Bauwelt

110 Jahre IBA

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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Wohnanlage am Lützowplatz, Entwurf Oswald Mathias Ungers, im März 2013 abgerissen
Manfred Brückels

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Wohnanlage am Lützowplatz, Entwurf Oswald Mathias Ungers, im März 2013 abgerissen

Manfred Brückels


110 Jahre IBA

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Eine Übersicht der bisherigen IBAs - von der Mathildenhöhe in Darmstadt (1899-1901) zur abgebrochenen IBA Frankfurt/Rhein-Main (2004-09)

Mathildenhöhe Darmstadt
1899-1901
Anlass | „Die Regierung soll uns ein Feld geben – und da wollen wir dann eine Welt schaffen“, rief Joseph Maria Olbrich den Wiener Secessionisten zu. Dem Wunsch des Architekten nach radikaler Neugestaltung kam der Großherzog Ernst Ludwig 1899 nach. Auf dessen Initiative hin entwarf Olbrich auf der Darmstädter Mathildenhöfe eine Künstlerkolonie als Teil der Lebensreformbewegung. Die Kunstschau, die dort unter dem Titel „Ein Dokument deutscher Kunst“ im Mai 1901 öffnete, gilt als erste interntationale Bauausstellung – wenn auch noch nicht so genannt.
Personen und Projekte | Die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe sollte den Besuchern neue Formen des Wohnens und Arbeitens zeigen. Ausstellungsräume, Wohnhäuser und Ateliers, aber auch die Inneinrichtung wurden als Teile eines Ganzen angefertigt. Aufsehen erregte das Ernst-Ludwig-Haus, das als gemeinsames Künstleratelier diente, mit repräsentativer Schaufassade und omegaförmigem Mittelportal. Ein Bau, der nicht von Olbrich stammte, erhielt ebenfalls viel Beachtung: das Wohnhaus des Architekten Peter Behrens.
Wirkung | Auch wenn die Kunstschau nach nur fünf Monaten in tiefroten Zahlen wieder schloss, wurde sie international gefeiert. Sie zeigte der Öffentlichkeit neue Lebens- und Wohnformen, in einer Zeit, in der die Disziplin Städtebau noch in den Kinderschuhen steckte. Heute dienen die Bauten der vom Krieg stark betroffenen Stadt als historische Wahrzeichnen.
Weissenhofsiedlung Stuttgart
1926-27
Anlass | 1927 initiierte der Deutsche Werkbund unter Leitung von Mies van der Rohe eine Ausstellung mit dem Titel „Die Wohnung“ – heute als Weißenhofsiedlung bekannt. So einfach ihr Titel, so radikal waren die Ziele der Ausstellung: 21 Musterhäuser auf einem Stuttgarter Hügel sollten exemplarisch vom Neuen Bauen künden. Rationalität, Funktionalität, neue Bauverfahren sowie reduzierte und kubische Formen bestimmten die Architektursprache der Wohnsiedlung.
Personen und Projekte | 17 Archi­tek­ten, unter ihnen Hans Scharoun, Walter Gropius und Le Corbusier, entwarfen eigene Bauten für die Weißenhofsiedlung. Einige dieser Avantgardisten waren damals nur in Fachkreisen bekannt. Nach ihren Plänen entstand auf einem Stuttgarter Hügel in 21 Wochen eine Siedlung aus 21 Häusern und 63 Wohnungen. Neu waren nicht nur Bauver­fahren und -materialien wie die Leichtbetonbauweise, auch die Inneneinrichtung und Elemente wie das Flachdach provozierten die Sehgewohnheiten der über 50.000 Besucher.
Wirkung | Die Zukunft des Wohnens sollte funktional, praktisch und preiswert sein – keine Repräsentationsarchitektur mehr, stattdessen ein radikaler Verzicht auf Schmuck und Zierde. Diese Vorstellung einer neuen Baukultur ist nicht nur in der Weißenhofsiedlung in jedem Element, vom Gartentor, über Wendeltreppe, bis zur Badezimmereinrichtung, zu spüren – sie prägte auch die folgende Hochphase der Moderne. 1928 gründete ein Teil der Ausstellungs-Architekten den CIAM, und aus den Häusern der Siedlung wurde eine Pilgerstätten für die Anhänger des Neuen Bauens. Heute befindet sich im Le Corbusier Haus das Weißenhofmuseum.
Die Interbau
1954-57
