Bauwelt

Ich habe eine völlig neue Haltung zur Stadt­ent­wicklung vorangebracht

„Schöner wird’s nicht mehr“: Die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat sich Ende Juli in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin

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    Das Interview fand am 22. Juli in den temporären Räumen der Senatsver­waltung für Stadtentwicklung und Wohnen am Fehrbelliner Platz statt.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Das Interview fand am 22. Juli in den temporären Räumen der Senatsver­waltung für Stadtentwicklung und Wohnen am Fehrbelliner Platz statt.

    Foto: Jasmin Schuller

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    Das klimaneutrale Schu­macher Quartier mit über 5000 Wohnungen wird zum Teil in Holzbauweise auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens Tegel entstehen.
    Visualisierung: Tegel Projekt GmbH, Macina

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    Das klimaneutrale Schu­macher Quartier mit über 5000 Wohnungen wird zum Teil in Holzbauweise auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens Tegel entstehen.

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    Der Park am Gleisdreieck südlich vom Potsdamer Platz ist ein großer Erfolg. Bemängelt wird dage­gen die Randbebauung.
    Foto: Florian Thein

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    Foto: Florian Thein

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    Regula Lüscher im Ge­spräch mit Benedikt Crone und Sebastian Redecke.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Regula Lüscher im Ge­spräch mit Benedikt Crone und Sebastian Redecke.

    Foto: Jasmin Schuller

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    Der Städtebau im Umfeld des Hauptbahnhofs wurde vor der Amtszeit von Regula Lüscher entschieden. Am gläsernen CUBE von 3XN übt sie Kritik.
    Foto: Adam Mørk

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    Der Städtebau im Umfeld des Hauptbahnhofs wurde vor der Amtszeit von Regula Lüscher entschieden. Am gläsernen CUBE von 3XN übt sie Kritik.

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    Der Neptun-Brunnen soll vor dem Roten Rathaus stehenbleiben und nicht ans neue Berliner Schloss versetzt werden.
    Foto: Bernt Rostad

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    Der Neptun-Brunnen soll vor dem Roten Rathaus stehenbleiben und nicht ans neue Berliner Schloss versetzt werden.

    Foto: Bernt Rostad

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    Regula Lüscher Geb. in Basel. Architekturstudium an der ETH Zürich. 1989-1998 eigenes Büro mit Patrick Gmür in Zürich. 1998-2007 Amt für Städtebau der Stadt Zürich, seit 2001 stellvertretende Direktorin. Von 2007 bis Ende Juli 2021 Berliner Senatsbaudirektorin.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Regula Lüscher Geb. in Basel. Architekturstudium an der ETH Zürich. 1989-1998 eigenes Büro mit Patrick Gmür in Zürich. 1998-2007 Amt für Städtebau der Stadt Zürich, seit 2001 stellvertretende Direktorin. Von 2007 bis Ende Juli 2021 Berliner Senatsbaudirektorin.

    Foto: Jasmin Schuller

Ich habe eine völlig neue Haltung zur Stadt­ent­wicklung vorangebracht

„Schöner wird’s nicht mehr“: Die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat sich Ende Juli in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin

