Bauwelt

Was ist neu, was ist alt am Neustädter Markt?

Die Bürgerinitiative Neustädter Freiheit setzt sich für eine Fortentwicklung des Bestands aus den 1970er Jahren ein. Die Gesellschaft Historischer Neumarkt will die Rekonstruktion von Barockhäusern. Die Stadt sitzt vor einem prämierten Wettbewerbsentwurf von Bernd Albers. Und nun hat das Landesdenkmalamt gesprochen. Wie geht es weiter ringsum den Goldenen Reiter?

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Der Neustädter Markt, Blick nach Osten. Das barocke Reiterstandbild Augusts des Starken wurde im Zweiten Weltkrieg ausgelagert und 1956 wieder aufgestellt.
    Foto: Udo Meinel

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    Der Neustädter Markt, Blick nach Osten. Das barocke Reiterstandbild Augusts des Starken wurde im Zweiten Weltkrieg ausgelagert und 1956 wieder aufgestellt.

    Foto: Udo Meinel

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    1981: Blick in die zum Fußgängerbereich umgestal­­t­ete Straße der Befreiung, heute Hauptstraße.
    Postkarte: Verlag Goertz

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    1981: Blick in die zum Fußgängerbereich umgestal­­t­ete Straße der Befreiung, heute Hauptstraße.

    Postkarte: Verlag Goertz

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    Im Wettbewerb 2019 wurde der Entwurf von Bernd Albers Architekten, Berlin, mit dem 1. Preis prämiert.
    Abb.: Architekten

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    Im Wettbewerb 2019 wurde der Entwurf von Bernd Albers Architekten, Berlin, mit dem 1. Preis prämiert.

    Abb.: Architekten

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    Blick über den Neustädter Markt nach Norden. Im Vordergrund die Baustelle Blockhaus, das zum (Kunst-)„Archiv der Avantgarden“ werden soll.
    Foto: Christoph Reichelt/Landeshauptstadt Dresden

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    Blick über den Neustädter Markt nach Norden. Im Vordergrund die Baustelle Blockhaus, das zum (Kunst-)„Archiv der Avantgarden“ werden soll.

    Foto: Christoph Reichelt/Landeshauptstadt Dresden

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    Die Wohnbebauung wurde teilweise von Knerer & Lang Architekten saniert (Bauwelt 34.1997).
    Foto: Udo Meinel

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    Die Wohnbebauung wurde teilweise von Knerer & Lang Architekten saniert (Bauwelt 34.1997).

    Foto: Udo Meinel

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    Die Brunnen des Bildhauers Friedrich Kracht im Osten und Westen des Platzes stehen bereits seit 2019 unter Denkmalschutz. Der östliche Brunnen ist außer Betrieb und harrt einer Restaurierung.
    Foto: Udo Meinel

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    Die Brunnen des Bildhauers Friedrich Kracht im Osten und Westen des Platzes stehen bereits seit 2019 unter Denkmalschutz. Der östliche Brunnen ist außer Betrieb und harrt einer Restaurierung.

    Foto: Udo Meinel

Was ist neu, was ist alt am Neustädter Markt?

Die Bürgerinitiative Neustädter Freiheit setzt sich für eine Fortentwicklung des Bestands aus den 1970er Jahren ein. Die Gesellschaft Historischer Neumarkt will die Rekonstruktion von Barockhäusern. Die Stadt sitzt vor einem prämierten Wettbewerbsentwurf von Bernd Albers. Und nun hat das Landesdenkmalamt gesprochen. Wie geht es weiter ringsum den Goldenen Reiter?

