Bauwelt

Die Zukunft der urbanen Mobilität: klein, geteilt und umweltverträglich

Die Dominante der städtischen Verkehrsinfrastruktur ist noch immer das Auto. In Zukunft könnten die Modelle elektrisch über die Straßen surren. Attraktivere Städte entstehen so aber nicht: Warum Mikromobilität und vernetzte Verkehrsmittel-Systeme unsere Städte lebenswerter machen werden.

Text: Martin, Robert, Kopenhagen

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    Waymos erste „selbst­fahrende“ Fahrt auf öffentlichen Straßen, 2017
    Foto: Waymo

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    Waymos erste „selbst­fahrende“ Fahrt auf öffentlichen Straßen, 2017

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    Beispiele für Verkehrsmittel der Mikromobilität
    Foto: JAJA Architects

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    In Greenwich, Con­necticut, werden Stellplätze während der Corona-Einschränkungen als Außenbereich eines Restaurants genutzt.
    Foto: NACTO

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    In Greenwich, Con­necticut, werden Stellplätze während der Corona-Einschränkungen als Außenbereich eines Restaurants genutzt.

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    Wenn weniger Autos auf der Straße par­ken, können neue Gemeinschaftsorte entstehen.
    Abb.: JAJA Architects

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    Wenn weniger Autos auf der Straße par­ken, können neue Gemeinschaftsorte entstehen.

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Die Zukunft der urbanen Mobilität: klein, geteilt und umweltverträglich

Die Dominante der städtischen Verkehrsinfrastruktur ist noch immer das Auto. In Zukunft könnten die Modelle elektrisch über die Straßen surren. Attraktivere Städte entstehen so aber nicht: Warum Mikromobilität und vernetzte Verkehrsmittel-Systeme unsere Städte lebenswerter machen werden.

Text: Martin, Robert, Kopenhagen

Noch vor wenigen Jahren bereitete sich die Welt auf selbstfahrende Kraftfahrzeuge vor. Angeheizt von dem Hype um Risikokapital, sagten Berater­firmen und Unternehmen voraus, dass innerhalb von zehn Jahren das bislang bekannte Fahren eine Sache der Vergangenheit sein werde.1 Beina­he existierte schon die fahrerlose Zukunft, ein Versprechen, das wir aus Science-Fiction Geschichten des letzten Jahrhunderts kennen. Aber sie wird nicht kommen.