In ihren 14 Berliner Jahren hat sie von der Europacity am Hauptbahnhof über die Umnutzung des Flughafens Tegel, den Spreeraum Friedrichshain-Keuzberg mit Mercedes Platz bis zum Quartier am Blumengroßmarkt stadtbildprägende Entscheidungen getroffen und bestehende Planungen zur Ausführung gebracht. Ihr war immer der offene Dialog unter der Beteiligung vieler Akteure bis zum Konsens eines definitiven Entwurfs wichtig. Eine besondere Rolle spielte dabei das von ihr einberufene Baukollegium, dessen Einflussmöglichkeiten allerdings auch Kritik auf sich zog. Das Interview führten wir eine Woche vor ihrem Abschied. Fortan will sich Lüscher unter anderem der Malerei widmen.
BC Die 15-Minuten-Stadt ist derzeit ein Trendbegriff in vielen Städten, obwohl es schon seit den achtziger Jahren das verwandte Leitbild einer Stadt der kurzen Wege gibt. Wie sehen Sie das Modell der 15-Minuten-Stadt in Berlin rea­lisiert?
Berlin zieht seine Qualität aus den vielen kleinen Zentren, die historisch gewachsen sind. Jede Berlinerin und jeder Berliner hat seinen Kiez, sein Quartier, in dem man sich versorgen und auch kulturelle Institutionen genießen kann. Die Bezirke haben vom Sportbad bis hin zu Bibliotheken eine gute Infrastruktur. Dies sollte nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden.
BC Innerstädtisch scheint die von Ihnen beschriebene Lebensqualität häufig gegeben, randstädtisch gibt es Nachholbedarf. Sie hatten ursprünglich für das Jahr 2020 die IBA „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ geplant, die jedoch nicht realisiert wurde. Hätte diese IBA die Außenbezirke ein Stück weit auf ein Erreichbarkeitsniveau gehoben wie das der inneren Stadt?
Das war ein wichtiger Aspekt, es ging aber nicht nur um die äußeren Stadtbereiche. Auch in Berlins Mitte existieren große Wohnsiedlungen – beispielsweise am Alexanderplatz – die weder über eine hohe Nutzungsmischung noch kaum über Erdgeschossnutzungen verfügen. Wie wir solche zentralen Siedlungsstrukturen stärker urbanisieren können, wäre zum Beispiel ein Thema der IBA gewesen. Dabei wäre es um Nachverdichtung im Sinne von mehr Versorgungs- und Erlebnisdichte gegangen. Das zweite Thema sollte den Fokus, der sehr stark auf die Mitte gerichtet war, auf die Außenbezirke legen. In meiner Anfangszeit wurde ich in das Thema Innenstadt geradezu gedrängt. Die Diskussion um die historische Mitte hatte viel mit der vorangegangenen Zeit zu tun, mit den Grabenkämpfen zur Stadtgestaltung. Es war für mich sehr schwierig, die Rolle der Senatsbaudirektorin auf einen größeren Maßstab auszuweiten. Das war nicht gewollt. Die IBA war ein Versuch, den Blick stärker auf die Ränder, auf die Polyzentralität zu lenken, die Berlin ausmacht.
BC Sehen sie bei dieser Perspektive einen wesentlichen Unterschied zu Ihrem Vorgänger Hans Stimmann?
Ja, es gibt Unterschiede, aber es war auch eine andere Zeit. Hans Stimmann wurde nach der Wende Senatsbaudirektor. Da war die zentrale Frage: Wie geht man mit dieser geteilten Stadt um? Das war eine sehr spezielle Frage, die man in einer Metropole in diesem Ausmaß noch nicht kannte. Als ich Senatsbaudirektorin wurde hatte ich das Gefühl, man muss den Blick jetzt auf andere Themen richten – und das wurde mir nicht leicht gemacht.
BC Ein noch nicht realisiertes Projekt im äußeren Bereich von Berlin ist die Urban Tech Republic und das Schumacher Quartier, das auf dem ehemaligen Flughafengelände von Tegel teilweise in Holzbauweise realisiert werden soll. Wurde aus den genannten Problemen älterer Siedlungen wie der Monofunktionalität und homogenen Erscheinung gelernt? Ist dort ein lebenswertes, gemischtes Quartier zu erwarten?