Anlass | Die Interbau 1957 sollte nicht nur der Westberliner Bevölkerung die Vorzüge der internationalen Architekturmoderne schmackhaft machen – es galt auch, auf die 1952 in Ostberlin errichtete Stalinallee zu reagieren. Im südlichen Hansaviertel wurden die großen Leitsätze der Moderne verwirklicht: Die Charta von Athen, die aufgelockerte und gegliederte Stadt und die Formensprache des Neuen Bauens. „Morgen sind vereint: urbane Dichte und ländliche Weite, Städtische Bewegtheit und dörfliche Ruhe“, lautete der Grundsatz der Interbau.
Personen und Projekte | Unter der Leitung von Otto Bartning wandte sich die Interbau 1957 deutlich von der dichten und kompakten Stadt der Gründerzeit ab. Ein Ensemble aus Punkthochhäusern, Zeilenbauten und Versorgungszentrum im südlichen Hansaviertel sollte viel Raum, Licht, Luft und Sonne bieten. 53 Architekten bauten an der „Stadt von morgen“, darunter Walter Gropius, Max Taut und Paul Baumgarten. Für Le Corbusiers Unité de Habitation war in dem Viertel kein Platz mehr – es entstand, weiter westlich, in Nachbarschaft zum Olympiastadion.
Wirkung | Das Hansaviertel ist das Vorzeigequartier der Nachkriegsmoderne. Die offene, weiträumige Anordnung der Bauten und die leichte, transparente Gestaltung der Architektur sollten für das demokratische Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik stehen. Trotz der folgenden Kritik an der Städtebaumoderne, gehört das Viertel heute zu den beliebtesten in Berlin.
IBA Westberlin
1979-87
Anlass | Gegen steigende Mieten, Kahlschlagsanierungen und die Planung einer Autobahntangente durch Kreuzberg wehrten sich vor allem Kreuzberger mit Protesten und Hausbesetzungen. Als Reaktion darauf thematisierte die IBA 1987 das Leben und Arbeiten in der Innenstadt. Mietskasernen sollten behutsam saniert, die Funktionsmischung gefördert und im Sinne der Kritischen Rekonstruktion neue Wohn- und Gewerbebauten entstehen, die sich historischen Grundrissen anpassten. Wohnen sollte hier auch für finanziell schwächer ausgestattete Haushalt weiter erschwinglich sein.
Personen und Projekte | Die IBA 87 suchte nach Wegen, sowohl Altbauten zu erhalten als auch Neubauten in den Bestand einzufügen. Sie spaltete sich dafür in die IBA-Neubau unter Leitung von Josef Paul Kleihues und die IBA-Altbau mit dem Planungsdirektor Hardt-Waltherr Hämer. In der Luisenstadt wurden Mietskasernen saniert und Innenhöfe begrünt, in Tegel, Wilmersdorf, der Friedrichstadt und dem Tiergartenviertel entstand neue Architektur auf altem Blockgrundriss – von Oswald Mathias Ungers, Hans Kollhoff, Aldo Rossi und anderen.
Wirkung | Zwei Schlagwörter prägten die IBA 87: „Behutsame Stadterneuerung“ und „Kritische Rekon­struktion“. Auch der Begriff „Kreuzberger Mischung“ wurde von Dieter Hoffmann-Axthelm zur IBA erstmals umfassend beschrieben, als eine historische Vorform der heute viel beschworenen Funktionsmischung. Klare Botschaft war die Abkehr von der Nachkriegsmoderne: Weiterentwicklung des Bestandes anstatt radikaler Neugestaltung. Dazu gehörte ein neuer Blick auf die Stadt als bauliches und als soziales Gefüge.
IBA Emscher Park
1989-99
Anlass | In den 80er Jahren wurden im Ruhrgebiet immer mehr Zechen geschlossen, die Arbeitslosigkeit wuchs und es fehlte an Perspektiven. Wie kann man einer Industrieregion neues Leben einhauchen? Die IBA Emscher Park suchte nach Antworten auf diese Frage. Ganze 5 Milliarden D-Mark nahm das Land Nordrhein-Westfalen dafür in die Hand. Den Veranstaltern ging es nicht um die Beteiligung einzelner Architekten. Stattdessen sollte die Ausstellung wirtschaftliche Impulse im Ruhrgebiet setzen und der Region zu einem neuen Selbstbewusstsein verhelfen.
Personen und Projekte | Die Umnutzung eines Gasometers zur Ausstellungshalle, die Renaturierung des Flusses Emscher und die Umgestaltung eines Eisenwerks im Duisburger Stadtteil Meiderich zu einem 200 Hek­tar großen Landschaftspark: Unter der Leitung von Karl Ganser wurden in den zehn Jahren der IBA über 120 Projekte auf einem Gebiet von 800 Quadratkilometer in 19 Kom­munen durchgeführt. Neben der Revitalisierung der industriellen Bergwerksregion wurden mit IBA-Mitteln 3000 Wohnungen für Geringverdiener erstellt und 3000 weitere, vor allem in Arbeitersiedlungen, modernisiert.
