Bauwelt

Jaretti & Luzi

Wohnbauten in Turin 1954–1974

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Jaretti & Luzi

Wohnbauten in Turin 1954–1974

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Eine ziemlich perfekte Monographie. Das Turiner Architekturbüro Jaretti & Luzi, das von Mitte der 50er bis Mitte der 70er Jahre etliche Geschosswohnungsbauten in der piemontesischen Hauptstadt realisierte, dürfte mit diesem von Bernd Schmutz und Dominik Fiederling herausgegebenen Buch jedenfalls aus dem Dunkel der Vergessenheit ins Licht der Architekturgeschichtsschreibung der Nachkriegsmoderne gelangen, auch im deutschsprachigen Raum. Wichtiger aber noch: Ihr Werk könnte den heutigen innerstädtischen Wohnungsbau inspirieren, der, von ein paar wenigen Projekten abgesehen, auf einen noch nie dagewesenen gestalterischen und konzeptionellen Tiefpunkt gesunken war, be-vor die gegenwärtige Baukrise ihn zum Erliegen brachte.
Sergio Jaretti und Elio Luzi, 1928 und 1927 geboren und 1954 bzw. ’53 am Politecnico di Torino diplomiert, schien der Massenwohnungsbau des nach dem Zweiten Weltkrieg parallel mit FIAT schnell wachsenden Turin jedenfalls ebenso uninteressant. Doch suchten sie andere Wege aus der Uniformität, als es etwa zeitgleich die älteren Kollegen des Neorealismo unternahmen. Frank Lloyd Wright and Antoni Gaudí hießen ihre Inspirationen – das Werk des einen war gerade von Bruno Zevi in Italien populär gemacht worden, das des anderen durch ein Buch von Grazielle Luzi, der Schwester von Elio, die über den katalanischen Architekten diplomiert hatte.
In ihrem Erstlingswerk, der Casa dell’Obelisco an der Piazza Crimea (1954–59), sind diese Einflüsse deutlich, und ebenso in ihren Anfang der 60er Jahre in Nachbarschaft zueinander und dem gemeinsamen Büro errichteten privaten Wohnhäusern. Und wie zu erwarten, wenn solch extreme Inspirationen amalgamiert werden, entsteht bald etwas Unerwartetes, Neues: von den originellen Backsteinfassaden der Wohnhäuser in der Via Saluzzo (1960–62) und am Corso Orbassano (1961–63) über das landschaft-lich gestaltete Erdgeschoss des Wohnhauses in der Via Curtatone (1962–65) und den wie im Theater choreographierten Auftritt unterschiedlich dicker Säulen aus Beton und Backstein im Eingangsbereich der Torri Pitagora (1963–68) bis zu den irrwitzigen Pop-Blüten an der Torre Mirafiori (1970–74), bei denen sie mit fahlgrünen Kunststofftonnen die zyklopischen Betonsäulen der Primärstruktur konterkarieren. „Manieristisch“ ist das treffende Adjektiv für diese Werke.
Die Herausgeber bringen dem Leser die Gebäude mit aktuellen Fotos von Pk. Odessa, neu angefertigten Grundrissen und etlichen erläuternden Essays nahe, die ganz nebenbei auch die Architekturszene Turins und des Politecnico porträtieren. Ergänzt wird das durch ein Vorwort von Adam Caruso über die „Unmöglichkeit der Moderne“, ein Interview mit dem Zeitgenossen Aimaro Isola, Partner des Turiner Büros Gabetti e Isola, und die Übersetzung des zeitgenössischen Texts „Kontinuität oder Krise?“ von Ernesto Nathan Rogers, der mit seinem Büro BBPR in den 50er Jahren ebenfalls den Graben zwischen der ideologischen Moderne eines Sigfried Giedeon oder dem So-und-nicht-anders-Brutalismus von Reyner Banham und einer der Stadt und ihrer Historie und Eigenart verpflichteten konservativen Strömung zu überbrücken versuchte.
Sie sehen, genug der Parallelen zur Gegenwart. Dieses sorgfältig gemachte Buch sei uneingeschränkt empfohlen. Uneingeschränkt? Nun gut, eine Schnittzeichnung der Casa dell’ Obelisco habe ich vergeblich gesucht, aber das ist nun wirklich kein Wasser in den guten Wein.
Fakten
Autor / Herausgeber Bernd Schmutz und Dominik Fiederling (Hg.)
Verlag Park Books, Zürich 2025
aus Bauwelt 10.2025
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