Die Nachtnutzungs-Planungen für Tegel und das Schumacher Quartier stammen aus einer Zeit, in der man noch nicht die Durchmischung im Fokus hatte. Aber wir können jetzt während der Umsetzung noch stark eingreifen. Wir wollen erreichen, dass das Quartier gemischt wird in Bezug auf die Akteurskonstellationen aus privaten Investoren, Wohnungsbaugesellschaften und Baugruppen. Auch wenn alle Wohnungen bauen, werden hier durch unterschiedliche Viertel entstehen. Die Erdgeschosszonen sollen durch das Gestaltungshandbuch, das wir entwickelt haben, sowohl in der Hardware als auch in der Software kuratiert werden. Ein weiterer Unterschied zu früher ist das Festhalten der Nachhaltigkeitsthemen in einer sogenannten Charta der Quartiersentwicklung. Darunter fällt das soziale Konzept von unterschiedlichen, auch geförderten Wohnformen und das Modell einer Schwammstadt, die eine gänzlich andere Freiraum- und Straßengestaltung nach sich zieht.
SR Ein anderes, politisch brisantes ehemaliges Flughafengelände ist das Tempelhofer Feld. Ich habe noch den Entwurf für die Zentral- und Landesbibliothek von 2013 vor Augen – ein schöner Entwurf, der nicht umgesetzt wurde. Wird Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger etwas an diesem Ort planen können oder soll alles so bleiben wie es ist? Und was passiert mit dem Flughafengebäude, bei dem man das Gefühl hat, dass eine übergeordnete Idee fehlt?
Die Entwicklung von Tempelhof wäre ein eigener Kosmos für ein Interview. Ich hätte mir immer gewünscht, dass die Bibliothek in das ehemalige Flughafengebäude einzieht – um einen Anker zu erhalten, einen öffentlichen Ort für Alle, auch im Zusammenhang mit dem Feld. Bei dem Gebäude handelt es sich um einen Solitär, eine ungemein starke Architektur, gleichzeitig muss man es wie ein Quartier denken. Das geht nur über eine Öffnung und Programmierung – was schwierig genug ist. Beim Feld hätte ich mir auf jeden Fall die Umsetzung des Entwurfs der britischen Landschaftsarchitekten GROSS MAX gewünscht, das war ein sehr gelungener Entwurf. Der damals geplanten Randbebauung dagegen weine ich keine Sekunde nach, das war noch keine ausgereifte Konzeption. Es gab auch großen politischen Druck. Was aber dieser Ort verdient, ist eine viel differenziertere Auseinandersetzung. Bevor man jedoch etwas überplant, halte ich es mit Luigi Snozzi: „Du musst dir bewusst sein, bevor du etwas Neues planst, dass du etwas Altes zerstörst, also zerstöre mit Verstand“. Beim Tempelhofer Feld muss mit einer gemeinwohl­orientierten Stadtentwicklung, mit sehr unterschiedlichen Akteuren und Initiativen, mit öffentlichen Institutionen und Investoren, eine für Berlin typische und interessante Mischung entstehen. Ein Ort, der eine „grüne“ Stadtentwicklung zelebriert. Tempelhof könnte zum Symbol der klimagerechten Stadtentwicklung werden. Es liegt eine große Chance in diesem Ort.
BC Wer müsste die Initiative Tempelhof wieder aufgreifen? Der Senat? Ihr Nachfolger, Ihre Nachfolgerin? Der Volksentscheid war ja ein starkes Statement.
Ach, das wissen die nächsten Generationen.
BC Wissen sie das?
Es braucht zunächst einen gemeinsamen politischen Willen. Das Gebäude hat bereits einen enormen Finanzbedarf, und der nächste Senat muss sich überlegen, ob man diesen wirklich gänzlich aus dem Landeshaushalt finanzieren will. Oder man überlegt, ob gewisse Teile im Baurecht an Initiativen, an Partner abgegeben werden. Voraussetzung wäre aber, dass die In­frastruktur bis dahin so transformiert und umgebaut wird, dass man das Gebäude überhaupt in einzelne Nutzungsbereiche aufteilen kann.
SR In Berlin gibt es einen Ort aus Ihrer Amtszeit, der uns sehr gefällt: der Park am Gleisdrei­eck. Eine große Bereicherung für die Stadt, besonders die angrenzenden Quartiere. Wie sehen Sie aber die Randbebauung?