Bemerkenswert war das Tempo, mit dem die Welt ihre Erwartungen bezüglich des autonomen Fahrens änderte. 2017 erklärte John Krafcik, Geschäftsführer von Waymo (ein Unternehmen von Google, das führend auf dem Feld der Roboterauto-Technologie ist) öffentlich, dass es die „vollkommen selbstfahrenden Autos schon gibt“. Ein Jahr später räumte er ein, dass ausschließlich autonomes Fahren unmöglich sei. 2 Die Tech-Optimisten waren nicht auf die technologischen Herausforderungen der Komplexität des realen Verkehrs vorbereitet, genauso wenig wie auf die gesetz­lichen Vorgaben, welche zu erfüllen wären, um selbstfahrende Autos auf die Straße zu bringen. Und auch nicht auf die mangelnde Bereitschaft der Menschen, die Kontrolle über ihre Gefährte an einen Roboter abzugeben. Der eifrig propagierte Zeitraum der angenommenen zehn Jahre, bis die fahrerlose Zukunft Gegenwart sein würde, erstreckte sich nun bis weit nach 2050 und die Industrie überkam Desillusion.
Wenn also das autonome Fahren nicht die Zukunft der urbanen Mobilität ist, was dann? Weiter machen wie bisher sicher nicht. Wie meist im Falle eines Paradigmenwechsels kommt der Druck eher von außen als von innen. Aktuelle globale Megatrends von Urbanisierung, Digitalisierung und Dienstleistungssystemen können mehr Einsicht in die Zukunft der Mobilität geben als die Lektüre der neuesten Prospekte der Autohersteller. Tatsache ist, dass es immer mehr von uns in die Städte zieht, in denen wir ein zunehmend digitalisiertes Leben führen. Wir haben viel eher Zugriff auf Güter und Dienstleistungen durch Apps auf unseren Handys, als das wir diese real besitzen oder im Stadtraum nachfragen.
Je dichter unsere urbane Umgebung durch die Bevölkerungszunahme wird, desto eher werden sich Städte von einem privaten Autobesitz wegbewegen müssen. Autos brauchen zu viel Platz und Städte können sich die Kosten für das Aufrechterhalten einer Autonutzung wie im 20sten und frühen 21sten Jahrhundert nicht mehr leisten. Eine Pkw-Fahrt von Zuhause zur Arbeit beansprucht 90 mal mehr Raum, als dieselbe Fahrt mit Bus oder Straßenbahn,3 und beträchtlich mehr, als wenn ein Fahrrad benutzt worden wäre. Selbst in Kopenhagen, einer der Fahrradhauptstädte der Welt, sind 66Prozent des Straßenraumes den Autos vorbehalten, während nur
9 Prozent der Fahrten mit diesem Verkehrsmittel unternommen werden.4 Außerdem trägt der Autoverkehr mit 20Prozent zum Treibhauseffekt bei.5 Städte sind bemüht, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und die Erhebung vonGebühren für die Fahrt auf überlasteten Straßen scheint sich dabei als nützlich zu erweisen. Daher können sich auch die Stadtbewohner die Verbrauchskosten einer gleichbleibend hohen Autonutzung bald nicht mehr leisten.

