Alles lässt sich reparieren oder auswechseln
Karl Clauss Dietel in der Kunstsammlungen Theaterplatz Chemnitz
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Alles lässt sich reparieren oder auswechseln
Karl Clauss Dietel in der Kunstsammlungen Theaterplatz Chemnitz
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Horch, Wanderer, DKW und die Auto-Union: ihre Namen stehen für eine europäische Automobilgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, bis zur deutschen Teilung in der sächsischen Industrieregion um Chemnitz angesiedelt. Mit rund 400 Betrieben war sie zur leistungsfähigen Hochburg rund um das zwei- und vierrädrige Fahrzeug avanciert. DKW, etwa, war 1928 der weltweit größte Motorrad-Hersteller. Klar, dass nach der Abwanderung vieler Firmen in den Westen und der Zwangsverstaatlichung verbliebener Produktionsanlagen eine neue Fahrzeugindustrie der DDR nur mühsam an den Weltmarkt hätte aufschließen können. Umso mehr befremdet, mit welch ideologischer Verbohrtheit wegweisende Entwicklungen einer eigenständigen, innovativen und vor allem: international konkurrenzfähigen Fahrzeugkultur immer wieder vereitelt wurden. Trabant und Wartburg wurden allenfalls belächelte Exoten.
Davon weiß der wohl bekannteste Formgestalter der DDR, Karl Clauss Dietel, eine Menge zu erzählen. Einer seiner Schwerpunkte waren Fahrzeuge. 1934 im Brandenburgischen geboren, lernte er Maschinenschlosser und besuchte anschließend die Ingenieurschule für Kraftfahrzeugbau Zwickau. Ab 1956 folgten ein Studium der Formgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee und 1961 das Diplom mit Auszeichnung. Sein Abschlussentwurf galt einem „sozialistischen Auto“ der unteren Mittelklasse: langer Radstand, familienfreundlich großes Nutzvolumen bei möglichst kleiner Standfläche, keine Chromzier, gute Rundumsicht, Frontantrieb und leichte Bedienbarkeit. Der Clou war eine französisch inspirierte, durch Sitzhaltung und Fahrgefühl begründete Voll- bis Steilheckkarosse, in Formvarianten aerodynamisch ausgetüftelt und fotografisch dokumentiert. Ein wenig antizipierte sie den 1965 herausgebrachten, wenngleich eleganteren und prompt von der internationalen Motorpresse zum „Auto des Jahres“ gekürten Renault 16 mit seiner markanten Heckklappe. Der PKW-Bau der DDR jedoch beharrte fast bis zum bitteren Ende auf dem biederen Stufenheck – und dem Umweltfrevel Zweitaktmotor.
In einer kollektiven Aufbruchsstimmung der frühen 1960er Jahre entschied sich Dietel 1963 für die Freiberuflichkeit, meist mit seinem Kollegen aus Berliner Studienzeiten, Lutz Rudolph (1936-2011). Lang wurde die Liste ihrer Entwürfe „für die Abstellräume“, so Dietel einmal sarkastisch. Mit der Niederschlagung des Prager Frühlings drehte 1968 die politische Großwetterlage der DDR – im kulturellen Sektor, wie auch im Fahrzeugbau. Weit gediehene Entwicklungsarbeiten für Nachfolgemodelle des Trabant wurden abgebrochen, sein Viertakttriebwerk hätte Skoda liefern sollen. Ironischerweise wurde 1989 dann die heckflossenbewehrte, seit 1958 fast unverändert produzierte „Rennpappe“ Trabant zum Symbol des friedlichen Untergangs der DDR. Oder wie Dietel es sagt: Sie ist die Metapher für ihr Scheitern. In keiner anderen künstlerischen Disziplin sei eine staatliche Eingrenzung so stark zu empfinden gewesen wie im Bereich der Produktgestaltung, nirgends habe es derartige Abwanderungen in den Westen gegeben, aber auch Verzweiflung bis zum Suizid, so Dietel. Er war ab 1974 Vizepräsident im Verband bildender Künstler VBK, trat 1981 nach Repressalien durch das Amt für industrielle Formgestaltung, das Freiberufler gerne eliminiert gesehen hätte, zurück. Während der Wende wird er kurzfristig Präsident des VBK, erhält 2014 als erster Gestalter aus der DDR den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk.
Die Kunstsammlungen Chemnitz widmen Karl Clauss Dietel derzeit einen ersten Überblick über sein mehr als 60-jähriges Schaffen. Als Freiberufler stets mit dem System in Konflikt, politisch beäugt bis offen angegriffen, hat er sein individuelles Werk zusammengehalten und 2019 den Sammlungen seiner Heimatstadt 8.800 Positionen als Vorlass übergeben: Skizzen, Werkpläne, Fotografien, Form- und Funktionsmodelle. 2020 wurde der Fundus gemeinsam erschlossen – für alle Beteiligten anstrengend, für Dietel wiederum überraschend zu rekapitulieren, was er neben Fahrzeugen, Schreibmaschinen, wie die in den West-Export gegangene „Erika“, oder Geräten für den halbprivaten Hersteller Heliradio, noch weiteres gemacht hat: Stadtgestaltung, Bauplastik, auch das Grabmal der Bauhäuslerin Marianne Brandt. Sein entwurfliches Credo forderte für ein Gebrauchsobjekt, dass es langlebig, leicht und handlich, kurz: lebensfreundlich sein solle. Das bedeutete auch: anders als die Wegwerf-Konsumgüter des Westens zeitlos in der Gestaltung und gut zu reparieren. Sein daraus entwickeltes „Offenes Prinzip“ – auch das eine kaum ideologiekonforme Philosophie – bewährt sich bis heute in einem seiner erfolgreichsten Entwürfe, dem Simson Mokick, das 1974 in Serie ging. Alles lässt sich auswechseln, es gibt Motoren und Ersatzteile, mittlerweile aus chinesischer Produktion, so dass Grundrahmen mit Typenschild ausreichen, um immer wieder ein zulassungsfähiges Fahrzeug neu aufzubauen. So sind aktuell wohl mehr Simsons in Betrieb als zur Wende, schätzt Dietel.
Er verortet sich in einer nationalen Tradition des Werkbundes und des Bauhauses, fortgeführt an der Hochschule Weißensee. In diesem Sinne hat er an der Burg Giebichenstein in Halle unterrichtet und die Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg geleitet. Seinen kulturellen Anspruch an eine Formgestaltung sieht Karl Clauss Dietel als wesentlichen Unterschied zu „modischen“ Designs, besonders im Fahrzeugbau: „Ich war, bin und bleibe ein deutscher Gestalter“.
simson, erika und diamant. Formgestaltung von Karl Clauss Dietel ist bis zum 3. Oktober in der Kunstsammlungen Theaterplatz Chemnitz zu sehen
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