Diese ist in der Tat ein anderes Thema. Ich habe die Parkanlagen und Freiräume, die nach der Wende in Berlin entstanden sind, immer als etwas sehr Interessantes empfunden. Sie waren nicht von irgendwelchen ideologischen Glas-Stein-Debatten belastet. Da hat Berlin gezeigt, was es eigentlich könnte. Fantastisch! Der Park am Gleisdreieck, der durch die Ausgleichszahlungen Potsdamer Platz entstehen konnte, ist ein herausragendes Beispiel dafür. Und es ist ebenso bezeichnend, dass die Randbebauung nicht ansatzweise das Niveau dieses Parks hat. Das Land Berlin hatte leider seine Grundstücke dort verkauft. Da kann man mit dem Baukollegium noch ein wenig nachsteuern, aber ich kann niemandem verbieten, historisierend zu bauen. Das muss man so hinnehmen. Ich bin nun auf das Entwicklungsprojekt „urbane Mitte“ am Gleisdreieck gespannt. Der Entwurf von Ortner & Ortner Baukunst hat großes Potenzial. Besonders die Konzeption mit den mächtigen Sockelbereichen, die sich für unterschiedliche Arbeitsformen eignen. Das ist eine Planung, die auf der Höhe ihrer Zeit ist.
BC In welchem Bereich ist Berlin in Ihrer Amtszeit ein gutes Stück vorangekommen?
In der Kommunikation – beim Dialog. Es wird inzwischen ganz anders über Stadt und Stadtentwicklung gesprochen. Ich konnte die Diskussion öffnen, sodass sich langsam eine gewisse Schockstarre in den Architekturdebatten löste. Es ist mir auch gelungen, wieder andere Kreise und andere Zielgruppen, andere Architekturvertreterinnen und -vertreter ins Spiel zu bringen. Das braucht Zeit, weil eine Doktrin wie die Glas-Stein-Debatte bis in alle Bezirksämter gewirkt hat. Das Zweite, was sich verändert hat, ist die Wertschätzung der Ostmoderne, das Versöhnen der beiden Stadthälften, das Sichtbarmachen, das Respektieren. Darunter fällt zum Beispiel die Überarbeitung des Bebauungsplans für den Alexanderplatz, der nun viel bestandsorientierter geworden ist. Viele wichtige Bauten wie das Haus des Reisens und das Haus des Berliner Verlags bleiben stehen. Die Hochhäuser sind anders komponiert, sie werden zum Großteil 130 Meter hoch, um dem Fernsehturm auch den nötigen Respekt zu zollen. In meiner Amtszeit wurden zehn Bürgerleitlinien entwickelt, nach denen der Bestand als wichtige Schicht der Stadtentwicklung wertgeschätzt wird. Es ging mir nicht nur um Orte, um einzelne Bauten, es ging wirklich um eine Transformation des Architektur- und Städtebaudiskurses, hin zu einer mehr bestandsorientierten Entwicklung. Die Hochschule für Schauspielkunst ist ein wunderbares Beispiel, wie man mit einem Bestandsgebäude durch Ergänzungen eine überzeugende Architektur entwickelt. Eine große Errungenschaft ist das Baukollegium, das in der Zwischenzeit öffentlich tagt. Das Kollegium habe ich ins Leben gerufen, weil ich nicht wollte, dass Investoren und Architekten mir als Person hinter verschlossenen Türen ausgesetzt sind. So kann man nicht Architektur machen. Ich habe eine völlig neue Haltung zur Stadtentwicklung vorangebracht. Und am Schluss, wie ich finde, mit und für die Bürgerinnen und Bürger. Das klingt jetzt banal, ist es aber nicht!
BC Trotzdem sorgen Bauprojekte immer wieder für große, öffentliche Konflikte. Wie sind Sie damit umgegangen? Eine reine Blockadehaltung gegenüber Bauherren führt zu Stillstand. Aber auch ein Zeichen zu senden, dass alle Welt hier planen und bauen darf, was sie will, birgt die Gefahr, dass die Stadt in einer Beliebigkeit endet.