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Die Situation ist komplex an Dresdens Neustädter Markt. Das fängt schon bei den Benennungen an. Wer sich mit der jüngeren Geschichte dieses Bereichs beschäftigen möchte, muss zunächst Straßennamen und Gebäudebezeichnungen sortieren: „Straße der Befreiung“ und „Hauptstraße“, „Platz der Einheit“ und „Albertplatz“, „Klub der DSF“ und „Archiv der Avantgarden“ – was davon sozialistisch ist und was aus Nach-Wende-Zeiten stammt, ist nicht gleich eindeutig. Diese Unschärfte ist insofern ein guter Einstieg, als sie ahnen lässt, wie vielfältig die Projektionen sind, die Erwartungen und die Erinnerungen, die sich auf diesen Ort richten.
Der Platz ist ein wichtiger Knoten im Gewebe der Stadt. Zwischen dem Bahnhof Neustadt und dem Hauptbahnhof entfaltet sich das Dresdener Zentrum als Sequenz scharf geschnittener Epochenbilder. Der Neustädter Markt spielt dabei eine zentrale Rolle. Wer vom Albertplatz, dem Scharnier von Innerer und Äußerer Neustadt, kommt, spaziert die baumbestandene Hauptstraße nach Süden und erblickt, wenn sich die Bebauung mit breiter Geste öffnet, die aus den Trümmern wieder erstandene Silhouette der Altstadt – eine Inszenierung, um die manch deutsche Großstadt Dresden beneiden kann. Gerade dieser Moment aber steht derzeit zur Diskus­sion: Schließlich gab es bis zur Zerstörung im Februar 1945 auf der Neustädter Seite eine geschlossene Bebauung entlang der Elbe. Manchmal wirkt diese Stadt so besessen von ihrem untergegangenen Bild, dass sie blind ist für ihre heutige Schönheit.
Doch noch ist nichts entschieden, und das ist nicht zuletzt dem Engagement von Bürgern zu verdanken, die sehen können. Unter den Akteuren, die die Entwicklung bestimmen, ist zunächst die „Initiative Neustädter Freiheit“ zu nennen, allein schon, weil sie den Namen des Ortes, um den es hier geht, im Namen trägt. Die Gruppe um die Landschaftsarchitektin Erika Schmidt will, zugespitzt formuliert, die Zeitschicht DDR erhalten und als Ausgangspunkt einer Weiterentwicklung ernstgenommen wissen. Bei der Gruppierung handelt es sich nicht um Alteingesessene, die dem real existierenden Sozialismus nachweinen – vielmehr haben sich hier auch viele aus anderen, auch westdeutschen Regionen oder gar aus dem Ausland Zugezogene vernetzt, die zunächst keine biographische Verflechtung mit dem Siebziger-Jahre-Bestand hatten und seine Qualitäten mit Neugier entdeckt und zu schätzen gelernt haben.
Tatsächlich hat die DDR hier, am Eingang in die Innere Neustadt, ein Ensemble von durchaus augenfälliger Qualität hinterlassen, die eine große städtebauliche Geste ebenso enthält wie sorgfältig gestaltete Ausstattungsstücke und Gartenarchitekturen. Auch wenn manches davon inzwischen beschädigt oder ersetzt worden ist – der Stadtraum ist ein für den Wandel der städtebaulichen Leitbilder höchst aussagekräftiges Beispiel, gerade im Vergleich zur Fußgängerzone Prager Straße mit ihren Hochhausscheiben aus den sechziger Jahren auf der anderen Seite des Stadtzentrums.
Aber natürlich wirbt auch die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden, kurz GHND (Achtung Fallstrick – der Neumarkt ist nicht der Neustädter Markt, sondern der nach 2005 in An­lehnung an alte Postkartenmotive neu bebaute Platz zu Füßen der Frauenkirche auf der Altstädter Seite), für ihr Anliegen einer möglichst am Vorkriegszustand angenäherten Umarbeitung des Platzes, auf dass die Rekonstruktionswelle auf das andere Elbufer schwappe. Es gibt die Architekten- und Stadtplanerzunft, die zusammen mit der Stadt auf das Wettbewerbsergebnis von vor zwei Jahren pocht, bei dem Bernd Albers Architekten aus Berlin mit einer knochentrockenen Kritischen Rekonstruktion