Mobilitätstrends bilden sich heraus

Die Mikromobilität stellt zunehmend ihr Potenzial unter Beweis, die Verkehrsherausforderungen in immer weiter verdichteten Städten zu bewäl­tigen. Den Begriff der Mikromobilität prägte der Branchenanalyst Horace Dediu und er bedeutet weit mehr als nur die Nutzung von Fahrrädern und Skateboards. Dediu erklärt, dass es ihm nicht unbedingt um „Mikro“ im Sinne von klein ginge. Eher leistet die Mikromobilität seiner Meinung nach dasselbe für den Verkehr, was die Mikroprozessoren für den Computer leisten. Aus Dedius Sicht stellt sich eine Definition aus drei Faktoren zusammen – Gewicht, Elektrifizierung und Gebrauch. Primär umfasst die Standarddefinition Geräte, die unter 500 kg wiegen. Sekundär sind diese mi­kromobilen Fortbewegungsmittel neben dem Fahrrad all jene Kleintransportmittel, die nicht als Spielzeug, sondern zur zielgerichteten Fortbewegung genutzt werden. Dazu zählen etwa E-Bikes, Tretroller oder kleine, überdachte Elektro-Vehikel, die nach Charakteristika wie Fläche, Lenkung, Sitz oder Überdachung kategorisiert werden.
Während der letzten beiden Jahre wuchs die Mikromobilität exponentiell. In Europa war die Nachfrage nach E-Bikes gegenüber Elektroautos um den Faktor 10:1 höher, in China gar um den Faktor 20:1.6 Obwohl ausleihbare Elektro-Tretroller erst 2018 auf den Markt kamen, gab es bereits Ende desselben Jahres weltweit 38,5 Millionen Fahrten.7 Diese Zahlen sollten eigentlich nicht überraschen, denn Bezogen auf Treibstoff, Raum und Geld kostet es bedeutend weniger, wenn eine Person ein 20 kg schweres Gefährt mit einem leistungsfähigen Elektromotor benutzt, als es kosten würde, sie in einem 1500 kg schweren Auto mit einem energetisch ineffizienten Verbrennungsmotor zu transportieren. Außerdem ist die Mehrzahl aller Autofahrten kürzer als 10 km. Eine Distanz also, die gut mit kleinen, aktiveren und weniger verschmutzenden Formen der Mobilität überwunden werden kann.
Trotz der Kosteneffektivität und der Geschwindigkeit, mit der die Vehikel der Mikromobilität die Emissionen des Verkehrs reduzieren könnten, bleibt ein bemerkenswerter Widerstand. Ungeachtet des kulturellen Status, den Autos in der Gesellschaft haben, haben die Narrative, die den Autobesitz umgaben, immer auch „Was – wenn?“-Szenarien beinhaltet. Obwohl die durchschnittliche Belegungsrate pro Autofahrt nur 1,1 bis 1,2 Personen beträgt,8 werden diese Autos für einen Supermarkteinkauf einmal pro Woche, eine gelegentliche Fahrt zu IKEA oder den jährlichen Familienausflug genutzt. Die Kosten für Volkswirtschaft, Umwelt und Raum, die sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft für die Option dieser zusätzlichen Möglichkeit tragen, lassen sich vermeiden.
Mobilität als Dienstleistung (Mobility as a Service, MaaS) ist ein Konzept, das die Lücke zwischen Zugriff und Kosten überbrücken möchte. MaaS beschreibt eine Wendung von der Mobilität im eigenen Auto hin zu einem Verkehr, der durch die Dienstleistung, Verkehrsmittel entleihen zu können, ermöglicht wird. In derselben Weise haben wir schon Zugang zu Musik über Spotify, zu Film über Netflix und zu Software über Adobe erhalten. So können die Zwänge fester Vertragsformen vermieden und stattdessen die Mobilitätsform gewählt werden, die am besten zur jeweiligen Reise passt.
Der Nutzer erreicht MaaS-Systeme durch eine App oder Webseiten. Gemäß seinen Reisewünschen bekommt er Möglichkeiten angezeigt, die auf verschiedenen Transportarten, Schnelligkeit, Kosten und Komfort beruhen und die alle in einem einzigen Bezahlsystem integriert sind. Dieses Konzept kennen wir auch von Uber, Lyft und Lime, aber diese bezogen sich auf je eine Mobilitätsform. Heutige Angebote von MaaS enthalten eine Vielzahl von Transportmöglichkeiten: ÖPNV, Leihautos, Fahrräder oder Tretroller. Das Potenzial von MaaS liegt also darin, dass der Nutzer aufgrund der vielfältigen Leihmöglichkeiten von nachhaltigeren Mobilitätsarten seine individuellen Mobilitätswünsche nicht ausschließlich durch die Fahrt mitdem Auto erfüllt sieht. Und letztlich dennoch die Bequemlichkeit einer Autofahrt genießen kann, wenn er sie braucht – ohne die volle Höhe von Park-, Unterhalts- und Versicherungskosten zu zahlen.

