Bauwelt

Irrlichternd

Die Frankfurter Paulskirche steht zwischen Sanierung und Rekonstruktion. Wer gehört zu welchem Lager?

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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Blick aus dem ehemaligen Regieraum in den Saal. Unten der Schnitt durch die historische Paulskirche (1848)
Foto: Moritz Bernoully, Grafik: Feigenbaumpunkt

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Blick aus dem ehemaligen Regieraum in den Saal. Unten der Schnitt durch die historische Paulskirche (1848)

Foto: Moritz Bernoully, Grafik: Feigenbaumpunkt


Irrlichternd

Die Frankfurter Paulskirche steht zwischen Sanierung und Rekonstruktion. Wer gehört zu welchem Lager?

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

In einem Brief vom 21. Mai 1947 dankt Rudolf Schwarz dem „Liebe(n) Mies“ für das große Paket aus Chicago, das als „unerwartete Gabe“ genau zu seinem Geburtstag eingetroffen war. Dann kommt er auf sein aktuelles Projekt, den Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche, zu sprechen und meint: „Der große Krach ist bereits ausgestanden, denn eigentlich meinten die Frankfurter, es sollte alles wieder so nett werden, wie es war, mit allerlei Emporen und Zwischengeschossen und so…“ Da sollte er sich täuschen. Zwar schuf Schwarz, der sich mit den Kollegen Johannes Krahn, Eugen Blank und Gottlob Schaub zur „Planungsgemeinschaft Paulskirche“ zusammenschloss, ein hoch anerkanntes nationales Denkmal, zu dessen Wiederaufbau Sach- und Geldspenden aus allen vier damals besetzten Sektoren des bald geteilten Deutschlands eintrafen. Der große Krach aber kam wieder, und die Stimmen derjenigen, die es nett haben wollten, sollten nicht verstummen. Am lautesten meldete sich 2017 die Zeit. Chef­reporter Benedikt Erenz wetterte aufs wortreichste gegen die „edle Buß-und-Reu-Architektur“, den „endlos leeren weißen, purgierten, gleichsam abstrakten Raum“ und den „Sakro-Existenzialimus des Rudolf Schwarz“. Die dringend notwendige Sanierung des „verwahrlosten“ Gebäudes böte eine „Riesenchance“, den „parlamentarischen Raum“ und das „historische Plenum“ von 1848 wieder erfahr- und erlebbar zu machen.
Die Resonanz war groß, die Diskussion nahm ihren Lauf. Aus Angst, Wählern zu missfallen und diese in die Hände der AfD zu treiben, drückt sich die Frankfurter Politik schon seit Jahren, die Stadtentwicklung mutig voranzutreiben und lässt den wackeren Planungsdezernenten alleine. Stattdessen stürzte man sich eifrig in eine inzwischen ziemlich unübersichtlich gewordene Symboldebatte um die Paulskirche, die einmal mehr dem altbekannten Muster „Tradition gegen Moderne“ folgt. Da gibt es die Befürworter einer Rekonstruktion des Zustands von 1848, als die Paulskirche die erste halbwegs frei und demokratisch gewählte deutsche Nationalversammlung beherbergte. Auf Pro-1848 stehen die Bild-Zeitung, die auch gleich eine Leserumfrage mit wenig überraschendem Ergebnis dazu beisteuerte, junge Sozialdemokraten und Liberale, die sich im Aufwind wähnenden Altstadtfreunde und, wenig überraschend, diverse Rechtspopulisten. Den 1948er-Zustand sanieren wollen dagegen die demokratischen Fraktionen im Stadtparlament und der lokale BDA. Auch die Bundespoli­-tik schaltete sich ein. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den mangelnden Ehrgeiz kritisierte, „die Paulskirche zu einer modernen Erinnerungsstätte für die Demokratie zu machen“, genehmigte der Haushaltsauschuss des Bundestages insgesamt 19 Millionen Euro, um die Paulskirche zu sanieren.
