Bauwelt

Devisenbeschaffungs­programm Kirchenbau

Kirchenneubau im sozialistischen Deutschland? Gar nicht so selten, wie man annehmen möchte. In der Spätphase der DDR wurden im Rahmen eines „Valuta-Sonderbauprogramms“ landesweit eine ganze Reihe neuer Kirchen errichtet, in Leipzig außer der katholischen Propsteikirche St. Trinitatis in der Emil-Fuchs-Straße die evangelische Paulus- und die katholische St. Martin-Kirche in der Großsiedlung Grünau. Mit diesen Bauten, die die bundesdeutschen Kirchen finanzierten, akquirierte die Staatsführung nicht nur dringend benötigte Devisen, sie versuchte auch, das angespannte Verhältnis zu den Kirchen zu befrieden. Allzusehr nach Sakralbau aussehen sollten die neuen Gotteshäuser allerdings nicht.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Titel des 1969 im Leipziger St.Benno-Verlag erschienen Buches „Kirchbau heute“, mit einem Baustellen­foto der St.Gabriel-Kirche in Wiederitzsch

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    Titel des 1969 im Leipziger St.Benno-Verlag erschienen Buches „Kirchbau heute“, mit einem Baustellen­foto der St.Gabriel-Kirche in Wiederitzsch

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    Katholische St.Gabriel-Kirche, 1968–70, in Wiederitzsch (1999 nach Leipzig eingemeindet), Architekt: Peter Weeck.
    Fotos: Archiv Knut Mueller

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    Katholische St.Gabriel-Kirche, 1968–70, in Wiederitzsch (1999 nach Leipzig eingemeindet), Architekt: Peter Weeck.

    Fotos: Archiv Knut Mueller

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    Foto: Harald Kirschner

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    Ev.-luth. Pauluskirche, 1981–83, in Leipzig-Grünau, Architekten: Gerhart Pasch, Rainer Ilg
    Foto: Harald Kirschner

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    Ev.-luth. Pauluskirche, 1981–83, in Leipzig-Grünau, Architekten: Gerhart Pasch, Rainer Ilg

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    Kath. St. Martin-Kirche, 1983–85, in Leipzig-Grünau, Architekten: Manfred Fasold, Dieter Hantzsche
    Foto: Harald Kirschner

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    Kath. St. Martin-Kirche, 1983–85, in Leipzig-Grünau, Architekten: Manfred Fasold, Dieter Hantzsche

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Devisenbeschaffungs­programm Kirchenbau

Kirchenneubau im sozialistischen Deutschland? Gar nicht so selten, wie man annehmen möchte. In der Spätphase der DDR wurden im Rahmen eines „Valuta-Sonderbauprogramms“ landesweit eine ganze Reihe neuer Kirchen errichtet, in Leipzig außer der katholischen Propsteikirche St. Trinitatis in der Emil-Fuchs-Straße die evangelische Paulus- und die katholische St. Martin-Kirche in der Großsiedlung Grünau. Mit diesen Bauten, die die bundesdeutschen Kirchen finanzierten, akquirierte die Staatsführung nicht nur dringend benötigte Devisen, sie versuchte auch, das angespannte Verhältnis zu den Kirchen zu befrieden. Allzusehr nach Sakralbau aussehen sollten die neuen Gotteshäuser allerdings nicht.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Mitteldeutschland ist Kernland der Reformation, bei Gründung der DDR waren rund 80,5 Prozent der Bevölkerung protestantisch (11 Prozent katholisch). Trotz der vielfältigen Versuche der sozialistischen Staatsführung, den kirchlichen Einfluss zurückzudrängen, war in den siebziger Jahren noch immer jeder zweite DDR-Bürger Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche. Diese betrieb rund 2200 soziale Einrichtungen im Land (Krankenhäuser, Altersheime, Pflegestationen usw.) und erwartete als Gegenleistung für die diakonische Arbeit einen angemessenen Spielraum, damit ihre Mitglieder ihren Glauben weiter in der Praxis ausüben können.