Das Raumpotenzial der Zukunftsmobilität

Im Wesentlichen zeigen Mobilitätstrends der Zukunft, dass die Leute sich von Privatfahrzeugen abwenden und sich auf nachhaltigere Verkehrsformen umstellen. Wenn die Städte von der Überlastung durch Autos befreit werden, kann neuer Raum gewonnen werden. Die früher reinen Straßenräume können mit sozialen und der Gesundheit dienlichen Alternativen wie Grünflächen, öffentlichen Plätzen, Märkten, Geschäften oder öffentlichen Einrichtungen gefüllt werden. Dieser Ausblick macht den Übergang in eine zukünftige Mobilität attraktiver und akzeptabler für die Öffentlichkeit und damit auch realisierbar. Obwohl die Verkehrsplanung außerhalb des traditionellen Gebiets von Architekten und Stadtplanern liegt, benötigen diese frei gewordenen Räume deren Dienste, damit innovative neue Gebäudetypologien und öffentlicher Raum innerhalb dieser neuen Gegebenheiten geschaffen wird.
Das mag einigen verrückt vorkommen, aber während der ersten Monate der Corona-Pandemie haben wir bereits gesehen, was die Zukunft bereithalten könnte. Regeln zur Beachtung der sozialen Distanz verlangten mehrRaum für öffentliche Plätze, breitere Bürgersteige und größere Außenflächen für Restaurants und Cafés. Die logische Lösung war, den Straßenraum zeitweise für diese Funktionen zu nutzen, weil die Maßnahmen des Lockdown auch zu einer Verringerung des Straßenverkehrs geführt hatten. Viele Städte in Europa haben Pop-up Radwege angelegt, um Verkehrsmöglichkeiten zu schaffen, die die Nutzung des ÖPNV vermeidbar machten und so das Ansteckungsrisiko minimierten. London, Paris und Mailand stellten sogar spontan Hunderte Millionen Euro zur Verfügung, um den Radfahrern mehr öffentlichen Raum zuzuweisen und von der gegenwärtig eingeschränkten Autonutzung profitieren zu können.

Wie können sich Städte vorbereiten?

Anzunehmen, die Umstellung auf Elektroautos würde ihre Transportprobleme lösen, wäre der größte Fehler, den Städte machen können, wenn sie sich auf die Zukunft der Mobilität vorbereiten. Auch wenn sie Mautsystem schaffen müssen, um von der fossilen Energie wegzukommen, bedeutet das, dass bezüglich der Anwendung und Größe der Fahrzeuge Elektroautos keinen nennenswerten Einfluss auf die vorhersehbare Zukunft haben. Anstelle dessen sollten sich die Städte auf eine Verkehrswende fokussieren. Sie sollten überflüssige Forderungen nach Parkmöglichkeiten zurückweisen, Fahrradwege an ihrer Stelle anlegen und die Bürgersteige verbreitern. Ebenso sollten sie in MaaS-Plattformen investieren, die Fahrten und das Ticketing des gesamten öffentlichen Verkehrs integrieren, während sie dasAutoleihsystem vergrößern, um die Abhängigkeit von privatem Autobesitz zu reduzieren. Städte können auch an Events teilnehmen, wie beispielsweise dem World Car Free Day, welche ein Bewusstsein für die Wohltaten schaffen, die entstehen, wenn die Autoinfrastruktur für andere Zwecke genutzt und grüne Mobilitätsinitiativen unterstützt werden.
Wenn wir auf selbstfahrende Autos, Drohnentaxis und Hyperloops hofften, scheint es langweilig, Parkregeln und Radwege zu diskutieren. Jedoch sind eben diese die tiefhängenden Früchte, die die Städte heute ernten können, um positive Resultate in naher Zukunft zu erhalten. Womöglich werden noch aufregendere Verkehrstechnologien auftauchen, aber ohne angemessene Investition in nachhaltigen und sicheren Verkehr heute werden wir diese Zukunft wahrscheinlich niemals kommen sehen.
1 James Arbib, and Tony Seba. Rethinking Transportation 2020-2030: The Disruption of Transportation and the Collapse of the Internal-Combustion Vehicle and Oil Industries. Rethink X. 2017
2 Wall Street Journal. Are We There Yet? The Future of Driverless Cars. 2018
3 Mark Nieuwenhuijsen, and Haneen Khreis. Car free cities: Pathway to healthy urban
living. Environment International. 2016; 94:251–62
4 City of Copenhagen. Member proposal on the introduction of road pricing in Copen-
hagen. Copenhagen City Council. 2018
5 European Environment Agency. Progress of EU transport sector towards its environment and climate objectives. 2018
6 Oliver Bruce. If you care about climate change you should care about micromobility.
Micromobility.io. 2019
7 National Association of City Transportation Officials. Shared Micromobility in 2018.
Nacto. 2019; 1–16
8 European Environment Agency. Occupancy rates. Copenhagen; 2008

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