Absolut. Als ich 2007 antrat, stand die Entwicklung der Heidestraße an. Die Stadtentwicklungspolitik war zu dieser Zeit eine Politik der Deregulierung. Der rote Teppich war ausgerollt: Die Investoren konnten machen was sie wollten. Das Baukollegium gab es noch nicht und der soziale Wohnungsbau war abgeschafft. Ich kam aus Zürich, wo viel reguliert wurde und man zum Beispiel bei der Beantragung von Parkplätzen gerade noch Behindertenparkplätze bewilligt bekommen hat. Wenn gesagt wird, in Berlin war vor meiner Amtszeit alles reguliert, dann trifft das nur auf eine gewisse Architekturhaltung zu, aber nicht auf die wesentlichen stadtpolitischen Themen. Ich habe die Investoren dazu gezwungen, Wettbewerbe zu machen und über die Erdgeschosszone zu diskutieren. Dadurch gibt es heute dort nicht mehr flächendeckend Hochparterre-Situationen, dafür aber mehr öffentliche Räume und bezahlbaren Wohnraum. Es ist sehr schwer, all das durchzusetzen, aber es geht. Zum Wandel beigetragen hat auch das Hotelgebäude Meininger am Hauptbahnhof, dessen schlechte Architektur für große Aufregung sorgte. Plötzlich hatte ich politischen Rückhalt dafür, mit Investoren zu verhandeln. Allerdings muss man wertschätzend und selbstbewusst mit ihnen verhandeln. Und die Regeln müssen klar sein. Das gilt auch für das Hochhausleitbild. Selbstverständlich kann man in einem Leitbild einfordern, dass Hochhäuser über 60 Meter gemischt genutzt sein müssen. Das gefällt erstmal niemandem, aber ist bedeutend für das Funktionieren der europäischen Stadt. Strenge Vorgaben in Bezug auf die Architektursprache haben mich nie interessiert – aber es muss gute Architektur sein!
SR Wer heute im Hauptbahnhof der Hauptstadt aussteigt, findet sich vor etwas wieder, das nicht die Qualität hat, die man an einem solchen Ort erwartet.
Ich kann Ihnen sagen, wie es dazu kam. Es gab einen Wettbewerb, den Oswalt Mathias Ungers damals gewonnen hatte; dessen Entwurf wurde dann in einem B-Plan umgesetzt. Eine prozes­suale Stadtentwicklung gab es nicht. Aber es ist notwendig, jeden Schritt zu begleiten und dafür Instrumente und Prozesse zu haben – darum ist ein Baukollegium so wichtig. Die Bauten unmittelbar am Bahnhof sind vielleicht für gewisse Leute langweilig, aber wir haben im Baukollegium darüber diskutiert: Dieser Bahnhof ist ein Solitär und dann kommt irgendwann noch ein Kubus davor, ein zweiter Solitär, ein städtebaulicher Wahnsinn! Da kann man nur eines tun: möglichst zurückhaltende Architektur im Hintergrund, die ein Thema hat, in diesem Fall dieses Stein-Thema. Wir haben dafür im Baukollegium Gestaltungsregeln erarbeitet. Es sollten Stadtbausteine entstehen, die diesen beiden Solitären Halt geben. Zwei Gebäude, die dort entstanden sind, sind für mich sehr gelungen: das Steigenberger Hotel und auf der Nordseite das Total Hochhaus von Barkow Leibinger. Aber es braucht schon eine starke Hand, um aus einem abstrakten B-Plan etwas Qualitätsvolles zu machen.
SR Man verlässt den Bahnhof nach Süden, sieht das Reichstagsgebäude, das Kanzleramt und vor allem diesen gläsernen Kubus, der CUBE von 3XN, und denkt sich: Oh, auch etwas ganz Bedeutendes, ist es aber nicht.
Als ich kam, lief der erste Wettbewerb mit der Deutschen Bahn. Die Bahn wollte ein Kundenzentrum bauen – 3XN haben wirklich ein sehr gelungenes Gebäude entworfen, mit einer faszinierenden Bürolandschaft und öffentlichem Erdgeschoss. Dann ist die Bahn abgesprungen. 3XN blieben die Planer, mussten aber für den Bauherren ein völlig normales Bürogebäude ohne öffentliche Nutzung entwerfen. Darum: Architektursprache ist wichtig, aber Programmierung ist so viel essenzieller für die Frage der Lebensqualität in einer Stadt.
BC Sind Sie heute mit der Europacity-Bebauung auf der Nordseite des Bahnhofs zufrieden?
Angesichts dessen, dass das Land Berlin dort kein einziges Grundstück hatte und der Bereich eine reine Investorenentwicklung ist, man also nicht sehr viele Eingriffsinstrumente in der Hand hatte, finde ich es eine reife Leistung. Es wurde und wird teilweise überdurchschnittliche Architektur umgesetzt, insbesondere im Westbereich und im Süden am Europaplatz. Bei jedem Quartiersabschnitt haben wir mit den Investoren Wettbewerbe durchgeführt, von Parzelle zu Parzelle. Wir als Preisgericht hatten dann die Aufgabe, in sich schlüssige Quartiere mit einer gewissen Identität zu komponieren.
