, die Stromfresser identifizieren können, Weiterbildungsplattformen in Firmennetzwerken, die ein lebenslanges Lernen unterstützen oder E-Government-Portale, die Transparenz erhöhen und Bürgerbeteiligung ermöglichen.
Sogenannte U-City-Konzepte setzen vornehmlich auf die Implementierung ubiquitärer Technik beziehungsweise von Ubiquitous Computing – eine technische Vernetzung von nahezu allen Elementen im urbanen Raum. Sensoren, die in Gebäuden, der Infrastruktur und Gegenständen des Alltags eingebaut sind, nehmen Informationen auf, die über Funknetze weitergegeben werden. Diese technischen Lösungen interagieren selbstständig mit ihrer Umgebung. Die Schnittstelle Mensch, die bisher für die Bedienung technischer Geräte notwendig ist, rückt in den Hintergrund – ein Internet der Dinge entsteht. In U-Cities sollen IKT-Anwendungen jederzeit und an jedem Ort verfügbar sein und intelligent untereinander operieren. Ubiquitäre Technologien erhöhen das Maß, in dem Technik den Alltag durchdringt: alles, überall, zu jeder Zeit.
Smarte Werbung
Die Reaktionen auf die Vision der U-City sind gespalten. Einige Autoren und Projekte verstehen das U-Konzept als ein ganzheitliches im oben genannten Sinne einer Smart City – in ihren Augen operiert das System Stadt durch die Vernetzung in den einzelnen Lebensbereichen bereits „smart“. Andere sehen in U-Cities Technologie-Determinismus und mangelnden Lokalbezug unter primär wirtschaftlichen Interessen. Für sie sind U-Cities lediglich ein Schritt auf dem Weg zu einer wirklich „smarten“ Stadt.
In der Praxis betiteln Städte, Regionen oder Konzerne ihre Imagekampagnen, Produkte und Lösungen gerne mit Namen, in denen „U“ oder „smart“ vorkommt. Einige dieser Projekte bauen schwerpunktmäßig auf die Infrastrukturentwicklung (Bandbreite, WiFi-Netz). Prominente Beispiele hierfür sind Citynet in Amsterdam und Free WIFI in Springfield/USA. Andere konzentrieren sich auf die Industrie- und Clusterförderung, wie etwa das ICT-Toronto-Projekt. Manchmal steht die gezielte Entwicklung und Anwendung von technischen Lösungen für bestimmte Lebensbereiche einer Stadt im Vordergrund, zum Beispiel beim Verkehrsleitsystem in Stockholm oder bei E-Government-Lösungen in Singapur. Andernorts wird versucht, in einem ganzheitlichen Ansatz alle diese Elemente einzubeziehen, wie es im finnischen Tampere oder hierzulande in der T-City Friedrichshafen geschieht. In Asien werden ganze Städte errichtet, in denen der U-Technologieausbau vorangetrieben wird – New Songdo City in Südkorea oder I-City in Malaysia gehören in diese Kategorie.
Auch die Akteure sind sehr verschieden. Auf der einen Seite sind die Projekte in nationale und/oder in Stadt- und Regionalentwicklungsprogramme eingebettet; auf der anderen Seite werden sie von Unternehmen initiiert und in Form von Privat-Public-Partnerships durchgeführt. Oft kommt es auch zu Mischformen und Überlagerungen. Auffallend ist, dass der Staat in asiatischen Ländern bei der IKT-Entwicklung (z.B. die Programme U-Japan und U-Korea) und dem Vorantreiben von Smart-City-Initiativen eine große Rolle spielt. In der westlichen Welt, so scheint es, tritt öfter die Privatwirtschaft als Initiator eines Projektes auf: Die Stadt Topeka/USA wurde im Zuge eines Wettbewerbs um den Breitbandinfrastrukturausbau des Konzerns Google eine „Google City“, die T-City Friedrichshafen wurde durch die Deutsche Telekom ins Leben gerufen, und Birmingham konnte sich aufgrund einer Initiative der British Telecom als erste Stadt Großbritanniens „BT Wireless City“ nennen.
U-Life in U-Korea: Totale Überwachung oder totaler Fortschritt?
