Bauwelt

Divers wie die nordamerikanischen Gesellschaften

Drei Generationen US-amerikanischer Fotokünstler und -künstlerinnen zeigt das Sprengel Museum in Hannover. Zu der jüngsten Generation gehört LaToya Ruby Frazier, der in Wolfsburg eine Einzelschau gewidmet wurde

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Gregory Crewdson, „Untitled“, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
    Foto: Gregory Crewdson, Courtesy Gagosian

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    Gregory Crewdson, „Untitled“, Museum Frieder Burda, Baden-Baden

    Foto: Gregory Crewdson, Courtesy Gagosian

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    LaToya Ruby Frazier, The Bottom (Talbot Towers, Allegheny County Housing Projects), 2009 (aus der
    Serie The Notion of Family, 2001–2014)
    Foto: LaToya Ruby Frazier Courtesy Gladstone Gallery

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    LaToya Ruby Frazier, The Bottom (Talbot Towers, Allegheny County Housing Projects), 2009 (aus der
    Serie The Notion of Family, 2001–2014)

    Foto: LaToya Ruby Frazier Courtesy Gladstone Gallery

Divers wie die nordamerikanischen Gesellschaften

Drei Generationen US-amerikanischer Fotokünstler und -künstlerinnen zeigt das Sprengel Museum in Hannover. Zu der jüngsten Generation gehört LaToya Ruby Frazier, der in Wolfsburg eine Einzelschau gewidmet wurde

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Lange war die Fotografie aus Nordamerika Vorreiter: für die Etablierung der Farbfotografie als künstlerisches, nicht mehr mit dem Makel des Gewerblichen belastetes Ausdrucksmedium, für das fotografische Großformat oder auch den Leuchtkasten als Display. Mit dem Einzug der europäischen Fotografie in hiesige Museen, Sammlungen oder Kunstschauen wie der Documenta V und VI in Kassel gerieten während der 1970er-Jahre amerikanische Positionen in den Hintergrund – Zeit also, mit systematischen Überblicken der Entwicklung seit den 1980er-Jahren nachzuspüren, aber auch ganz aktuellen Ambitionen. Diese Arbeit leistet das Ausstellungsprojekt „True Pictures?“ in Hannover und Wolfsburg, ein dritter Teil lief bereits im Herbst vergangenen Jahres in Braunschweig. Das Fragezeichen im Titel darf dabei als gesunde Skepsis gegenüber der authentischen Abbildqualität der Fotografie nicht erst in Zei-ten digitaler (Post-) Produktion, medialer Verwertungszusammenhänge oder gar Fake News der Ära Trump gelesen werden.
Das Sprengel Museum in Hannover bietet mit 339 teils großformatigen Bildern oder Serien von 36 Fotokünstlern und -künstlerinnen eine Bestandsaufnahme dreier Generationen nord­ame-rikanischer Fotografie. Zu einem gemeinsamen Kulturraum zählt Kurator Stefan Gronert auch Kanada – im Gegensatz zu Mexiko oder karibischen Staaten. Dieser Zusammenschluss scheint selbstverständlich, trifft man bereits in der ersten betrachteten Generation doch auch auf die großformatigen Inszenierungen von Jeff Wall. Er wurde 1946 in Kanada geboren, gilt als Begründer einer informellen Vancouver School, zu der auch weitere in Hannover gezeigte Fotografen wie Rodney Graham, Jahrgang 1949, oder der 1960 geborene Stan Douglas gehören. Ihre Werke wurden in Europa allesamt als „amerikanisch“ rezipiert. In Europa gut bekannt und in Sammlungen vertreten sind auch die US-Ame­rikanerinnen Cindy Sherman, Jahrgang 1954, oder Sherrie Levine, 1947 geboren. Sie sind Teil einer Appropriation Art, die mit kunsthistorischen Rückgriffen Kategorien wie Urheberschaft und künst-lerische Originalität infrage stellt: Sherman mit ihren Selbstporträts in nachgestellten Szenen aus Film, Genremalerei oder Zirkus, Levine mit abfotografierten Fotografien von Eugène Atget bis Walker Evans.
Zur zweiten, in Europa dann schon unbekannteren Generation, die nicht erst durch die einsetzende Digitalisierung das autonome Bild weitertreibt, zählt etwa Gregory Crewdson, 1962 in New York geboren. Seine penibel in Szene gesetzten schön-schaurigen Großformate reflektieren menschliche Gefühlswelten, die zivilisatorische Verlorenheit oder elementare Bedrohungsängs­-te. Mit wenigen prominenten Ausnahmen wurden beide Generationen durch weiße männliche Akteure und Sichtweisen dominiert, erst die jüngste Generation der nach 1970 Geborenen ist so divers wie die nordamerikanischen Gesellschaften, die sie fotografisch widerspiegelt. Sie thematisiert die Diskriminierung afroamerikanischer Bevölkerungsanteile und Fragen ethnisch kultureller Identität, die Marginalisierung sozial Benachteiligter, und bezieht feministische Posi­tionen. Taryn Simon etwa porträtiert in einer eindrucksvollen Serie zu Unrecht Verurteilte, die mitunter jahrzehntelang unschuldig für Mord, Vergewaltigung oder Raub in Haft sitzen mussten. Die 1975 in New York Geborene zählt sicher zu den Entdeckungen in Hannover. Bemerkenswert ist aber auch, dass etwa die beklemmenden Innenraummonumente von Vikky Alexander, 1959 geboren und der zweiten Generation zugerechnet, oder die inszenierten Selbstporträts der indigenen Meryl McMaster, Jahrgang 1988 und Vertreterin der dritten Generation, überhaupt erstmals im musealen Kontext in Europa zu sehen sind, beide kommen aus Kanada.
Zur dritten Generation, und in Hannover mit drei Fotos beteiligt, zählt auch die Schwarze US-amerikanische Fotografin LaToya Ruby Frazier, der das Kunstmuseum Wolfsburg eine Einzelausstellung mit 150 Fotografien und Videos widmet. Frazier, 1982 in einer Stahlarbeiterstadt in Pennsylvania geboren, stellt sich in die Tra­-
di­tion einer sozialdokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotografie der USA. Sie hat hautnah den Untergang der Industrien im sogenannten „Rust Belt“ erlebt, die gesellschaftlichen Erosionen und existenziellen Nöte der Menschen. Sie verdichtet daraus teils durch Texte ergänzte Bil­derzählungen und bleibt für lange Zeit an der Seite ihrer Protagonisten. Frazier beschränkt sich aber nicht auf das anklagende Dokument, sie stellt ihre Arbeit in den Dienst politischer und gesellschaftlicher Forderungen. Ihre Methodik ist eine Symbiose aus Kunst und Aktivismus: für sauberes Trinkwasser an einem ehema-ligen Standort von General Motors, die Rechte der Arbeiter und Arbeiterinnen und die Zulassung ihrer gewerkschaftlichen Organisierung, elementare Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ganz allgemein. Auch in einer belgischen Bergbauregion begleitet sie seit 2016 das Schicksal südeuropäischer und türkischer Arbeitsmigranten und -migrantinnen und weiß um viele Corona-Opfer in den prekären Lebensverhältnissen.

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