Bauwelt

Lädierte Räume

Made in Germany in Hannover: Sprengelmuseum, Kestnergesellschaft und Kunstverein beleuchten die Bedingungen, unter denen in Deutschland Kunst entsteht

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Lotte Lindner & Till Steinbrenner, Echokammer 1–3, Kestnergesellschaft
    Foto: Raimund Zakowski; Courtesy: L. Lindner & T. Steinbrenner

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    Lotte Lindner & Till Steinbrenner, Echokammer 1–3, Kestnergesellschaft

    Foto: Raimund Zakowski; Courtesy: L. Lindner & T. Steinbrenner

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    Schirin Kretschmann, Physical, Kunstverein
    Foto: Raimund Zakowski; Courtesy: Sch. Kretschmann, Galerie Jochen Hempel, Leipzig/Berlin, Galerie Gisela Clement, Bonn

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    Schirin Kretschmann, Physical, Kunstverein

    Foto: Raimund Zakowski; Courtesy: Sch. Kretschmann, Galerie Jochen Hempel, Leipzig/Berlin, Galerie Gisela Clement, Bonn

Lädierte Räume

Made in Germany in Hannover: Sprengelmuseum, Kestnergesellschaft und Kunstverein beleuchten die Bedingungen, unter denen in Deutschland Kunst entsteht

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Was einst die Grand Tour für die Söhne des europäischen Adels und Großbürgertums, die obligatorische Bildungsreise, könnte in diesem Sommer für Kunstaffine die Rundfahrt zu den Spiel­orten der Sommerausstellungen werden. Die Biennale in Venedig, die documenta an gleich zwei Orten und die Skulptur Projekte in Münster, ebenfalls mit externem Part in Marl (Bauwelt 13), warten auf ihre Besucher. Wer dann noch über Rezeptionskapazitäten verfügt, kann einen Abstecher nach Hannover unternehmen, zu „Made in Germany Drei”. Unter diesem Titel veranstalten das Sprengelmuseum, der Kunstverein und die Kestnergesellschaft nun zum dritten Mal, immer parallel zum globalen Großevent documenta, eine Überblicksschau zur Kunst aus Deutschland. Dabei geht es „dezidiert nicht um die deutsche Kunst oder das Deutsche in der Kunst, sondern um Bedingungen und Möglichkeiten künstlerischer Arbeit in Deutschland”, wie man schon im ersten Katalog 2007 klarstellte und in Zeiten neuerlicher Leitkulturdebatten nun nochmals unterstrich.
Wie schon vor fünf Jahren bei „Made in Germany Zwei” bemerkt (Bauwelt 24.2012), entsteht die Kunst aus Deutschland im Wesentlichen in Berlin. Rund zwei Drittel der jetzt beteiligten 33, meist jüngeren Künstler(-Teams) lebt und arbei­tet zumindest zeitweilig dort. Düsseldorf oder Frankfurt scheinen nachgeordnet, und Leipzig wird seinem Ruf als das „Neue Berlin” noch nicht gerecht – so viel zur Nachhaltigkeit einer föde­ralistisch dezentralisierten Bildungslandschaft.
Erstmals formulierte das sechsköpfige Kuratorenteam in Hannover einen thematischen Fokus: die „Produktion”, also die Konditionen und Spezifika künstlerischen Machens. Für das derzeitige Schaffen fand man drei Charakteristika: die Arbeit im Team, Netzwerk oder Kollektiv, die Vorliebe für prozessuale, theatralische oder ephemere Formate und die installative Intervention am Ort der Rezeption – alles Aspekte, die Bauschaffenden zumindest nicht vollends unvertraut sein und sie interessieren sollten.
Beispielhaft für eine unmittelbar architektonisch lesbare, ortsbezogene Intervention steht Schirin Kretschmanns Arbeit „Physical”. In der großen Oberlichthalle des Kunstvereins entfernte sie die lichtstreuenden Milchglasscheiben der Unterdecke. Die Stahlkonstruktion liegt nun bloß, gibt dem Raum einen rohen Charme und lässt bei Sonnenschein harte Schatten über Wand und Boden wandern. Diese elementare Raummodu­lation ergänzt eine fast immaterielle Bodenfläche aus fein gesiebtem, blauen Pigment. Grundkonstanten der Kunst wie Architektur, etwa Licht, Proportion, Oberfläche oder Farbe werden hier streng durchdekliniert.
Auch das Hannoveraner Duo Lotte Lindner & Till Steinbrenner beschäftigt sich vorrangig mit dem Raum. Für ihr Heimspiel errichteten sie eine mehrteilige „Echokammer” im Erdgeschoss der Kestnergesellschaft. Ein Pfeiler mir Arkadenansatz wurde in einen white cube eingehaust und damit selbst zum Exponat. Durch ein kleines Loch im Fußboden soll zudem das ursprüngliche Raumvolumen erahnt werden können: Die Halle war ja einmal ein Schwimmbad mit tiefem Becken unter dem Bodenniveau und lediglich einer Galerie statt der eingezogenen Geschossdecke.
Mit verschiedenen, auch abstrakten Deformationen beschäftigt sich Daniel Knorr. Er ist auf der documenta in Athen mit einer gigantischen Müllskulptur aufgefallen, in Kassel lässt er weißen Rauch aus dem Zwehrenturm des Fridericianum aufsteigen, das derzeit das nie in den regulären Betrieb gegangene Nationale Museum für zeitgenössische Kunst Griechenlands beherbergt. In der Kestnergesellschaft hängen dazu passend drei farbig schillernde Pfützenabgüsse aus New York, Athen und der örtlichen Expo Plaza: Sie verweisen auf die weltweiten politischen Verflechtungen und ihre aktuellen Lädierungen.
Knorr ist nicht der einzige Teilnehmer, dem man an mehreren Orten begegnen kann. Und vielleicht ist genau das das Interessanteste an der sommerlichen Festivalitis: einige Künstler wie gute Bekannte immer wieder zu treffen. Und jenseits aller kuratorischen Aufladung eigene Vergleiche zu ziehen, persönliche Erfahrungen zu machen: mit der Kunst, der Stadt und dem Status quo ihrer öffentlichen Räume.

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