In Asien werden IKT-Konzepte in gigantischem Maßstab umgesetzt. Ein Beispiel für asiatische Superlative ist New Songdo City in Südkorea – ein U-City-Projekt, das im Rahmen der U-Korea-Initiative gestartet wurde. New Songdo City wurde auf dem Reissbrett geplant (Masterplan: Kohn Pedersen Fox). Die 65.000-Einwohner-Stadt soll bis 2015 fertiggestellt sein. Ubiquitäre Technik soll hier einen urbanen Raum schaffen, in dem jeder Bürger zu jeder Zeit, von jedem Ort aus und mittels verschiedenster Geräte auf Informationen zugreifen bzw. diese weitergeben kann. Das U-City-Projekt New Songdo hat sich „umfassende Nachhaltigkeit“ und eine „hohe Lebensqualität“ auf die Fahnen geschrieben. Neben der Technik sollen dazu „analoge“ Elemente wie Grünflächen und Plätze beitragen.
Doch wie wird das sogenannte U-Life für die Bewohner in New Songdo aussehen? Der U-Bürger wird mit Hilfe eines Chips sein komplettes Umfeld bedienen können: seine Haustür aufschließen, sein Auto starten oder im Supermarkt bezahlen. Zuvor hat der Kühlschrank ihm oder dem Supermarkt schon gemeldet, dass die Milch ausgegangen ist. Ältere, die lange selbstständig in ihrer Wohnung leben möchten, können sich auf ein feines Vitalsensoriknetzwerk verlassen. Es ist im Fußboden und in anderen Gegenständen ihres Zuhause eingebaut und erkennt Not- und Risikosituationen, z.B. bei einem Sturz. Und niemand muss sich am Abend auf der Straße unsicher fühlen: In New Songdo werden alle Straßen und Plätze per Kamera- und Sensorsystem überwacht.
Aus westlicher Sicht kommen einem bei solchen Szenarien schnell Bedenken. Wie kann ein Mensch in einer Stadt leben, in der er zum gläsernen Bürger wird? Vor dem Hintergrund der in Deutschland geführten Debatte um Sicherheit und Überwachung in öffentlichen Räumen ist die Umsetzung einer Vision, wie New Songdo sie repräsentiert, bisher unvorstellbar. In Südkorea – einem Land, in dem die Nutzung von Breitband- und Netzwerktechnologien zum Alltag gehört und sich eine spezifische Kultur des Computing und des Konsums digitaler Medien herausgebildet hat – stellen sich diese Bedenken nicht ein. Dies lässt sich auch mit dem koreanischen Verständnis von Öffentlichem und Privatem erklären: Das Individuelle wird in Korea nicht über das kollektive Interesse und Wohl gestellt – das Opponieren gegen Entwicklungsmaßnahmen wie im Bereich der IKT, die dem Staat und dem öffentlichen Interesse dienen, ist in der koreanischen Gesellschaft nicht stark verankert. In der Öffentlichkeit koreanischer Städte wird wenig Privatheit erwartet.
In New Songdo sind die Glasfaserkabel bereits verlegt und 22.000 Bewohner schon eingezogen, während die meisten U-Technologielösungen noch entwickelt werden. Wie deren Nutzung  im Detail aussehen wird und welche digitale Kultur urbaner Bürger hier entsteht, ist ab 2015 zu erforschen. Um Erfolg zu haben, muss sich das Geschäftsmodell U-City allerdings auch finanziell rechnen: Das Produkt „New Songdo“ wurde bereits nach Algerien verkauft, wo noch in diesem Jahr die U-City Buinan fertiggestellt werden soll.
T-Life in T-City? Die Friedrichshafener sind skeptisch
Auch in europäischen Städten wird versucht, durch den Einsatz von IKT urbane Qualitäten zu erhöhen und Wettbewerbsvorteile zu sichern. Da sowohl die gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen als auch die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Weiterentwicklung der digitalen Lebenswelt und der Durchführung staatlich initiierter Megaprojekte andere sind, erfolgt die Umsetzung in einem anderen Maßstab als bei den asiatischen Counterparts. Europäisches Vorzeigebeispiel ist hier die T-City Friedrichshafen, ein in Deutschland einmaliges Smart-City-Projekt. Im Jahr 2007 gewann die Stadt am Bodensee den bundesweiten Städtewettbewerb T-City, den die Deutsche Telekom ausgeschrieben hatte. Insgesamt hatten sich 52 Städte und Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 25.000 und 100.000 beworben. Arnsberg, Coburg, Frankfurt (Oder), Friedrichshafen, Görlitz, Kaiserslautern, Kamp-Lintfort, Neuruppin, Osterholz-Scharmbeck und Schwäbisch-Hall kamen in die Endrunde. Das Ziel des Projekts ist es, während der Laufzeit von fünf Jahren zu demonstrieren, wie mit der Entwicklung und Anwendung innovativer IKT-Lösungen und in Zusammenarbeit mit der gesamten Stadtgesellschaft die Lebens- und Standortqualität erhöht werden kann.
