Bauwelt

Architektenmöbel

Nur schön oder auch bequem?

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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© Fontana Arte, Aino Huovio, www.bilderbuch-koeln.de

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Architektenmöbel

Nur schön oder auch bequem?

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Mit der Ausstellung „Von Aalto bis Zumthor: Architektenmöbel“ im Museum für Angewandte Kunst Köln liefert die Stadt in diesem Jahr endlich den lange vermissten kulturellen Beitrag zur Internationalen Möbelmesse.
Der Architekt sei ein Generalist, behauptet die Kuratorin beim Presserundgang euphorisch. Erfreulich, dass zumindest die Kunstgeschichte ihn, der sich zuweilen zwischen Juristerei und Bauphysik verloren sieht, als einen würdigt, der einer Idee umfassend Gestalt geben kann. Genau das veranschaulicht die Ausstellung. Unvermeidlich wetterleuchten da große Namen aus Vergangenheit und Gegenwart: Le Cor­busier und Egon Eiermann,  Daniel Libeskind und Zaha Hadid, wohl als Anreiz für das interessierte Publikum gedacht. Dabei besitzt das Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK), das einzige seiner Art in Nordrhein-Westfalen, ganze Zimmerausstattungen, die selten gezeigt werden – obwohl sie so aufschlussreich sind. Zum Beispiel ein Speisezimmer des Heilbronner Architekten und Oberbürgermeisters Emil Beutinger (1875–1957) von 1903/04. Das sieht zwar etwas behäbig aus, nimmt aber die später aufkommende Forderung nach Funktionalität bei Möbeln vorweg: mit einem Umbausofa, ausgeklügelt unterteilten Schränken und einem ausklappbaren Tisch. Diese Art der Optimierung war in den USA damals schon weiter fortgeschritten, wie der Schreibtisch mit angedocktem Drehsitz und Formularablagen zeigt, den Frank Lloyd Wright 1904 für ein Großraumbüro kon­zipierte.

Die verschiedenen Freischwinger von Marcel Breuer, Mart Stam und Ludwig Mies van der Rohe, die konstruktiv exhibitionistischen Möbel von Gerrit Rietveld und daneben Speisezimmer von Richard Riemerschmid (1868–1957), Karl Bertsch (1873–1933) und Bruno Paul (1874–1968), von denen aus Platzmangel nur Einzelstücke als Pars per Toto zu sehen sind – sie repräsentieren die klassische Moderne und verdeutlichen, dass eine Ästhetik, die anstelle aufwändiger Formen Materialien schätzte, vom Bürgertum durchaus goutiert wurde. Im zentralen Raum des Museums, das Rudolf Schwarz und Josef Bernhard vor mehr als fünfzig Jahren bauten, stehen die Trouvaillen der Gegenwart. Nur selten sind sie für ein bestimmtes Bauwerk entworfen; eine Ausnahme: die Bank der Berliner Krüger Schuberth Vandreike für ihr Museum in Bozen, mit der sie die dort üblichen Parkbänke mit den Materialien Aluminium und Filz neu interpretieren. Andere, wie etwa der organisch geformte Sessel des Franzosen Marc Held (geb. 1932) oder der Tisch auf Rädern der Italienerin Gae Aulenti (geb. 1927), zeugen von der unbekümmerten Lust der 60er und 70er Jahre an Form und Bewegung.

Entwerfen Architekten anders als Produktdesigner? Diese Frage provoziert die Ausstellung unwillkürlich, beantwortet sie aber nur unvollkommen. Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es in Deutschland keine eigenständige Design-Ausbildung, in Italien ist Produktgestaltung bis heute Teil des Architekturstudiums. Sicherlich berücksichtigen Produktdesigner stärker Fertigungsabläufe, Vertriebsanforderungen und Kostenkalkulationen, wohingegen Architekten in erster Linie Mobiliar entwerfen, um eigene Raumideen zu vervollkommnen.
 
So auch Oswald Mathias Ungers (1926–2007). Das Ungers-Archiv stellt auf Anregung des MAKK unter dem Titel „Die Architektonik des Möbels“ ausgewählte Möbel von Ungers aus. Dafür ist ausnahmsweise der Sitz des Archivs öffentlich zugänglich: das einstige Wohnhaus des Architekten aus dem Jahr 1958, das er durch den Anbau einer Bibliothek 1989 und nach seinem Auszug fünf Jahre später zum Mittelpunkt seiner beruflichen Existenz formte. Der Untertitel der Ausstellung „Möbel von O.M. Ungers seit 1950“ verspricht zuviel, denn ein charmant gealterter Sessel in Form eines Kubus von 1960 ist das einzige historische Möbel. Spannend nachzuvollziehen ist freilich die Entwicklung des Stuhls „Leonardo“, zu dem Ungers durch Leonardos berühmte Zeichnung „Der vitruvianische Mensch“ inspiriert wurde. Mehr als zehn Jahre lang variierte er das Profil der halbkreisförmigen Rücken- und Armlehne.
Wie bei kaum einem anderen Architekten stand für Ungers die unbedingte formale Homogenität seiner Bauten und Möbel im Vordergrund. Den Wunsch nach Wohnlichkeit verwehrte er mit Blick auf sein letztes Wohnhaus: „Wir werden es auch erleiden müssen, denn das ist Teil einer Architektur, die auch und gerade um ihrer selbst willen existiert.“ Dieses „Haus ohne Eigenschaften“ wird in naher Zukunft Sitz der Marcel-Proust-Gesellschaft werden. Dem Ungers-Archiv ist gleichfalls zu wünschen, dass es als erlebbarer „Kosmos“ des Architekten dauerhaft öffentlich zugänglich wird.
Fakten
Architekten Ungers, Oswald Mathias (1926-2007); Riemerschmid, Richard (1868-1957); Bertsch, Karl (1873-1933); Paul, Bruno (1874-1968); KSV, Berlin; Held, Marc, Paris; Aulenti, Gae, Mailand
aus Bauwelt 6.2012
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