Und schließlich gibt es da noch den kommunalrechtlich für die Paulskirche zuständigen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, der zwischen Populismus und vorauseilendem Gehorsam, zwischen 1848 und 1948 irrlichtert. Der mittlerweile wegen Verdacht auf Vetternwirtschaft politisch angeschlagene Sozialdemokrat hat bereits mit Dutzenden von Jugendverbänden über die Gestaltung der Paulskirche gesprochen. An­dererseits will er sich etwaigen (Gestaltungs-)Wünschen des Bundespräsidenten nicht verschließen und regt darüber hinaus ein „Demokratiezentrum“ an. Unklar bleibt aber, ob dieses in der Paulskirche, in einem Neubau am Paulsplatz oder auf einem Parkplatz nordwestlich der Paulskirche angesiedelt werden soll.
Ein weiterer Debattenbeitrag kommt vom Deutschen Architekturmuseum. Mit der Ausstellung „Die Paulskirche – ein bedrohtes Denkmal“ will es die Diskussion auf eine sachliche Grundlage stellen und „Aufklärungsarbeit leisten“. Doch genau das tut die Schau nicht, sie ist als reine Anti-Rekonstruktions-Ausstellung konzipiert. Zwar verspricht der Pressetext, „die Baugeschichte der Paulskirche von 1786 bis in die Gegenwart“ zu schildern. Doch alles, was vor der Zerstörung des Gebäudes durch Brandbomben 1944 passiert ist, wird sowohl qualitativ als auch quantitativ zur wenig wesentlichen Vorgeschichte des Schwarz’schen Denkmals minimiert. Letztlich wirkt diese Ausstellung wie eine aktualisierte Illustration des aus dem Archiv gekramten Erläuterungstextes, die mit Originalplänen aus Krahns Nachlass, ein paar Trouvaillen und einer schrillen Grafik aufgepeppt wird. 1948 hatte Schwarz Le Corbusiers „promenade architecturale“ für die Paulskirche reformuliert: aus dem „Dunklen und Drückenden“ der mit stämmigen Marmorsäulen ausgestatteten Wandelhalle im Erdgeschoss „ins Helle und Freie“ des schneeweiß gestrichenen Obergeschosses. Ein Aufstieg, der „den Willen unseres Volkes“ symbolisiere, nach dem Zusammenbruch „eine bessere Ordnung aufzubauen“. Ob denn diese Intention, auch wenn man mit ihr sympathisiert, jemals die Besucher der Paulskirche erreicht hat und heute noch erreicht, diese zarte Frage zu stellen, scheint derzeit völlig unstatthaft. Ebenfalls die Frage, ob denn dem Gebäude – etwa der Wandelhalle, die nicht nur dunkel und drückend, sondern vor allem unheimlich trist wirkt – oder der seit 70 Jahren ungelösten städtebaulichen Situation nicht doch eine zeitgemäße Schicht hinzuzufügen sei. „Der Nachkriegsbau erzählt eine politische Geschichte. Eine Geschichte, die zurück in die Köpfe muss“, befiehlt der DAM-Pressetext. „Rekonstruktion wäre Zerstörung“ lässt Direktor Peter C. Schmal wissen. Und der heimische BDA schreibt: „Denkmalschutz ist keine Mehrheitsfrage.“
Die Vermutung sei erlaubt, dass, je mehr die Fachwelt in restriktiver, einen Dialog verweigernder Verteidigungshaltung verharrt, je größer wird der Spielraum für Populisten wie Feldmann und andere. Zwar haben mittlerweile die die Frankfurter Rathauskoalition bildenden Fraktionen der CDU, SPD und Grünen einen gemeinsamen Antrag zur Paulskirche erarbeitet. Danach sei diese in der Erscheinungsform des Wiederaufbaus zu sanieren. Dessen ungeachtet will der Oberbürgermeister „einen breiten Beteiligungsprozess quer durch die Republik“ organisieren, streitet sich aber momentan mit dem christdemokratischen Baudezernenten über Zuständigkeitsfragen. Schon heute erscheint eine Sanierung pünktlich zum 175. Jubiläum der Nationalversammlung im Jahr 2023 unwahrscheinlich. Aber soll jetzt das Demokratie-Zentrum ein eigenes Gebäude erhal­ten. Und sofort wurde dafür eine weitere Rekonstruktion ins Spiel gebracht:die der 1843 nach Plänen von Friedrich August Stüler fertiggestellten, bereits 1879 zu klein gewordene und deshalb verlassenen Alten Börse, die bis zu ihrer Zerstörung 1944 die Paulskirche im Osten flankiert hatte.

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