Wirkung | Im Oberhausener Gasometer werden Kunstausstellungen gezeigt, die Bochumer Jahrhunderthalle, eine alte Maschinenhalle, bietet Raum für Veranstaltungen und zur IBA gestartete Kulturfeste wie die Ruhrtriennale, werden bis heute fortgeführt. Ein weites Netz aus Radwegen verbindet Orte der Region, und Arbeitsplätze entstanden vor allem in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Technologie. Die Krönung kam 2010 – das Ruhrgebiet wurde Kulturhauptstadt Europas.
IBA Fürst-Pückler-Land
2000-2010
Anlass | In der Lausitz wurden nach dem Ende der DDR viele Tagebau-Stätten geschlossen. Antworten darauf, was mit den Restlöchern geschehen könne, sollte die IBA Fürst-Pückler-Land finden. Vier Landkreise und die Stadt Cottbus investierten dafür insgesamt 14 Millionen Euro in eine „Werkstatt für neue Landschaften“: Erstmals setzte sich eine IBA mit einer ländlichen Gegend auseinander. Ihre Projekte sollten die Mondlandschaft in ein Feriengebiet, ihre Krater in Seen und Industrie­brachen in attraktive Reiseziele verwandeln.
Personen und Projekte | Etwas von der Genialität ihres Namensgebers, des Landschaftsarchitekten Hermann von Pückler-Muskau, hoffte die IBA mit ihren 30 Projekten auch auf die Lausitz zu übertragen. Hier können Besucher nun den „liegenden Eiffelturm“, eine 500 Meter lange Förderbrücke, erklimmen, entlang von Seen radeln, die noch immer geflutet werden, und von den Türmen der alten Lauchhammer Kokerei übers Land schauen.
Wirkung | Der Medienrummel ist ausgeblieben, dem Ziel, die größte künstliche Wasserlandschaft Europas zu werden, nähert man sich schleppend. Auch wurden nur drei schwimmende Häuser, das Markenzeichen der IBA, bis Ausstellungsende zu Wasser gelassen.
IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt
2002-2010
Anlass | Abwanderung und niedrige Geburtenraten führen zu Wohnungsleerstand und einer sinkenden Kaufkraft – kaum ein Bundesland kennt das Problem so gut wie Sachsen-Anhalt. Die IBA Stadtumbau 2010 suchte nach Möglichkeiten, wie aus 19 „Shrinking Cities“ wieder attraktive und ökonomisch stabile Orte werden können. Unter dem Leitsatz „Schrumpfen von außen nach innen“ wurden die Stiftung Bauhaus Dessau und die Landesentwicklungsgesellschaft Salge mit der IBA-Koordination beauftragt.
Personen und Projekte | Viele der 19 IBA-Städte teilten ein Schicksal: ein Stadtkern mit unsanierten Altbauten, dem die Bewohner den Rücken kehrten. Auf Verfall und Leerstand reagierte man von Ort zu Ort verschieden. In Aschersleben füllten Kunstwerke entlang einer Durchfahrtsstraße Häuserlücken. In Dessau wurde durch die Stadt ein Landschaftsstreifen angelegt, der dort verlief, wo zuvor 3400 überflüssig gewordene Wohnungen abgerissen worden waren. Und mitten in Staßfurt wurde ein See angelegt, als Bekenntnis zur leeren Mitte.
Wirkung | Nicht immer rechtfertigte das Ergebnis den Aufwand. Politik, Eigentümer und Bewohner bewegen sich jedoch langsam aufeinander zu, um gemeinsam Wege zu finden: aus der Krise und für eine lebensfreundliche Stadt.
IBA Frankfurt/Rhein-Main
2004-2009
Anlass | Was hätte aus der IBA Frankfurt/Rhein-Main nicht alles werden können. „Internationalität“, schwebte als Leitthema über dem Ausstellungskonzept des hessischen IBA-Lenkungskreises. Eine Machbarkeitsstudie von Jochem Jourdan und Bernhard Müller aus dem Jahr 2006 sah das Gebiet als ein Modell für eine Metropolenregion des 21. Jahrhunderts, eine „Metropolitana Frankfurt Rhein Main“. Was groß klang, ist klein geblieben. Die Regierung aus CDU/FDP erteilte der IBA nach der Landtagswahl 2009 eine Absage. Grund: die Kosten von 120 Millionen Euro auf zehn Jahre.
Abbruch | Zitat aus einem Antrag des hessischen Landtags zur „haushaltspolitischen“ Verantwortung vom Juli 2009: „Der Hessische Landtag beschließt aus haushaltspolitischen Gründen, die weiteren Planungen zur Durchführung einer Internationalen Bauaustellung seitens des Landes einzustellen.“
 

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