D-Mark

Erich Honecker führte Anfang der siebziger Jahre ein umfangreiches Sozialprogramm ein – mit Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen, Ausbau der Kinderbetreuung und des Erholungswesens –, dessen Kernstück das staatliche Wohnungsbauprogramm war. Das Sozialprogramm verteuerte die Arbeitskraft in der DDR enorm, was den Export erschwerte und damit die Möglichkeiten reduzierte, die dringend benötigten Devisen einzunehmen. Als eine von mehreren Maßnahmen, mit denen Außenhandelsbilanz und Devisen-Zugang verbessert werden sollten, initiierte das SED-Regime verschiedene, als „Inlandsexport“ deklarierte Valuta-Sonderbauprogramme. In deren Rahmen konnten kirchliche Baumaßnahmen über das zum Schalck-Golodkowski-Imperium gehörende Außenhandelsunternehmen „Limex Bau-Export-Import“ abwickelt werden – mit Westgeld, das von den bundesdeutschen Kirchen kam.
Waren es in den späten sechziger Jahren die politisch motivierten Kirchenabrisse gewesen – Leipziger Universitätskirche, Potsdamer Garnisonkirche u.a. –, die zu heftigen Protesten führten, hatte sich inzwischen der ruinöse Zustand vieler Kirchen in der DDR zum Politikum entwickelt. So sollte das erste, 1973 aufgelegte Valuta-Sonderbauprogramm neben Erweiterungsbauten für kirchliche Gesundheitseinrichtungen gezielt die Instandhaltung und Restaurierung historisch wertvoller oder für das Stadtbild wichtiger Kirchen fördern. Die evangelisch-lutherische Kirche war zu dieser Zeit weniger an neuen innerstädtischen Symbolbauten als vielmehr an kleineren, dezentralen Gemeindezentren interessiert. Denn während das Regime in der Schule und in den verschiedenen Massenorganisationen den ideologischen Zugriff auf die nachwachsende Generation hatte, kam die Kirche wegen der Umzüge vieler junger Familien in die Plattenbaugebiete am Stadtrand immer weniger mit Kindern und Jugendlichen in Berührung. Seit Ulbrichts Eisenhüttenstädter „Turmrede“ (1953) galt die Devise: In sozialistischen Planstädten und Neubauarealen werden grundsätzlich keine Gotteshäuser („bürgerlich-kapitalistische Verdummungseinrichtungen“) gebaut. Die evangelische Kirche sah sich in der Religionsausübung und ihrer Nachwuchsarbeit massiv behindert und übergab dem Ministerrat der DDR im Juli 1974 eine Liste mit 35 landesweiten Neubauvorhaben, meist Kombinationen aus Gottesdienst- und Gemeinderäumen mit Pfarrwohnungen. Um „eine Ausweitung der kirchlichen Tätigkeit nicht zuzulassen“, lehnte der Ministerrat 27 der Vorhaben auf der Stelle ab, bei sieben wurde die Entscheidung vertagt, nur einen Neubau genehmigte man.