den ersten Preis errungen haben. Zuletzt hat sich das Landesamt für Denkmalpflege eingeschaltet und den Neustädter Markt – also „die gesamte Platz- und Straßenanlage mit Platzwänden (DDR-Plattenbauten), Grünanlagen, Kleinarchitekturen, Denkmal und Mobiliar“ – Ende Mai unter Schutz gestellt. „Die Ausweisung des Neustädter Marktes als Kulturdenkmal ist ein wichtiges Signal in die Stadt und würdigt das Engagement der ehrenamtlichen Initiativen für Denkmalpflege und Baukultur. Die Identität und Erinnerungskultur einer Stadt fußt auf den architektonischen Zeugnissen verschiedener Zeitschichten und damit auch der Nachkriegsmoderne“, so Landeskonservator Alf Furkert. Wer nach vorne blickt, blickt oft auch zurück, und umgekehrt.
In der Pressemitteilung des Landesamts, veröffentlicht am 14. Juni, wird die Rolle der Bür­gerinitiative ausdrücklich erwähnt. Kam die Entscheidung für die Aktivisten überraschend? Mitte August treffe ich Erika Schmidt, Antje Kirsch, Hans-Jörg Schwabl und Roland Steffan am Neustädter Markt, um über die bisherige Tätigkeit der Initiative, den Erfolg der Unterschutzstellung und ihre weitere Perspektive für den Platz zu sprechen. Zwei weitere Gründungsmitglieder, Architekt Alexander Heber und Kunsthistoriker Martin Neubacher, sind verhindert. Zur Vorbereitung hat mir Frau Schmidt eine Übersicht der Aktivitäten ihrer Gruppe geschickt. Das Dokument, dass diese von der Gründung Ende 2018 in der Galerie Ursula Walter am Neustädter Markt an auflistet, zählt immerhin 17 Seiten; mit seiner Lektüre ist die knapp zweistündige Zugfahrt von Berlin gut ausgefüllt. Die Arbeitsweise der Bürgerinitiative wird jedoch schnell deutlich. Ein zentraler Bestandteil ist Öffentlichkeitsarbeit, um über Geschichte, Qualität und Bedeutung des Platzes zu informieren und eventuell weitere Mitstreiter zu gewinnen: Flyer, Infostände, Stadtspaziergänge, aber auch Aktionen, die mediale Aufmerksamkeit generieren und mitunter Happening-Charakter annehmen, wie die „Fata Morgana“ im April 2019, mit der die Initiative die Wirkung einer Bebauung auf dem Markt simuliert, wie sie im Plan von Bernd Albers eingezeichnet ist, oder das „Brunnenpicknick“ am Tag des offenen Denkmals 2020, mit dem die Sanierung des 2019 unter Denkmalschutz gestellten Brunnens von Friedrich Kracht auf der östlichen Platzseite befördert werden soll.
Ein zweiter Kern der Arbeit ist weniger sichtbar: die Präsenz der Initiative bei politischen Versammlungen und Beschlussfassungen samt Wortmeldungen wann immer möglich. Ein dritter Punkt schließlich, noch weniger offenkundig, sind Gespräche mit Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung, um dem Ziel der Initiative – die Anerkennung des Neustädter Markts als bedeutendes Ensemble der späten DDR und als grüner, öffentlicher Raum der Gegenwart – Gehör zu verschaffen.
Im Gespräch wird vor allem eines von den Engagierten betont: Es geht ihnen nicht darum, Veränderungen zu unterbinden – worauf die „Neustädter Freiheit“ abzielt, ist, die vorhandene Stadt weiterzuentwickeln statt von einer „alternativen Geschichte“ zu träumen, in der weder die Zerstörung der Stadt noch der Neuaufbau in vierzig Jahren sozialistischer Stadtplanung eine Rolle spielen. Gerade an einem Ort wie dem Neustädter Markt, wo ein bis ins Detail gestaltetes Ensemble existiert, erscheint eine solche Haltung derartig naheliegend, dass jeder Gedanke an eine Rekonstruktion von Vergangenem im Grunde absurd, wenn nicht lächerlich wäre. Nicht so in Dresden: Mit dem „Narrenhäusel“ steht ein erstes Rekonstruktionsprojekt schon am Start (s.Letzte Seite). „Auf der Hut bleiben“ müsse man, ist sich Erika Schmidt gewiss.

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