Bauwelt

Bücher als Nährboden

Interview mit Thilo Folkerts

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Bücher als Nährboden

Interview mit Thilo Folkerts

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Seit zehn Jahren findet im Norden der kanadischen Provinz Quebec das Festival „Jardins des Métis“ statt. In diesem Jahr haben der Landschaftsarchitekt Thilo Folkerts und der Künstler Rodney LaTourelle dort aus Büchern einen „Garten der Erkenntnis“ angelegt.
Wie seid ihr dazu gekommen, in einer Klimazone, die nur von Juni bis Oktober schneefrei ist, einen Garten anzulegen?

Thilo Folkerts und Rodney LaTourelle | Grand-Métis ist eine Sommerfrische etwa sechs Autostunden nördlich von Montreal. Die Saison ist kurz, doch sobald die Tage länger werden, explodiert die Natur förmlich. Ein Schwerpunkt des Gartenfestivals in diesem Jahr war Berlin. Bei einem Berlinbesuch hat die künstlerische Direktorin Emmanuelle Viera Landschaftsarchitekten angesprochen und drei Büros eingeladen, darunter uns, die wir beide eine starke Affinität zum Arbeitsbereich des anderen haben und hier erstmals kooperieren. Auch Topotek 1 und relais Landschaftsarchitekten sind eingeladen. Atelier le balto hat dort bereits vor zwei Jahren einen Garten realisiert, den der Künstler Kai Schiemenz dieses Jahr ergänzt hat.
 
Wie viele Gärten sind zu besuchen?
Es gibt die historische Anlage der Gartenpionierin Elsie Reford und das Festivalgelände mit etwa 25 Gärten. Manche sind für eine Saison angelegt, andere bestehen schon seit zehn Jahren. Sie liegen in einem Gartenband oder im Wald. Für unser Projekt war die direkte Beziehung zum Wald sehr wichtig.
 
Euer Material sind Bücher, die wenden sich gemeinhin an den Geist. Hier sind sie jedoch eher physische Nahrung: Ihr siedelt auf ihnen Speisepilze an. Welche Erkenntnis lässt sich daraus gewinnen?

Das Thema des diesjährigen Festivals heißt „Paradies“, was ein bisschen banal ist, aber auch herausfordernd. Unser Ansatz war es, mit einem sich verändernden, nicht pflanzlichen Material zu arbeiten. Und deshalb setzen wir Papier ein. Uns interessierte dabei vor allem die Transformation von Büchern, als Darstellung der Verhältnisse Mensch–Natur oder Kultur –Natur. Bücher sind ein Kulturgut, von dem man sagt, es sei ewig. Dabei haben auch sie eine beschränkte Zeit – wie Pflanzen von der Saat über die Blüte zum Sterben.
 
Spannend ist in der Tat, dass die verwendeten Bücher schon jahrelang als Ausschuss herumlagen und man auf einen Anstieg des Altpapierpreises wartete.

Natürlich gibt es ausgemusterte Bücher, die irgend­wo lagern und entsorgt werden müssen. Das ist verstecktes Wissen und vielleicht auch ein Teil der Faszination dieses Gartens: Die Besucher sind hier konfrontiert mit dem Büchertod. Wir haben versucht, den Prozess der Transition, des Verfalls zu ästhetisieren, spürbar zu machen und die Besucher emotional zu involvieren. Wie bei einer Rose, die aufblüht und einen Moment der Schönheit erzeugt, der dann vergeht.
 
Ihr bleibt nicht beim Buch, sondern fügt Pilze hinzu.

Wir wollten Organismen einsetzen, die das Konzept unterstützen und nicht nur Dekoration sind, sondern etwas, das sich tatsächlich mit Büchern vereint. Und Pilze verbrauchen Zellulose, so einfach ist das. Mit Vorkulturen werden Speisepilze angesetzt, die dann die Bücher quasi aufessen werden. Pilze sind faszinierende Gewächse. Sie bestehen aus den so genannten Fruchtkörpern und dem Myzel, das Pilzgeflecht, dassich weit verbreitet und, je nach Temperatur und Feuchtigkeit, schlagartig agiert. „Wie die Pilze schießen“ bezeichnet den Moment, wenn die gesamte Kraft des Pilzgeflechts Wasser in die Fruchtkörper pumpt.
 
Als Gegensatz dazu erscheint der Bezug auf den Konstruktivismus, die Raumbildung und die Primärfarben.

Uns geht es auch um Raum. Die drei Entwurfselemente sind die Bücher, als Träger des Transformationsprozesses, die Pilze, die ihn überhöhen, und die farbigen Holzbretter dazwischen, die einerseits kon­struktiv stabilisieren, andererseits eine Art Zeitmesser bilden. Sie werden sich wenig verändern, im Gegensatz zu den Büchern, die irgendwann ein rauer und zerfallener Haufen sein werden. Zuvor aber haben Besucher dieses Gartenzimmers etwa Liebesbezeugungen auf die Bücher gezeichnet oder Schulbücher wieder erkannt. Eine schöne Erfahrung, wie reichhaltig die Reaktionen auf den Garten sind.
Fakten
Architekten Folkerts, Thilo, Berlin
aus Bauwelt 35.2010
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