Kirchen für neue Städte

Auch ein von der Kirche geforderter erster Kirchenbau für die damals schon knapp 70.000 Einwohner zählende Planstadt Halle-Neustadt wurde mit dem Hinweis auf „genügend zumutbare Ausweichmöglichkeiten“ in der Altstadt abgelehnt. Tatsächlich praktizierten die Kirchen mit Jugendarbeit, Dia-Vorträgen, Buchlesungen und Akademiker-Abenden viele offene Formen des Gemeindelebens, zu denen es in den Plattenbaugebieten mangels kultureller Folgeeinrichtungen kein sozialistisches Konkurrenzprogramm gab. Weil der Kirche die offiziellen Räumlichkeiten fehlten, fand das Gemeindeleben jedoch zunehmend in Privatwohnungen statt, in Form von „Hauskreisen“. Diese waren für die staatlichen Organe aber noch „unübersichtlicher“ – wie es in internen Unterlagen hieß – als Veranstaltungen in regulären Kirchenbauten.
So beschloss der Ministerrat der DDR im Februar 1975 das Valuta-Sonderbauprogramm auf Neubauten auszudehnen und setzte als erstes wichtiges Projekt ein neues katholisches Gemeindezentrum für Leipzig auf die Agenda (siehe Seite 24). Im August desselben Jahres unterschrieb Erich Honecker in Helsinki die KSZE-Schlussakte und damit auch die „Achtung der Religions- und Überzeugungsfreiheit“. Wie prekär die Situation der Kirchen in der DDR jedoch tatsächlich war, das rückte durch die Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976 in Zeitz in den Fokus der Öffentlichkeit. Infolge des enormen internationalen Drucks sah sich die SED-Führung gezwungen, eine andere Linie einzuschlagen. Sie gestattete dem Bund der Evangelischen Kirchen ab 1978 im Rahmen eines neuen, erweiterten Valuta-Sonderbauprogramms mit dem Titel „Kirchen für neue Städte“ in den Plan- und Trabantenstädten insgesamt 55 Neubauten zu errichten (vor allem Kirchen und Gemeindehäuser, jedoch keine Kindergärten) und initiierte dazu ein paralleles Programm für die katholische Kirche. Das erste Projekt war ein neues Gemeindezentrum für die evangelische Friedenskirchengemeinde in Eisenhüttenstadt (1978–81) – jahrzehntelang hatte in der ersten sozialistischen Planstadt der DDR für Gottesdienste erst nur ein Bauwagen, später dann eine Baracke zur Verfügung gestanden.

Industrielle Fertigteile

Die Leitlinien für den Kirchenneubau, die anfänglich auch beim Valuta-Sonderbauprogramm konsequent verfolgt wurden, stammten noch aus der Ulbricht-Zeit: Seit den späten 50er Jahren waren eindeutig als Gotteshaus erkennbare Gebäudeformen, bauliche Monumentalität und im Zusammenhang mit der Diskussion über die Dominanten des sozialistischen Städtebaus auch Glockentürme strikte Tabus. Auf dieser Grundlage waren jahrzehntelang unzählige Projekte abgelehnt worden. Für die römisch-katholische St. Gabrielskirche (1968–70) in Wiederitzsch (später nach Leipzig eingemeindet) entwickelten der Hallenser Architekt Peter Weeck und der Dresdner Bildhauer Friedrich Press ein gestalterisch überzeugendes Konzept, das – weil es die damals offiziell erwünschte Architekturlinie bediente, möglichst viele serielle Bauteile zu verwenden und diese mit baubezogener Kunst zu „sozialistischen“ Gesamtkunstwerken zu kombinieren – die zuständigen Genehmigungsbehörden passierte.
In Anlehnung an das beim Kirchenbau im Westen damals beliebte Zelt-Motiv entwarf Weeck ein unauffälliges, turmloses Gebäude mit einem Dach aus den HP-Schalen des Hallenser Bauingenieurs Herbert Müller, die ursprünglich für den Industriebau gedacht waren (Bauwelt  33.2014). Die klare Lichtführung, mit Tageslicht von der Seite, und die von Press zum Thema „Der wiederkommende Christus“ plastisch durchgestalteten Klinkerwände verleihen dem Innenraum eine eindrucksvolle sakrale Stimmung. St. Gabriel in Wiederitzsch wurde – weil Architekt und Künstler die systemimmanenten Rahmenbedingungen in eine überzeugende neue Form umgesetzt hatten – im ansonsten überaus kritischen Standardwerk „Kirchbau heute“ (Leipzig, 1969) ausführlich vorgestellt und in den höchsten Tönen gelobt: „Hier wird mit den neuesten Elementen der Bauindustrie der DDR ein moderner Kirchenbau geschaffen, eine Bauplastik, die ihresgleichen in unserem Raume nicht hat.“ Ein Foto des Rohbaus, auf dem die Fertigteil-Dachkonstruktion gut zur Geltung kommt, schaffte es als Ausdruck der aktuellen gestalterischen Linie des DDR-Kirchenbaus sogar auf den Buchtitel.
Im Zuge des Sonderbauprogramms „Kirchen für neue Städte“ drängte die evangelische Kirche auch auf einen raschen Neubau in der seit 1976 rasant wachsenden, für insgesamt 100.000 Bewohner ausgelegten Trabantenstadt Leipzig-Grünau, neben Berlin-Marzahn und Halle-Neustadt das größte Neubaugebiet der DDR. Dort waren die städtebaulichen Planungen jedoch bereits seit langem abgeschlossen, ohne potenzielle Kirchenstandorte, versteht sich. Das Büro des Chefarchitekten unterbreitete der Kirche Vorschläge für acht verschiedene Standorte, die sich alle an den Rändern der Siedlung befanden. Zwar war das Zentrum von Grünau zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich unbebaut, für ein kirchliches Bauvorhaben kam es aber keinesfalls in Frage.

