Bauwelt

Farbwelten statt Braukessel

Für die Ausstellung selgascano arquitectos: unstable zones im Tiroler Architekturzentrum aut in Innsbruck, gibt das spanische Architekturbüro in den Räumlichkeiten der ehemaligen Brauerei mittels einer raumgreifenden Installation Einblick in sein Schaffen.

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

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    Ausstellung "SelgasCano Arquitectos: Unstable Zones" im aut
    Foto: © Günter Richard Wett

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    Ausstellung "SelgasCano Arquitectos: Unstable Zones" im aut

    Foto: © Günter Richard Wett

Farbwelten statt Braukessel

Für die Ausstellung selgascano arquitectos: unstable zones im Tiroler Architekturzentrum aut in Innsbruck, gibt das spanische Architekturbüro in den Räumlichkeiten der ehemaligen Brauerei mittels einer raumgreifenden Installation Einblick in sein Schaffen.

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

Instabilität prägt die Gegenwart, doch selten kann man sie genießen. Anders in der Ausstellung selgascano arquitectos: unstable zones, die derzeit im aut in Innsbruck zu sehen ist. José Selgas und Lucía Cano zelebrieren hier das Unbeständige, den flüchtigen Moment, in all seiner farbenfrohen Verspieltheit. Dabei wollen sie mit ihrer räumlichen Intervention in einen kontinuierlichen Dialog mit der Geschichte des Ausstellungsortes treten. Das Tiroler Architekturzentrum ist in einem ehemaligen Brauereigebäude ansässig, dem Adambräu-Sudhaus. Vier kreisrunde, abgedeckte Bodenöffnungen, in denen einst die Biertanks standen, zeugen von der früheren Nutzung. Für jede dieser Öffnungen entwarf das Architektenduo zwei kreisrunde Vorhänge aus verschiedenen Materialien mit unterschiedlicher Farbigkeit und Transparenz. Die Vorhänge sind an je einem großen Metallkreis befestigt und formen zwei übereinanderliegende, sich bewegende Zylinder.
Ein originaler, kolorierter Schnitt durch die verschiedenen Ebenen des Adambräu-Gebäudes mit den Braukesseln diente als Inspiration. „Typisch SelgasCano“ ist das Farb- und Materialspektrum der Installation: Das 1996 in Madrid gegründete Büro ist bekannt für polychrome Entwürfe und die Verwendung von ETFE, Acryl und Polycarbonat. Aus diesen industriellen, für konventionelle Architektur eher untypischen Materialien schaffen sie teils transluzente, transparente Strukturen und Bauten, die sich trotz ihrer Farbigkeit und ungewöhnlichen Komposition an den Kontext anpassen, und mit denen das Büro internationale Aufmerksamkeit erlangte. Dazu zählen der temporäre Serpentine Pavilion 2015, das Kongress- und Kulturzentrum in Plasencia oder die Kantine in Londons Design District.
Ahnlich experimentierfreudig agierte das Architektenduo bei der Installation in Innsbruck. Die Zylinder, oben und unten offen, sind mal fransig, mal solide, mal ein luftiger Vorhang und bestehen aus Kunststoffschnüren, Filzbahnen, Metall, Folie und transluzentem Textil. Diese größtenteils günstigen, aber effektvollen Materialien und der daraus geschaffene dynamische Raum sollen die vielfältigen Möglichkeiten der Architektur aufzeigen, mit einfachen Mitteln neue Atmosphären zu kreieren.
So minimal diese Intervention scheint, so komplex war ihre technische Realisation. Ein an der Decke montiertes Motorensystem setzt die Zylinder zeitlich versetzt in gegenläufige Bewegung. Theodor Ganzenmüller setzte dies technisch um, unterstützt von dem kleinen engagierten Team des aut. Anfangs bewegten sich nur zwei der vier Installationen, inzwischen sind alle Motoren in Gang und damit alle Zylinder in Bewegung. Das kontinuierliche Heben und Senken der Vorhänge erzeugt eine vertikale Raumverschiebung, die durch unterschiedliche Raumeindrücke auf den verschiedenen Ebenen des Ausstellungsraums verstärkt wird. Oben verbindet sich die Dynamik der Installation mit dem Außenraum: Der Blick fällt durch die deckenhohe Fensterfront auf die Gleise und Züge, die gegenläufige Horizontalbewegungen erzeugen. Unten, auf der fensterlosen Ebene, schaffen das sanfte Motorgeräusch, der Lichteinfall und das Schattenspiel eine Atmosphäre zwischen Maschinenraum, maritimer Wasserwelt und entrückter Erhabenheit, verstärkt durch die verschiedenen Wandfarben. Diese wechselnden Atmosphären laden zum Entdecken, Verweilen und Träumen ein.
Bei Unstable Zones stehen somit das ästhetische Erleben und die sinnlichen Aspekte der Architektur im Fokus – und nicht eine Rückschau auf das baulich realisierte Oeuvre von SelgasCano. Die diesjährige Sommerausstellung greift damit ein Anliegen des aut auf: die praktische Vermittlung von Haltungen. Der Leiter des Architekturzentrums Arno Ritter setzt sich seit Langem dafür ein, das Architekturverständnis der ausstellenden Büros zu zeigen, statt primär Zeichnungen oder Modelle als Repräsentationen der abwesenden Bauwerke zu präsentieren, wie es in Architekturausstellungen oft üblich ist. Der Ausstellungstitel rekurriert dabei auf die Erdzone, wo die tektonischen Platten aufeinandertreffen und Reibung sowie Erdbeben verursachen: Das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält, ist ständig in Bewegung. Das ist beunruhigend, aber eben auch wunderschön, wenn dieser Wandel entsprechend gestaltet wird, wie SelgasCano in Innsbruck zeigt.


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