Neben dem bereits 2007 abgeschlossenen Ausbau der Breitbandinfrastruktur im Festnetz und Mobilfunk werden Einzelprojekte – in Wirtschaft, Verwaltung, Gesundheit, Kultur, Verkehr und Bildung – durchgeführt. Da geht es z.B. um Telemedizinanwendungen, die es Herzinsuffizienzpatienten erlauben, ihre Vitaldaten per Internet an das betreuende Krankenhaus zu übermitteln, um eine interaktive Lernplattform, auf der Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt werden, oder auch um eine intelligente Hausvernetzung, mit der z.B. Beleuchtung und Heizung über ein Smartphone gesteuert werden können. Elemente des U-Computing – zum Beispiel die Entwicklung von Location-Based-Services – tauchen in T-City eher am Rande auf. Dieses mag am Stand der technischen Entwicklung liegen, aber auch an einer mangelnden Akzeptanz der Vision einer ubiquitären Stadt, die in europäische Augen doch eher abschreckend wirkt.
In rund vier Jahren wurden über 40 Einzelprojekte durchgeführt. Die Begeisterung der Bürger hält sich insgesamt jedoch in Grenzen. Das Projekt sieht sich mehreren Herausforderungen gegenüber: Friedrichshafen ist bereits eine Stadt mit einer hohen Lebensqualität, die zu steigern es einiges bedarf. Ein weiterer Punkt ist, dass die technischen Innovationen in dem durchaus nutzbringenden Projekt für die Bürger häufig nicht sichtbar sind. Das erschwert die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit. Zudem sind viele Einzelprojekte nur auf eine bestimmte Zielgruppen zugeschnitten. Anwender der Pilotprojekte bewerten die Gesamtidee deutlich positiver als Nichtnutzer. Allerdings vermissen viele Bürger ein überraschendes Moment in den Projekten. New Songdo würde die Friedrichshafener vielleicht in Staunen versetzen, doch wären sie bereit, an einem Ort der totalen Vernetzung zu leben, wo jede Bewegung – selbst der Gang zum Bäcker – einen digitaler Fußabdruck hinterlässt? Auch wenn die Friedrichshafener IKT durchaus als Hilfsmittel im Alltag erfahren, bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber der Technik(vernetzung). Für viele ist Datenschutz ein Thema, und sie reagieren mit einer vorsichtigen, misstrauischen oder gar fatalistischen Haltung auf neue Technologien. Die Bereitschaft, mit IKT eine Protokollierung jeglicher Alltagsaktivitäten zu dulden, ist gering.
Smarte Räume – smarte Träume?
So wie sich kulturelle Ideale und Normen einer Gesellschaft in Stadt und Urbanität ausdrücken, so spiegeln sie sich auch beim IKT-Gebrauch im urbanen Raum wider. Jede Stadt tickt anders, da ihre (Stadt-)Gesellschaft anders tickt. Die Eigen­logik von Städten beeinflusst auch die Einflechtung von IKT in deren unterschiedliche Lebensbereiche. New Songdo, eine Stadt, die technisch derart vernetzt ist, dass Objekte selbstständig „smart“ miteinander agieren, ist, mit westlichen Augen betrachtet, eine faszinierende wie beängstigende Stadtvision zugleich. Doch auch solch eine Stadt kann durch den Einsatz von IKT nur „smart“ werden, wenn die technisch-offenherzigen Koreaner die Ideen des Projekts akzeptieren. New Songdo wird ab 2015 zeigen, wie die Realität einer U-City aussieht.
Ist die ubiquitär Stadt also nur ein Hype, der sich auflösen wird wie die These von der Auflösung der Stadt oder stellt sie die Zukunft unserer Städte dar? Sicher ist: Die technische Vernetzung ist aus unseren Städten schon jetzt nicht mehr wegzudenken. Bestimmte Elemente einer hochvernetzten U-City werden mit der Zeit sicherlich auch in der westlichen Welt stärker auftreten – die Stadt als Ort der Veränderung wird hierbei nicht technikdeterminiert reagieren, sondern durch das lokale Wechselspiel von Gesellschaft und Technik geformt werden.

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