Neues in der Turmfrage

Sich der nach wie vor engen gestalterischen Grenzen bewusst, in der sie agieren konnte, wählte die evangelisch-lutherische Kirche ein im Westen der Großwohnsiedlung gelegenes Grundstück. Die Planung der Grünauer Pauluskirche (1981–83) übernahmen die Architekten Gerhart Pasch und Rainer Ilg vom Büro für Baupflege des Regionalkirchenamts Leipzig. Sie konzipierten einen unauffälligen Gebäudekomplex mit abgewalmter Dachkonstruktion, die einen visuellen Übergang zur benachbarten, deutlich älteren Eigenheimsiedlung schafft. Daneben platzierte Pasch einen frei stehenden Glockenturm, in dem die Glocken der 1978 im Zuge des Braunkohleabbaus abgerissenen Magdeborner Kirche aufgehängt wurden. Mit der Genehmigung des Propsteikirchen-Turms (siehe Seite 25) war das Turmverbot de facto gefallen. Der Campanile der Pauluskirche fiel im Kontext der 6- bis 11-geschossigen Plattenbauten kaum auf, gab dem mehrteiligen Ensemble jedoch – trotz der eher an ein Wohnhaus erinnernden Form des Gebäudes – das unverwechselbare Äußere einer Kirche. Ein Innenhof und eine Reihe großer Fenster verflochten das Gemeindezentrum mit den Freiflächen der Siedlung. Das eingeschossige Hauptgebäude wurde in traditioneller Bauweise aus Ziegelmauerwerk und mit einem zum Innenraum offenen, hölzernen Dachstuhl errichtet. Die Raumdisposition begünstigt flexible Nutzungen: Bei Großveranstaltungen etwa finden – nach Zusammenkoppeln der Räume – bis zu 300 Besucher Platz. Die Grünauer Pauluskirche ist ein Kirchentypus, der sich bescheiden gibt, aber doch christliche Präsenz sichtbar macht.

Ohne Zweifel ein Sakralbau

Nach Fertigstellung der Pauluskirche wurde in unmittelbarer Nachbarschaft die katholische St. Martin-Kirche (1983–85) gebaut. Das Gemeindezentrum, projektiert von der Dresdner Außenstelle der Bauakademie der DDR unter Leitung der Architekten Manfred Fasold und Dieter Hantzsche, wirkt mit seinem zu einer Gebäudeecke hin steil ansteigenden Dach im Vergleich zu den bisherigen Kirchenbauten der DDR-Zeit schon fast wieder monumental. Dem zentral angeordneten Kirchenraum ordnen sich alle anderen Räume funktional und architektonisch unter; im Kirchensaal ist alles auf den von senkrechten Lichtbändern gerahmten Altarbereich ausgerichtet, was dem Raum einen dezidiert sakralen Charakter verleiht. Seitlich schließen sich Bereiche für den Chor und die Orgel sowie eine Werktagskapelle an. Ein großes Foyer, das auch Platz für Ausstellungen bietet, verbindet den Saal mit den übrigen Gemeinde-, Gruppen- und Wohnräumen. Eigentlich „nur“ ein Gemeindezentrum, markiert die Pfarrkirche St. Martin in Leipzig den ersten Schritt der katholischen Kirche hin zu städtebaulich wieder dominanteren Bauten. Das Valuta-Sonderbauprogramm „Kirchen für neue Städte“ ermöglichte in seiner Spätphase – innerhalb bestimmter Grenzen – auch in der DDR wieder zeichenhafte Sakralbauten.

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