Bauwelt

Vom Brutalismus zum Aktivismus?

Im CCA in Montreal wird versucht, der Arbeitsweise von b+ auf die Spur zu kommen.

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

Vom Brutalismus zum Aktivismus?

Im CCA in Montreal wird versucht, der Arbeitsweise von b+ auf die Spur zu kommen.

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

Was bedeutet es, heute Architektin zu sein? Wie sieht eine zukunftsweisende architektonische Praxis in Zeiten der Klimakrise aus? In der deutschen Architektenschaft herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, dass die Antwort ‚Bauen mit und im Bestand‘ lautet. Doch Abriss und Neubau sind noch immer die Regel – und meist günstiger als Umbau und Wiederverwendung. Damit sich das ändert, braucht es neue politische Rahmenbedingungen. Genau diese will auch die europaweite Bürgerinitiative „HouseEurope!“ erreichen. Federführend wirken hier Arno Brandlhuber, Olaf Grawert und Alina Kolar vom Berliner Büro b+ und station+. Brandlhuber und seinen wechselnden Büropartnerinnen machten im letzten Jahrzehnt mit fotogenen (Um)bauten aus viel Beton auf sich aufmerksam. Ist die Initiative ein Umdenken der eigenen Praxis oder die Weiterentwicklung eines widerständigen Entwurfsprozesses, der konsequent Gesetze, Normen und Konventionen hinterfragt?
Die aktuelle Ausstellung „To Build Law“ im Canadian Centre for Architecture (CCA), kuratiert von Francesco Garutti in Zusammenarbeit mit Irene Chin, will der Arbeitsweise von b+ auf die Spur kommen. Sie ist der zweite Teil von „Groundwork“, einer Ausstellungs- und Filmreihe des CCA, die alternative zukunftsweisende Herangehensweisen zeitgenössischer Architekten an die eigene Entwurfsarbeit in den Blick nimmt. Dieses zweite Kapitel stellt die Arbeit von b+ als eine Praxis vor, die sich mit legislativen Fragen auseinandersetzt. „To Build Law“ ist auch der Titel des Dokumentarfilms der Ausstellung, in dem Regisseur Joshua Frank die Arbeit der Initiative fokussiert. Der von Garutti und Chin konzipierte Film ist auch auf der diesjährigen Architektur­biennale zu sehen sein.
Die Ausstellung gliedert sich in eine Enfilade aus drei Räumen. Sie beginnt mit den Berliner (Umbau)projekten, führt über die film- und diskursbasierte Arbeit an der ETH Zürich und endet mit dem Film über „HouseEurope!“. Der chronologische Rundgang startet im Jahr 2007 mit der Gründung des Büros und dem Bürobau Brunnenstraße 9: „Using the Existing“ – die Projekte sind stets mit prägnanten Schlagworten versehen. Die ikonische Antivilla steht für „Questioning the Norm“, San Gimignano Lichtenberg ist ein „Build­ing as Argument“. Schon hier deutet sich der narrativ-diskursive Charakter der Arbeit von b+ an, die stets publikumswirksam und geschickt im Selbstmarketing ist. Das kann nerven, fördert aber oft eine kritisch-konstruktive Debatte.
Neben Modellen und Zeichnungen zeugen Zeitungsausschnitte und Schriftstücke von einer Praxis, die jenseits des Bauens das politische Tagesgeschehen in Berlin aufmischt. Die nüchterne Szenografie erinnert mit ihren schwarzen Tischgestellen an einen rohen Bühnenaufbau, der die Entwurfspraxis in Szene setzt. Gezeigt werden allerdings nicht die Prozesse, sondern deren Resultate – wohl auch dem anfänglichen Format der Retrospektive geschuldet.

Von Gebäuden zu Film

Im zweiten Raum stehen Narrative nun nicht mehr in gebauter, sondern in visueller Form im Vordergrund. Hier wird die Arbeit von station+ gezeigt, dem Lehrstuhl des Büros an der ETH. Das Team erforscht mit Studierenden Film und Video als Gestaltungsmittel, die mittels Storytelling Einfluss auf die Gesellschaft und die gebaute Umwelt nehmen. Neben der Trilogie „Legislating Architecture“, „The Property Drama“ und „Architecting after Politics“ bildet die Arbeit über den Mäusebunker und gegen dessen Abriss die inhaltliche Schnittstelle zur politischen Arbeit von b+ im Kontext von „HouseEurope!“. Aus der Leidenschaft für den Erhalt und die Transformation brutalistischer Bauten erwächst der Impuls, sich gegen Abriss und für Sanierung und Umbau in einem größeren Maßstab einzusetzen. Film dient dabei nicht nur station+ zur Mobilisierung und Informationsvermittlung. Wie bereits in vorherigen Projekten des CCA, wird Film auch hier zum kura­torischen Mittel, um die Arbeit von b+ zu analysieren. So führt der Dokumentarfilm des CCA schließlich in die Gegenwart und folgt dem Kernteam von „HouseEurope!“ bei der politischen Mobilisierung. Hier sehen wir keine Architekten vor CAD-Programmen, sondern Lobbyistinnen, die Netzwerke knüpfen, mit Marketingagenturen sprechen und Strategien entwickeln, um möglichst viele Menschen hinter der Idee der Bürger­inneninitiative zu versammeln: Umbau als neue Norm. Dies ist kein klassischer Aktivismus, sondern ein durchdesignter Prozess, der um die Wichtigkeit der eigenen Sichtbarkeit weiß. Denn um diese Forderung gegen die Baulobby durchzusetzen, bedarf es breiter Bündnisse. „This isn’t about architecture. It’s about creating a more sustainable and inclusive future for all of us“, so Grawert. Doch genau das, so kann man nach dieser Schau resümieren, ist vielleicht die Praxis einer Architektur der Zukunft.

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