SR Vor wenigen Tagen wurde das Humboldt Forum eröffnet. Welche Meinung haben Sie rückblickend zu der Entscheidung, das Schloss mit historischen Fassaden wieder aufzubauen?
Als ich nach Berlin kam wurde der Palast der Republik gerade zurückgebaut. Man wollte die Rekonstruktion des Schlosses. Ich habe immer damit gehadert, dass man aus meiner Sicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Es gab ein Schloss, das wurde teilzerstört, dann hat man es abgerissen. Ein politischer Akt, einfach eine Zeitschicht ausradiert. Das hat man an vielen Stellen in Berlin gemacht: Einfach mal die Geschichte entfernen und glauben, damit ist die Geschichte weg. Das ist sie natürlich nicht. Und dann wiederholt man nach der Wende genau das Gleiche und reißt diesen Bau ab um – noch schlimmer –, nichts Neues hinzusetzen, sondern etwas zu rekonstruieren, dem man zuvor auch schon eine Zeitschicht geopfert hat. Ja, die DDR war ein Unrechtsregime, aber es gibt Menschen, die in diesem Staat und diesem Gefüge aufgewachsen sind. Das war deren Heimat, die hatten große Veranstaltungen und Feste im Palast-Gebäude. Man hätte dieses zu einem öffentlichen Raum transformieren und so Geschichte weiterentwickeln können. Ich argumentiere politisch, aber das kann man auch aus städtebaulicher Sicht sehen. Dieses ständige Überschreiben, diese Verhaltensweise zu durchbrechen, hätte ich mir wirklich gewünscht. Deshalb habe ich sehr dafür gekämpft, dass die archäologischen Ausgrabungen vor Ort sichtbar werden. Das Original liegt im Keller. Und es gibt ein Semi-Original-Portal des Schlosses am Staatsratsgebäude, dann mit der Rekonstruktion eine Replik der Replik, eine wunderbare Geschichte. Das ist Berlin. Und wenn es jetzt eine Replik des Neptun-Brunnens vor diesem Schloss geben sollte, ok, das passt. Aber das Original des Brunnens hat da stehenzubleiben, wo es jetzt ist. Bitte diesem beschriebenen Reflex nicht wieder nachgeben!
SR Ich hatte mir damals ein Berliner Centre Pompidou gewünscht, ein Kulturzentrum mit den Resten vom Palast der Republik. Das wäre eine große Chance gewesen.
Das war eine politische Entscheidung und gleichzeitig eine nachvollziehbare Unfähigkeit, so nah an der Geschichte eine reflektierte Entscheidung zu treffen. Wie soll das gehen? Manchmal braucht man die Gnade der Langsamkeit, dann wird es auch gut.
SR Gibt es ein unbekannteres Projekt, bei dem Sie sagen: Da ist mir Besonderes gelungen?
2010 habe ich den Urban Intervention Award ins Leben gerufen, der zum Inhalt hatte, die Zwischennutzungen, die Berlin prägen, sichtbar zu machen. Bei diesem Award war der erste Preis in der Kategorie Temporär eine Gassenküche. Diese Küche bindet man ans Fahrrad, fährt damit in den Kiez, faltet die Küche auf und bereitet ein gemeinschaftliches, öffentliches Essen zu. Das war ein soziales Projekt, aber auch eine kleine Maßnahme mit einer riesigen Wirkung, und eine wunderschöne Klein-Architektur von Daniel Unterberg und Isabell Weiland.
BC Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin, Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?
Ich sehe mich nicht als Ratgeberin meines Nachfolgers oder meiner Nachfolgerin, ich werde ihm oder ihr nicht ins Handwerk reden. Ich habe vierzehn Jahre das Amt ausgefüllt und man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Das mache ich.
Fakten
Architekten Lüscher, Regula, Berlin
aus Bauwelt 19.2021
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